Bei der folgenden Geschichte galt es, einen vorgegebenen Anfang (kursiv, von Jan Richling) auf möglichst originelle Weise fortzusetzen...

Das Lachen des schwarzen Auges

von Oliver H. Herde

Die Praiosscheibe stand schon sehr tief, als der Mann auf einem kaum erkennbaren Pfad mitten im Wald stand und lauschte. Es war an der Zeit, sich um ein Lager für die Nacht zu kümmern, und das, was er vor kurzem vernommen hatte, klang verheißungsvoll: Das Plätschern von Wasser. Er hatte Durst, und seine kleine lederne Wasserflasche enthielt kaum noch etwas.
Der Pfad bog um ein Gebüsch, und dann sah der Mann im schwachen Licht der schon weit vorangeschrittenen Dämmerung endlich den kleinen Bach - vielleicht zwei Schritt breit.
Er wollte gerade losgehen, als er ein helles Lachen hörte - ziemlich nahe, anscheinend von der anderen Seite des Baches. Lautlos zog er sich wieder ein Stück zurück und suchte eine bessere Beobachtungsposition hinter einem Gebüsch.
Das Lachen wiederholte sich nicht, aber dann roch er Rauch und sah kurz danach den Schein eines Feuers. Stimmen und typische Geräusche eines Lageraufbaus begleiteten dies.
Konnten das seine Verfolger sein? Es erschien ihm sehr unwahrscheinlich. Dennoch wollte er lieber unbemerkt mehr herausfinden.
Er verlagerte seinen Standort noch einmal, so dass er schließlich das Lager sah. Es handelte sich um drei Wesen - vielleicht Menschen, vielleicht auch Elfen, das war im Dunkeln nicht so genau zu erkennen. Und sie unterhielten sich leise. Schließlich gelang es ihm, Worte zu verstehen.
»Du bist dir sicher, dass du das willst?« Die Stimme war weiblich, und den Worten folgte das schon bekannte Lachen. Der Mann im Gebüsch versuchte, von der Sprecherin etwas zu erkennen, doch alles, was er sah, waren lange brünette Haare.
Dann gab ihr Gegenüber - ein Mann, der älter als sie schien - eine Antwort: »Du brauchst nicht zu lachen. Natürlich will ich das. Und es wäre gut, wenn ihr beide das auch so sehen würdet.«
Die dritte Person - der Stimme nach noch eine Frau - antwortete leise etwas - zu leise, um von dem Lauscher verstanden zu werden.
Der Mann antwortete in verständlicher Lautstärke: »Das beruhigt mich aber. Wir können das auch zu zweit machen, weißt du das?«
Die Frau, die gelacht hatte, war nun plötzlich wieder ernst. »Ihr braucht mich! Und ich werde mitmachen, aber zu meinen Bedingungen.«
Nun sagte wieder die leise sprechende Frau etwas, das nicht zu verstehen war. Der Lauscher beugte sich weit vor und strengte sich an. Er verstand nur Fetzen, aber offenbar war die zweite Frau mit dem Mann einer Meinung, während die andere irgendwelche eigenen Vorstellungen verwirklichen wollte. Dann kam wieder die andere weibliche Stimme: »Meinetwegen. Dann bin ich aber nicht diejenige, die zuerst eindringt.«
»Damit können wir leben. Was meinst du? Kannst du in das...«
Er brach ab, denn genau in dem Moment brach ein Ast unter den Füßen des lauschenden Mannes, der in der Hoffnung, dass niemand dem nachging, reglos sitzenblieb. Eine sinnlose Hoffnung, wie sich sehr bald zeigte.

Allerdings war es nicht nur der Mann am Lager, welcher das knackende Holz bemerkte. Vielmehr fühlte sich offenbar der schwarze Keiler, welcher unvermittelt neben dem Mann im Verstecke stand, durch dessen Anwesenheit belästigt. Zuerst schnüffelte er nur, doch schon fletschte er die gefährlichen Hauer.
»Gaaanz ruhig, Briderchen Eberr, bitaschän!«
Doch irgendwie wollte das Tier der Bitte nicht nachkommen, wurde zudringlich, dass dem Norbarden nichts weiter übrig blieb, als mit einem Satz der Verzweiflung aus den Büschen zu schießen. »Hilfe, err hungrick!«
Beinahe gleichzeitig sprangen die Lagernden auf. Die Frauen griffen sogleich nach den Waffen. Der Mann hingegen blieb äußerlich gelassen. Und doch blitzte für einen winzigen Augenblick etwas in seiner Linken auf.
