Aristoteles

Staat der Athener 24-28

24) Danach, als die Stadt schließlich Selbstvertrauen gewann und eine große Geldsumme angesammelt worden war, riet er (Aristeides den Athenern), die führende Rolle (über die Bundesstädte) zu übernehmen, das Land zu verlassen und in der Stadt zu wohnen; denn es werde Unterhalt für alle geben, für einige auf Feldzügen, für andere im Besatzungsdienst und für andere bei der Staatsverwaltung, und auf solche Art würden sie ihre führende Position behalten. Sie ließen sich hierzu überreden, übernahmen die Kontrolle über ihr Reich und begannen, gegen ihre Bundesgenossen auf herrische Weise vorzugehen, mit Ausnahme der Chioten, Lesbier und Samier; diese benutzten sie als Bewacher ihres Reiches und erlaubten ihnen ihre eigenen Verfassungen und, welchen Besitz auch immer sie hatten, über diesen weiter zu herrschen.
Sie verschafften auch den Massen reichlichen Unterhalt, genau wie Aristeides es vorausgesagt hatte. Denn es stellte sich heraus, dass von den Beiträgen, den Steuern und den Bundesgenossen über 20.000 Männer unterhalten werden konnten. Es gab nämlich 6.000 Richter, 1.600 Bogenschützen und auch 1.200 Ritter, den Rat der Fünfhundert, 500 Wächter der Werften, und neben diesen 50 Wächter auf der Akropolis, etwa 700 Beamte auf dem Land und etwa 700 im Ausland; neben diesen, als sie später den Krieg begannen, 2.500 Schwerbewaffnete, 20 Wachschiffe sowie andere Schiffe, nämlich diejenigen, welche die Beiträge und die 2.000 durch das Bohnenlos gewählten Männer trugen, und außerdem die Leute, die im Prytaneion gespeist wurden, Waisenkinder und Wächter für die Gefangenen. Denn für all diese kam der Unterhalt aus öffentlichen Mitteln.
25) Der Unterhalt für das Volk kam also dadurch zustande. Etwa 17 Jahre blieb die Verfassung nach den Perserkriegen unter der Leitung der Areopagiten bestehen, obwohl sie allmählich verfiel. Als aber die Bevölkerung wuchs, griff Ephialtes, Sohn des Sophonides, der Fürsprecher des Volkes geworden war, weil er im Rufe der Unbestechlichkeit und Verfassungstreue stand, den Rat an. Zunächst beseitigte er viele der Areopagiten, indem er Prozesse wegen ihrer Amtsführung anstrengte; dann entwand er unter dem Archonten Konon dem Rate alle die zusätzlichen Machtfunktionen, durch die er als Wächter der Verfassung fungierte, und verteilte einige an den Rat der Fünfhundert und andere an das Volk und an die Gerichte.
Er setzte dies unter Mitwirkung von Themistokles durch, der zwar einer der Areopagiten war, gegen den aber ein Verfahren wegen Perserfreundlichkeit anhängig war. Da er wollte, dass der Rat aufgelöst werde, sagte Themistokles zu Ephialtes, der Rat plane, ihn festzunehmen, und zu den Areopagiten, er werde gewisse Leute anzeigen, die sich zum Umsturz der Verfassung verschworen hätten. Er führte die vom Rat Ausgewählten an einen Ort, wo sich Ephialtes aufhielt, um (ihnen) die versammelten (Verschwörer) zu zeigen, und begann, mit ihnen eifrig zu reden. Als Ephialtes dies sah, war er von Schrecken befallen und setzte sich, nur mit seinem Chiton bekleidet, an einen Altar. Alle wunderten sich über den Vorgang, und als der Rat der Fünfhundert danach zusammentrat, klagten Ephialtes und Themistokles die Areopagiten an und ebenso wieder in der Volksversammlung, bis sie ihnen die Macht genommen hatten. Aber auch Ephialtes wurde bald darauf durch einen Mordanschlag des Aristodikos von Tanagra umgebracht.
26) Der Rat der Areopagiten wurde also auf diese Weise seiner Aufsichtsfunktion beraubt. Danach ergab es sich, dass die Verfassung von eifrigen Demagogen noch weiter gelockert wurde. Denn in dieser Zeit geschah es, dass die Besseren keinen Führer hatten, sondern als ihr Oberhaupt Kimon, Sohn des Miltiades, tätig war, der zu jung und erst kürzlich zur Politik gekommen war. Hinzu kam, dass die meisten im Krieg gefallen waren. Denn, weil man in den damaligen Zeiten das Heer aus einer Bürgerliste anwarb und Strategen, die unerfahren im Kampf, aber wegen des Ansehens ihrer Familien geachtet waren, ernannte, ergab es sich, dass von den Ausrückenden jedesmal 2000 bis 3000 getötet wurden, so dass die Tüchtigen, sowohl aus dem Volk als auch unter den Reichen, dahinschwanden.
