Aminata und Fritz erkunden die Welt
(11)

Wir sind alle verschieden

Konzept Narcisse Djakam; Text Oliver H. Herde

Als Fritz am nächsten Vormittag mit seinen Eltern in Aruscha spazieren geht, beschäftigen ihn noch immer die Erlebnisse bei Aminata und den Massai. Zugleich nimmt er die Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen hier in der Stadt bewusster wahr als in seiner Heimat und vergleicht alles hier miteinander und mit zuhause. All die Verschiedenheit, auf welche er dabei unentwegt stößt, verwirrt ihn zunehmend.
Nach einer ganzen Weile gelingt es ihm, eine Frage zu formulieren: "Warum gibt es arm und reich?"
Beide Eltern heben überrascht die Augenbrauen, und der Vater schnauft sogar überrumpelt, bevor er verlegen lächelnd erwidert: "Da hast du dir ja wieder etwas besonders Kniffliges ausgesucht!"
Doch die Mutter weiß sogleich Rat: "Weil Menschen in allem ganz unterschiedlich sind. Zum einen gibt es wie gesagt viele verschiedene Ansichten darüber, was wertvoll oder wichtig sei, und damit, was denn überhaupt Reichtum ausmacht", erinnert sie. "Dadurch sind bereits die Ziele bei jedem andere. Das gleiche gilt für die Fähigkeiten jedes Einzelnen. Um sich Geld oder anderes zu verdienen, braucht es Ideen und Tatkraft - und natürlich auch etwas Glück."
"Müsste man die Schwachen und Unglücklichen nicht schützen und ihnen helfen?" überlegt Fritz teilnahmsvoll.
Nun wiegt die Mutter den Kopf, bevor sie kurz nickt. "Sicher, das wird ja versucht. Jedoch ist es ein falscher Weg, wenn man allen Menschen vorschreibt, auf dieselbe Art erfolgreich zu sein. Gleichmacherei ist aussichtslos. Wohl aber muss man darauf hinarbeiten, dass jeder vergleichbare Chancen und die gleichen Grundrechte erhält. Durch freie Bildungswege und die Freiheit der Berufswahl zum Beispiel. Trotzdem werden niemals alle Menschen gleich viel Geld haben, solange es Geld gibt. Gibt man einigen Leuten dieselbe Summe, werden manche sie unterschiedlich schnell ausgeben, andere aufsparen, die dritten in dies oder jenes investieren."
Da muss Fritz lächeln, da ihm sogleich für all das Beispiele unter seinen Klassenkameraden einfallen. Außer vielleicht für das Investieren, was wohl eher erst bei Erwachsenen verbreitet ist.
Derweil hat die vom Thema begeisterte Mutter noch kein Ende gefunden: "Selbst die reichsten Geschäftsleute oder Herrscher konnten ererbtes Vermögen oft nicht zusammenhalten, wenn ihnen das Verständnis hierfür fehlte. Wenn das so ist - zum Beispiel, weil sie fahrlässig zu hohe Risiken eingehen und sich verspekulieren - ist es nur gerecht, dass sie pleitegehen oder abgesetzt werden. Schlecht funktionierende Firmen- oder Staatsstrukturen zu erhalten, ist nicht bloß teuer, sondern grundfalsch. Es ist ein Loch ohne Boden und verlockt dazu, immer wieder die gleichen Fehler zu begehen auf Kosten der umsichtigen anderen, die das über ihre Steuern bezahlen müssen."
Dies leuchtet Fritz sofort ein.
"Andererseits drängen sich starke Charaktere meist in den Vordergrund, was sich in der Anhäufung von Geld, Macht oder auch Ansehen ausdrückt, welche ihnen von den anderen bereitwillig gegeben werden."
"Bereitwillig?" Darin ist Fritz eher ziemlich skeptisch.
"Ja, durchaus!" bekräftigt jedoch die Mutter. "Die meisten Menschen wollen Vorbilder, denen sie nacheifern und zuarbeiten können. Deswegen wählen sie sich Anführer, ob nun politische, wirtschaftliche oder religiöse. Dabei spielt für viele auch die vermeintliche Bequemlichkeit eine Rolle, sich nicht selbst mit etwas befassen zu wollen, oder der Glaube, dies nicht zu können. Gerade in Krisenzeiten wünschen sich solche Leute einen starken Mann, der ihnen zeigt, wo es langgeht. Leider suchen sie sich oft die falschen aus."
Dafür fallen Fritz gleich Beispiele aus dem Geschichtsunterricht ein, aber auch aus Filmen, Büchern und Comics. "Woran erkennt man die Falschen?" interessiert ihn nun am meisten.
"Zum Beispiel daran, dass sie sich selbst widersprechen. Sie missbrauchen ihren Einfluss, um sich selbst zu bereichern. Andere Meinungen und Ansichten werden von ihnen nicht offen diskutiert, sondern unterdrückt. Eigenständigem Denken stehen sie feindselig gegenüber. Letztendlich spielt es für das Ergebnis eine untergeordnete Rolle, ob sie aus böswilliger Absicht oder aus Dummheit handeln. Am deutlichsten erkennst du die Falschen daran, wenn sie auf jene Zwang ausüben, die ihnen nicht von selbst folgen wollen. Wo der Zwang beginnt, endet die Vernunft. Immer!"
Für einige Momente schauen Fritz und der Vater die Mutter beeindruckt und froh an, wie klug sie doch ist.

Fortsetzung: In der Serengeti


Diese Geschichte erschien auch im Kiezboten.
© Text: Oliver H. Herde, Narcisse Djakam
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