Schon erreichte der Lauscher das Bächlein, durch das er in unvermindertem Tempo hindurchzulaufen gedachte. Beinahe wäre ihm dabei das Gewässer zum Strom des Verderbens geraten, denn er glitt auf einem Steine aus, schlug der Länge nach hin und schluckte reichlich Wasser. Mit der Kraft der Verzweiflung aber gelang ihm alsbald doch noch die Überquerung. Ohne sich zu wundern, warum ihn der Keiler inzwischen nicht eingeholt hatte, lief er weiter auf das Feuer zu.
Die drei Lagernden blickten ihn nur entgeistert an.
»Rettet mich!« japste der Norbarde, als er sich dem älteren Manne an den Hals warf.
»Vorsicht, Junge«, erwiderte der in eigenartigem Tonfall, »sonst erstichst du dich noch selbst!«
Der Flüchtling folgte dem Blicke des anderen hinab zum Ende dessen linken Armes, an dem dieser statt einer Hand einen Lilienhaken trug. Erschrocken wich er einen Schritt zurück, da fiel ihm wieder das Wildschwein ein, nach welchem er unverzüglich hinter das Feuer flüchtend Ausschau hielt.
Während die Frauen aber unverhohlen zu kichern begannen, forderte der Einhändige: »Nun krieg' dich mal wieder ein, Kleiner! Deine Wildsau hat offenbar kein Interesse an einem abendlichen Bad und sich längst davongeschlichen.«
Der Angesprochene wusste offenkundig nicht recht, was er darauf erwidern sollte, folglich beschränkte er sich - wenn auch nicht ganz gewollt - auf ein »Ich... ich...«
»Du Recht«, lächelte die stille Frau, »erst Namen sagen. Ich Teianna.«
Nun erkannte der Tropfnasse, sie war eine Elfe mit schwarzem Haar und dunkelbraunen Augen, die ihn fröhlich anfunkelten. Doch letztere beunruhigten ihn auch etwas, wusste er mit Frauen doch ebenso wenig umzugehen, wie mit Elfen. Sich selbst vorzustellen, war der beste Weg, dies einstweilen zu überspielen. »Kaspaj Fogujeff, bitaschän.«
»Jasmin«, erwiderte die andere mit einem lieblichen Lächeln.
Nach und nach blickten die drei nun auf den Einhändigen, der sich noch nicht vorgestellt hatte. Dabei schienen die beiden Frauen beinahe ebenso erwartungsvoll wie Kaspaj.
»Was?« schreckte der andere mit dem zurückgehenden und zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haar auf, als er es bemerkte. »Ach so, ähm... Alrik von... Quatsch! Alrik Neuhaus.« Freundschaftlich reichte er dem jungen Norbarden die behandschuhte Rechte und lud ihn ans Feuer ein, sich zu trocknen. »Und nun erzähl uns mal, was du nächtens im Gebüsche treibst!«
»Ich... auf Flucht vorr Familie«, begann es aus Kaspaj nach kurzem Zögern herauszusprudeln, und seine Stimme verriet zunehmend von der maßlosen Furcht und Verzweiflung - und einem übermächtigen Ekel. »Ich solle heirate! Dick, langweilick Tochter von tristes Nives!!«
»Das ist ja die reinste Seuche, dieses Geheirate!« brummelte der Einhändige entrüstet. »Menschenjagd! Du stehst unter meinem persönlichen Schutz!« Darauf zückte er eine Flasche und tat einen tiefen Zug zur Bekräftigung, bevor er sie an den Jungen weiterreichte.
Die Elfe lächelte etwas hilflos, da sie nicht recht verstand, worum es überhaupt ging.
Jasmin hingegen schien mit ihren Gedanken an fernem Orte.
So breitete sich Schweigen über die gemischte Gesellschaft, bis Kaspaj sich ein Herz fasste und die Gegenfrage stellte: »Und ihr? Woriber ihr habt gesprochen, wenn ich gekommen, bitaschän?«
»Wir wollen Silvana befreien!« platzte Jasmin hervor. »Ein Magier hat sie für ein Experiment entführt!«
»Oh, ich helfen, bitaschän«, bat Kaspaj sogleich an. »Wo gefangen?«
»Stromaufwärts«, erklärte der Einhändige. »Teianna wird uns führen.«
Jene nickte und begann unvermittelt, sich zu entkleiden.