Also begannen sie, alle anderen Staatsangelegenheiten nicht mehr unter Beachtung der Gesetze, wie man es früher zu tun pflegte, zu verwalten. Freilich änderten sie nicht den Wahlmodus für die neun Archonten, aber im sechsten Jahre nach Ephialtes' Tod beschlossen sie, Kandidaten auch von Zeugiten in der Vorwahl zu nominieren, die dann am Losverfahren für die neun Archonten teilnehmen sollten; und als erster von diesen war Mnesitheides Archon. Alle vor ihm stammten aus den Hippeis und den Pentakosiomedimnen, und die Zeugiten hatten nur die niederen Ämter inne, sofern nicht eine gesetzliche Vorschrift mißachtet wurde.
Im fünften Jahre danach, unter dem Archonten Lysikrates, wurden die 30 Richter, die man Demenrichter nannte, wieder eingesetzt. Und im dritten Jahre nach diesem, unter Antidotos, beschlossen sie auf Antrag des Perikles wegen der großen Anzahl der Bürger, dass niemand am Bürgerrecht Anteil haben solle, dessen Eltern nicht beide Bürger seien.
27) Danach übernahm Perikles die Rolle des Volksführers, nachdem er sich zuerst einen Namen gemacht hatte, als er als junger Mann bei der Rechenschaftslegung Kimons über seine Feldherrntätigkeit gegen diesen Anklage erhob; und nun ergab es sich, dass die Verfassung noch demokratischer wurde. Denn er entzog den Areopagiten einige Machtfunktionen und veranlaßte die Stadt vor allem, eine Seemacht zu errichten, was dazu führte, dass die Massen Selbstvertrauen gewannen und den gesamten Staat immer mehr an sich zogen.
Im 49. Jahre nach der Schlacht bei Salamis, unter dem Archonten Pythodoros, brach der Krieg gegen die Peloponnesier aus, in dessen Verlauf das Volk, das in der Stadt eingeschlossen und auf den Feldzügen Sold zu bekommen gewohnt war, sich mehr oder weniger freiwillig entschied, den Staat selbst zu verwalten. Perikles veranlasste auch als erster eine Besoldung der Richter, wodurch er versuchte, mit dem Reichtum Kimons um die Gunst des Volkes zu konkurrieren. Denn Kimon, der ein Vermögen besaß, das dem eines Tyrannen vergleichbar war, erbrachte zunächst die Leistungen für den Staat in glänzender Weise und unterstützte außerdem viele Mitglieder seiner Gemeinde. Denn jeder der Lakaien, der es wollte, konnte täglich zu ihm kommen und eine mäßige Unterstützung erhalten; außerdem war sein gesamter Besitz nicht eingezäunt, so dass jeder, der es wollte, sich der Früchte bedienen konnte. Gegenüber dieser Freigebigkeit musste Perikles mit seinem Vermögen zurückstehen, aber als Damonides aus Oe - dieser galt als der Mann, der Perikles zu den meisten Taten angestiftet hat, weshalb man ihn später ostrakisierte - ihm riet, da er mit seinem Privatvermögen unterlegen sei, den Massen ihr eigenes Geld zu geben, führte er die Besoldung der Richter ein. Dadurch, so klagen manche, seien sie schlechter geworden, da sich immer mehr die gewöhnlichen Leute anstrengten, ausgelost zu werden, als die besseren Leute. Danach entstand auch die Sitte, zu bestechen, als Anytos dies als erster zeigte nach seinem Feldzug gegen Pylos. Denn als er von einigen belangt wurde, weil er Pylos verloren hatte, bestach er das Gericht und wurde freigesprochen.
28) Solange nun Perikles das Oberhaupt des Volkes war, stand es mit dem Staat ziemlich gut, aber nach seinem Tode wurde es viel schlimmer. Dann nämlich wählte das Volk zum ersten Mal einen Fürsprecher, der bei den besseren Leuten kein hohes Ansehen genoss. In den früheren Zeiten jedoch führten immer die besseren Leute das Volk.


Quellenliste