Thukydides

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65) Mit solchen Worten versuchte Perikles, den Zorn der Athener gegen ihn zu beschwichtigen und ihre Gedanken von den Tagesängsten abzulenken. In der Versammlung ließen sie sich auch von ihm umstimmen; sie schickten nicht mehr nach Lakedaimon, sondern betrieben nur eifriger ihren Krieg. Aber jeder einzelne Bürger hing weiter seinen Schmerzen nach, das Volk, weil sie von Anfang an weniger gehabt hätten und nun auch darum gebracht seien, die Mächtigen wegen des Verlustes ihrer schönen Besitzungen auf dem Lande, ihrer Bauten und kostbaren Einrichtungen, und vor allem, weil sie Krieg hatten statt Frieden. Und wirklich ruhten sie alle zusammen in ihrer Wut auf ihn nicht eher, als bis sie ihm eine Geldbuße auferlegt hatten. Sehr bald danach freilich, wie die Menge pflegt, wählten sie ihn wieder zum Feldherrn und überließen ihm die wichtigsten Entscheidungen, da jeder in seinem häuslichen Kummer nun schon eher abgestumpft war und sie ihn für die Bedürfnisse der gesamten Stadt doch für den fähigsten Mann hielten. Denn solange er die Stadt leitete im Frieden, führte er sie mit Mäßigung und erhiclt ihr ihre Sicherheit, und unter ihm wurde sie so groß, und als der Krieg ausbrach da hatte er, wie sich zeigen läßt, auch hierfür die Kräfte richtig vorausberechnet. Er lebte dann noch zwei Jahre und sechs Monate, und nach seinem Tode wurde seine Voraussicht für den Krieg erst recht deutlich. Denn er hatte ihnen gesagt, sie sollten sich nicht zersplittern, die Flotte ausbauen, ihr Reich nicht vergrößern während des Krieges und die Stadt nicht aufs Spiel setzen, dann würden sie siegen. Sie aber taten von allem das Gegenteil und rissen außerdem aus persönlichem Ehrgeiz und zu persönlichem Gewinn den ganzen Staat in Unternehmungen, die mit dem Krieg ohne Zusammenhang schienen und die, falsch für Athen selbst und seinen Bund, solange es gut ging, eher einzelnen Bürgern Ehre und Vorteil brachten, im Fehlschlag aber die Stadt für den Krieg schwächten. Das kam daher, dass er, mächtig durch sein Ansehen und seine Einsicht und in Gelddingen makellos unbeschenkbar, die Masse in Freiheit bändigte, selber führend, nicht von ihr geführt, weil er nicht, um mit unsachlichen Mitteln die Macht zu erwerben, ihr zu Gefallen redete, sondern genug Ansehen hatte, ihr wohl auch im Zorn zu widersprechen. So oft er wenigstens bemerkte, dass sie zur Unzeit sich in leichtfertiger Zuversicht überhoben, traf er sie mit seiner Rede so, dass sie ängstlich wurden, und aus unbegründeter Furcht hob er sie wiederum auf und machte ihnen Mut. Es war dem Namen nach eine Volksherrschaft, in Wirklichkeit eine Herrschaft des Ersten Mannes. Aber die Späteren, untereinander eher gleichen Ranges und nur bemüht, jeder der erste zu werden, gingen sogar so weit, die Führung der Geschäfte den Launen des Volkes auszuliefern. Daher wurden immer wieder, bei der Größe der Stadt und ihrer Herrschaft, viele Fehler begangen, vor allem die Fahrt nach Sizilien, die eigentlich nicht falsch war im Plan gegenüber den Angegriffenen, nur dass die Daheimgebliebenen, statt dem ausgesandten Heer mit zweckmäßigen Beschlüssen weiterzuhelfen, über dem Ränkespiel der einzelnen Bürger, die um die Volksführerschaft buhlten, die Kraft des Auszugs im Felde sich abstumpfen ließen und in der Stadt die inneren Wirren anfingen. Und nachdem sie in Sikilien eine solche Streitmacht und vor allem den größten Teil der Flotte eingebüßt hatten und in der Stadt die Parteikämpfe nun ausgebrochen waren, behaupteten sie sich trotzdem noch zehn Jahre lang sowohl gegen ihre bisherigen Feinde wie gegen die neuen von Sikilien, dazu gegen ihre meistenteils abtrünnigen Verbündeten und schließlich sogar Kyros, den Sohn des Großkönigs, der den Peloponnesiern Geld gab an ihre Flotte, und ergaben sich nicht eher, als bis sie in ihren eigenen Streitigkeiten über sich selber hergefallen und so zugrunde gegangen waren. Ein solcher Überschuss an Macht berechtigte damals Perikles zu der Voraussage, dass sie gegen die Peloponnesier allein sogar sehr leicht den Krieg gewinnen würden.


Quellenliste