Kaspaj wusste nicht recht, wie ihm geschah. Zweifellos war er der schüchternste Norbarde im Umkreis von einigen hundert Meilen. Auf intime Erfahrungen mit Frauen konnte er jedenfalls nicht zurückblicken. Er wusste gar nicht, wo er hinschauen sollte, wollte er die Elfe doch so oder so nicht kränken.
Diese jedoch, als sie alles abgelegt hatte, nutzte seine Wehrlosigkeit in keiner Weise aus, wie er es sich mit gemischten Gefühlen zusammenphantasierte. Statt dessen kauerte sie sich nieder, murmelte ein paar elfische Worte und verwandelte sich langsam vor den Augen eines nun vollends verdatterten Kaspaj in einen Wolf.
»Silvanas Decke!« gebot der Einhändige als wie ein Medicus bei einer schwierigen Amputation. Sogleich bekam er eine solche von der Brünetten überreicht.
Was für ein großes, derbes Exemplar! Und noch dazu mit Löchern! »Oh, Silvana muss haben Zähne in Maul wie dick, langweilick Tochter von tristes Nives!«
Schmunzelnd hielt der Einhändige der nun vierbeinigen Elfe den Stoff vor die Nase. »Such!«
Teianna schnupperte kurz daran, dann nahm sie die Fährte auf und lief ins Dunkel der Nacht.
Unwillkürlich streckte Kaspaj die Hand nach der Decke aus, die er auch ohne Zögern ausgehändigt bekam. Überall hafteten ihr braunschwarze, kräftige Haare an. »Oh, Silvana muss haben Fell auf Haut wie dick, langweilick Tochter von tristes Nives!« Er gab die Decke wieder an Jasmin zurück und fragte jenen, der sich Alrik nannte: »Und nun?«
»Wir folgen der Spur der Wölfin.«

Das taten die drei dann auch, und sie taten es recht lang. So lange, dass sich Kaspaj schon fragte, ob er aus diesem Wald je wiederkehren würde. Den Älteren aber fragte er: »Wie du verloren Hand, bitaschän?«
»Das war so ein verfluchter Mantikor...« Mehr erklärte der andere nicht, da er just etwas auf dem Boden entdeckte: Ein Lederhalsband, unzweifelhaft zu groß selbst für einen Bornländer.
»Wir sind richtig«, stellte Jasmin fest.
Und Kaspaj kommentierte: »Oh, Silvana muss haben Hals auf Schultern wie dick, langweilick Tochter von tristes Nives!«

Die Wölfin führte sie durch ein nebliges Moor bis hin zu einer ebensolchen Insel festeren Bodens, auf der sich ein finsterlicher Turm erhob. Donnergrollen erklang; ein Gewitter würde aufziehen.
Das Tor besaß kein Schloss, ein Umstand der Jasmin und Kaspaj lange Gesichter abnötigte.
Der Einhändige dagegen schob seinen Lilienhaken zwischen Tür und Rahmen, dann zog er ihn frohgemut grinsend aufwärts, bis auf der anderen Seite etwas Hölzernes niederpolterte. »Putzt euch die Schuhe ab«, scherzte er und trat ein.
Innen war der Turm geschmackloserweise mit samtenem Purpur ausgekleidet. Eine breite Treppe wendelte sich empor. Entschlossen stapfte der Einhändige hinauf, gefolgt von den anderen.
Oben erwartete sie die Szenerie eines unordentlichen Labors. Unzählige Schatten feierten an den Wänden ihr Fest. Ein Mann in finsterer Robe wollte sich soeben daran machen, einem Bären mit einer schwarzen Sichel ans Fell zu gehen. Das Tier schwebte vor ihm, konnte sich offensichtlich nicht rühren, schien aber bei bärischem Bewusstsein.
»Draco, du Schuft«, kreischte Jasmin, »was tust du mit Silvana?«
»Oh, Silvana hat Trägheit in Augen wie dick, langweilick Tochter von tristes Nives!«
Der Magier wirbelte herum; sein Ziegenbärtchen zuckte erregt, als er schimpfte: »Macht euch besser aus dem Staub, sonst seht ihr Sterne!«
Der Mann aber, der sich Alrik nannte, marschierte unerschrocken auf den Zauberer zu.
