Titus Livius

Seit Stadtgründung - Inhaltsangaben 1,9+13

(Ab Urbe condita periochae)

9) Jetzt war der römische Staat schon so stark, dass er jedem beliebigen Nachbarvolk im Krieg gewachsen war; indessen konnte diese Stärke aus Mangel an Frauen nur ein Menschenalter lang dauern, hatten sie doch weder Hoffnung auf Nachkommenschaft im eigenen Haus, noch gab es Heiraten mit den Nachbarn. Da schickte Romulus auf Rat der Väter Gesandte zu den Völkerschaften ringsum, die Bündnis und Eheverbindung mit dem neuen Volk erreichen sollten. Auch Städte wüchsen wie alles übrige von unten her. Die, denen eigene Kraft und die Götter beistünden, würden sich große Macht und einen großen Namen schaffen. Er wisse genau, dass die Götter dem Ursprung Roms günstig gewesen und dass eigene Kraft nicht fehlen würde - deswegen sollten sie sich nicht weigern, als Menschen mit Menschen Blut und Geschlecht zu mischen. Nirgends hörte man die Botschaft mit Wohlwollen, so sehr verachteten und fürchteten sie gleichermaßen die in ihrer Mitte aufstrebende Macht ihret- und ihrer Nachkommen wegen. Den Anfragenden wurde beim Abschied meist die Frage gestellt, ob sie nun auch für Frauen eine Freistatt eröffnet hätten - das ergäbe doch schließlich Ehen in rechtem Verhältnis. Die römische Jungmannschaft nahm das übel auf, und die Sache fing an, sich sehr deutlich der Gewalt zuzuneigen. Um dieser nach Zeit und Ort Bahn zu schaffen, verbirgt Romulus seine Missstimmung und setzt mit Absicht feierliche Spiele für den rosseliebenden Neptun an, er nennt sie Consualien. Dann heißt er den Nachbarn das Schauspiel anzuzeigen; mit dem größten Aufwand, den man damals kannte und zu leisten vermochte, um die Angelegenheit glänzend und spannungsvoll zu machen, richten sie das Fest aus. Viele Menschen strömten zusammen, auch aus Begierde, die neue Stadt zu sehen, vor allem die zunächst Wohnenden: die Caeninenser, Crustuminer, Antemnaten. Bald kam auch eine ganze Menge Sabiner mit Kindern und Frauen. Sie wurden gastfreundlich in die Häuser eingeladen und wunderten sich, als sie die Lage der Stadt, die Mauern und die zahlreichen Wohnstätten gesehen hatten, wie schnell doch Rom gewachsen sei. Als die Zeit des Schauspiels kam und ihre Sinne wie ihre Augen darauf gerichtet waren, brach wie verabredet Gewalt aus, und auf ein gegebenes Zeichen sprengt die römische Jungmannschaft auseinander, um Jungfrauen zu rauben. Ein Großteil wurde aufs Geratewohl geraubt, in wessen Händen gerade eine gefallen war; ein paar von besonders gefälliger Erscheinung - den Führern der Väter bestimmt - schafften Leute aus dem Pöbel, die dazu Auftrag hatten, in deren Häuser.

(Klagend ziehen sich die Eltern der Sabinerinnen zurück, und auch die Mädchen sehen ihrem Schicksal verzweifelt entgegen. Es gelingt Romulus und seinen Männern jedoch, die Geraubten zu beruhigen und durch Schmeicheleien einzunehmen. Die Sabiner jedoch ziehen gegen Rom in den Krieg. Es kommt zu blutigen Kämpfen.)

13) Zu diesem Zeitpunkt wagten es die sabinischen Frauen, aus deren Entehrung der Krieg entstanden war, gelösten Haars und die Gewänder zerrissen - ihr Unglück hatte über weibliche Furcht den Sieg davongetragen - sich in die Flugbahn der Geschosse zu begeben, von der Seite her einzudringen, die feindlichen Linien zu trennen, die Wütenden zU scheiden, hier die Väter, hier die Manner anflehend, sich nicht frevelhaft mit dem Blut des Schwiegervaters, des Schwiegersohnes zu bespritzen, nicht durch Mord an Verwandten ihre Kinder in Schande zu bringen, die Nachkommen der Enkel jene, diese die der Kinder. »Wenn die gegenseitige Verwandtschaft, wenn der Ehebund euch zuwider ist, so richtet euer Wüten gegen uns! Wir ja sind die Ursache für den Krieg, wir der Wunden und des Mordes Anlaß für unsere Männer und Väter! Lieber wollen wir zugrunde gehen, als ohne die einen oder die anderen von euch als Witwen oder Waisen weiterleben!« Der Vorgang bewegt die Menge ebenso wie die Anführer; es wird still und plötzlich ruhig; dann treten, einen Vertrag zu schließen, die Anführer vor. Und sie machen nicht nur Frieden, sondern einen einzigen Staat aus zweien: Sie vergemeinschaften die Königswürde; die gesamte Regierung verlegen sie nach Rom.


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