Jener reagierte schnell, indem er drohend seinen Stab aus Ulmenholz hob und rief: »Salander Mutanderer, sei ein anderer!«
Der Einhändige war in sicherem Abstand stehengeblieben und hatte kurz die Augen geschlossen, da riss er sie wieder auf, und vollführte mit der Rechten eine zerrende Bewegung und fragte trocken: »Brauchst du den noch?«
Tatsächlich entglitt jener der Hand des Magus und flog beiseite. Der Schurke schlug sich entsetzt die Hände an den Kopf, da entlud sich sein Zauber unkontrolliert auf ihn selbst und er wandelte sich zu einem Prachtexemplar von einer bunt gezeichneten Kröte.
Die Wölfin kam näher, daran zu schnüffeln, doch die Amphibie verströmte einen modrigen Geruch, der in der Schnauze kitzelte.
»Was für eine Flasche!« kommentierte der Einhändige beinahe enttäuscht.
»Na warte, Dilettant,« quakte die Kröte, »es wird mehr als derlei Gaukelspiel nötig sein, mich zu besiegen!«
Jasmin lief zu ihrer Bärin hinüber, dicht gefolgt von Kaspaj. Doch wussten sie nicht recht, wie dem Zotteltier zu helfen sei.
Mit einer Vorderflosse patschte sich die Kröte auf die Stirne und unkte: »Salandrich Mutandrich, ich wandle mich!« Plopp, hatte man es mit einer schwarzen Schlange zu tun.
Erschrocken machte Teianna kehrt.
Auch jener, der sich Alrik nannte, wich einen Schritt zurück. »Holla! Bist du nun giftig?«
»Komm her und probiere es aus!« zischte das Reptil. Derweil beobachtete es, wie die Brünette unter den Schwebebären kroch, in der verzweifelten Hoffnung, dort eine Befreiungsmöglichkeit zu entdecken. Die Augen der Schlange schienen zu lachen, da plumpste die Bärin auf ihre Herrin.
»Oh, Silvana hat Gewicht an Leib wie dick, langweilick Tochter von tristes Nives!«
Jasmin rührte sich nicht mehr, das Raubtier dafür um so heftiger. Grollend rappelte es sich hoch, kam auf die Hinterbeine.
»Oh, oh, Silvana...!« Kaspaj zitterte und klapperte am gesamten Körper. Urgewaltig brüllte die Bärin ihn an, dass sein prächtiger Schnurrbart im Winde wehte, während sich sein kahles Haupt in Kraus zog. Er wirbelte herum und nahm die Beine in die Hand, die Bärin folgte dichtauf. »Hilfe, Silvana hat Laune in Herzen wie dick, langweilick Tochter von tristes Nives!«
Unterdessen stocherte der Einhändige mit seinem Lilienhaken wieder und wieder nach der Schlange, ohne sie jedoch zu treffen. »Ich krieg' dich, Magier!«
Jener aber schlängelte sich unter sein Bett. Und während der Attentäter noch nach ihm pikste, hieß es: »Salanders Mutanders, ich werde anders!« Unvermittelt wurde die Liege in die Luft gehoben, und ein Löwe mit dem Kopf eines Raben kam zum Vorschein. »Huch, wie seh' ich denn aus?« krächzte die Chimäre. »Egal! Nun sollst du sterben, Streuner!« Und damit nahm sie die Verfolgung des Einhändigen auf.
Kaspaj kam soeben an einem Mohagötzen vorbei. Er nahm ihn im Vorüberlaufen mit und warf ihn nach seiner Verfolgerin, die dadurch leider nur noch wütender wurde.
Das Gewitter draußen drückte die Fensterläden auf. Pergamente wirbelten umher, Blitze zuckten und Regen drang herein. Doch der große Donnersturm tat dem allgemeinen Rennen keinen Abbruch.
Just hastete Kaspaj an einem Flaschenschiff vorüber, welches er mitgehen ließ, es nach der Bärin zu werfen. Jene wurde dadurch aber nur um so wütender.
Teianna kehrte zurück, dem, der sich Alrik nannte, zu helfen. Dieser zog daraufhin seinen Degen und stellte sich seinerseits dem rabenköpfigen Löwen zum Kampfe.
Kaspaj indes erspähte im Vorbeilaufen einen Feenflügel, verzichtete allerdings darauf, ihn zu werfen. Statt dessen schleuderte er die daneben befindliche Mondsilberkugel, traf der Bärin Schnauze und machte sie somit um einiges wütender.
Wölfin und Einhändiger drängten den löwenrümpfigen Raben mehr und mehr an die Wand.
Wiederum Kaspaj näherte sich im Laufschritt sieben Kelchen des Magiers, in welche es hineinregnete, da sie einem Fenster nahe standen. Den vollsten schnappte er sich. Allerdings - der kluge Leser wird es längst erraten haben - warf er ihn NICHT zwecks Wutsteigerung der Bärin! Dann hätte er ja ebensogut alle greifen können. Nein, er eilte damit vielmer weiter, bemüht, nichts zu verkippen, bis er die bewusstlose Jasmin erreichte. Ihr schüttete er das lebensspendende Nass ins Gesicht.
Prustend kam sie in Bewegung. Doch benötigte sie noch die Zeit einer vollen Runde Kaspajs und der Bärin ums Turmzimmer, bis sie wieder halbwegs klar auf den Beinen stand.
Dann aber hielt sie ihre Freundin auf: »Ruhig, Silvana!« Siebenmal streichelte sie sie, den Zorn der Bärin zu besänftigen.
So langsam wurde dem Rablöwen mulmig zumute. Bald würde er fünf Gegner haben. Die Stunde der Entscheidung nahte, und es war für ihn an der Zeit, seine grenzenlose Macht zu demonstrieren: »Schuppenhaut und Rachenschleim, ich möchte jetzt ein Drache sein!«
»Das klappt doch nie!« lästerte der Einhändige.
Die Chimäre gleichwohl wurde größer, breiter, länger, grüner, schuppiger, sechsbeiniger und irgendwie drachischer. Allein - der Einhändige sollte dennoch auf unverhoffte Weise Recht behalten, denn bald zeigte sich, Draco vermochte sein eigenes Wachstum nicht mehr zu beenden. Das Gebälk knarrte bedenklich unter seinem rasch zunehmenden Gewicht. Schon mussten ihm die ersten Möbel weichen, zerborsten zwischen ihm und den Wänden. Den Kopf, der bereits durch keines der Fenster mehr passte, streckte das Monstrum in seiner Not zum Eingang hinaus und die Treppe hinab.
»Raus hier, schnell! Folgt dem Drachenhals!«
Die eben noch vor Schreck wie erstarrte Gruppe gehorchte dem Rat ihres Ältesten, der als letzter den Rückzug antrat. Als er den Kopf überholte, schimpfte er nochmals: »Flasche! Versager!« Mit einem waghalsigen Hechtsprung flog er zum Tor hinaus.
Der ihm nachsetzende Drachenschädel hingegen prallte auf allen Seiten gegen den Rahmen, dass Mauersteine, Holzsplitter und Drachenschuppen durch die Lüfte stoben. Während seine ungebetenen Gäste das Weite suchten, jammerte Draco noch: »Mein Turm! Mein schöner Purpurturm!«
Selbiger platzte nun vollends auseinander. Da der Drache aber über keine Flügel verfügte, sondern nur immer fetter und schwerer wurde, sank er mitsamt der Insel tiefer und tiefer im Sumpfe ein. Er suchte sich noch dagegen zu wehren, brachte vor Panik jedoch keinen nützlichen Gedanken mehr zustande. Begleitet von unheimlichem Fauchen und Gurgeln verschlang das Moor Insel, Turm und Drachen. Und selbst jetzt blubberten noch gewaltige Blasen herauf.
Dann endlich hauchte der Magier seine Seele aus und der Alptraum fand sein Ende.
Die Ungeschlagenen standen nun etwas entfernt - sprachlos auf einen Ort starrend, an dem es eigentlich nichts mehr zu sehen gab.
Als erster fasste sich der Einhändige wieder. Frohgemut klopfte er dem jungen Norbarden auf die Schulter. »Gut gemacht, Junge! Mein wirklicher Name ist übrigens Atreo.«
Bei Kaspaj kam dieses Geständnis kaum an, auch die ihm dargebotene Hand nahm er nicht recht wahr. »Alles kaputt«, stammelte er nur.
»Ja, Kleiner, das muss so sein. Merke dir genau, was ich dir jetzt sage: Wenn du eines Tages ein ruhmreicher Held werden willst, dann hinterlasse die Schauplätze deiner Abenteuer stets in Trümmern! Das macht Eindruck, und man kann deine Geschichten nicht nachprüfen.« Dabei kniff Atreo das linke Lid zu und lachte vergnügt aus seinem offenen schwarzen Auge.


Atreos Haus

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