Heimweg ins Ungewisse
Autoren: Lisa Tyroller und Oliver H. Herde
Als der Diener mit dem Mädchen bei Mesherel angekommen ist, drückt er ihr mit einer demütigen Verneigung einen Schlüssel in die gepflegte Hand, den sie einen Augenblick lang verwundert betrachtet, bis ihr aufgeht, dass er für die Fesseln der Kleinen gedacht sein muss - sicher, so kann sie ja schlecht irgendwelche Arbeiten verrichten; ein Glück für den Händler, dass er noch daran gedacht hat, denn hätte sie aufgrund seiner Unachtsamkeit noch einmal hierher zurückkehren müssen, hätte das sehr unangenehme Konsequenzen für ihn gehabt.
Sie nickt dem Bediensteten zu, der sogleich wieder seinen Platz als Sänftenträger einnimmt, bevor sie sich dem Mädchen zuwendet. Wie verschüchtert das Kind wirkt...
Beinahe mütterlich zu nennende Fürsorge regt sich für einen Augenblick in Mesherels Brust und ein sanftes Lächeln erhellt ihre sonst so kühlen Züge, bevor sie sich wieder darauf besinnt, dass es sich hier lediglich um eine Sklavin handelt.
"Wie nennt man dich, Mädchen?" fragt sie mit warmer, dunkler Stimme. Zwar hat sie den Namen der Kleinen bereits vorhin aus dem Mund des Händlers vernommen, doch möchte sie ihn gerne von der Sklavin selbst hören, da sie Wert darauf legt, ihre Informationen aus erster Hand zu erhalten.
"Sklavin, Herrin", erwidert Zulhamina mit einem begleitenden Knicks. Dann geht ihr auf, dass die Frage möglicherweise etwas anders gemeint war, wenn sie von Mufat auch selten mit dem Namen angesprochen wurde. Eilig ergänzt sie daher: "O-oder Zulhamina", wobei sie vor Schreck sowohl den neuerlichen Knicks vergisst, wie auch, ihren Blick gesenkt zu halten.
Haben sich da Mesherels Mundwinkel amüsiert gekräuselt? Aber ihr Blick ist streng wie üblich, es muss eine Täuschung gewesen sein. "Zulhamina also. Nun gut, Zulhamina, wir werden uns noch ein wenig unterhalten, bis wir daheim angelangt sind."
Elegant steigt sie in die große Sänfte und setzt sich graziös in den eingelassenen Sessel. Die Träger heben das Gefährt an, ohne sich indes bereits in Bewegung zu setzen.
"Was ist? Steig ein!" befiehlt die Dame dem Mädchen. "Mit deinen Ketten würde es Stunden dauern, bis wir zuhause sind." Sie weist mit der Rechten auf die Kissen, die ihr zu Füßen auf dem Boden der Sänfte herumliegen und genug Platz für das zarte Kind bieten.
Höchste Überraschung und einige Ehrfurcht stehen der kleinen Sklavin ins Gesicht geschrieben. SIE soll sich tragen lassen!? Aber die Herrin ist die Herrin, und wird ihre Gründe haben, die nicht unbedingt einzig mit den Ketten zusammenhängen müssen.
So nickt Zulhamina beschämt, als sie sich gefasst hat, und versucht, in die Sänfte zu klettern. Allein, es ist ein wenig hoch; keinesfalls möchte sie hineinspringen, was sicherlich den Unmut der Herrin erregen würde! Und wer weiß, ob es ihr überhaupt gelänge. Statt dessen beugt sie sich vor, kommt drinnen kniend an und versucht auf sehr ungelenke Weise, die Beine nachzuziehen. Ihre feinen Ketten erklingen deutlich dabei und spannen sich immer wieder unter dem Gezappel, bis sie es endlich geschafft hat.
Kein Quentchen der Erheiterung, die Mesherel erfüllt, als sie der kleinen Sklavin beim Erklimmen der Sänfte zusieht, ist auf ihrem klugen Gesicht wahrzunehmen. Stattdessen wirkt sie beinahe wie eine Matrone, die mit Autorität auf das Ungestüm der Jugend herabsieht, während sie darauf wartet, dass das Kind einigermaßen sicheren Halt in dem Gefährt findet. Ihre Arme ruhen wie die Vorderpranken einer Sphinx auf den Lehnen des Sessels, doch verraten sie die schlanken Finger ihrer rechten Hand, die abwesend mit dem kleinen Schlüssel spielen und so gar nicht zu der Ehrfurcht gebietenden Gestalt in den dunkelblauen Gewändern passen wollen.
Sanft schaukelnd setzt die Sänfte sich in Bewegung, ohne dass von Mesherel ein Wort oder eine Geste gekommen wäre.
Schweigend mustert sie das verschüchterte Mädchen, doch nach einigen Augenblicken der Stille - wenn man von dem anhaltenden Lärm, der nach wie vor auf dem Markt herrscht, absehen mag - beugt sie sich ein wenig vor und ergreift mit der Linken das rechte Handgelenk der Kleinen. Sie dreht es wenige Lidschläge lang hin und her und begutachtet die Art der Fessel.
Dann lässt sie los, lehnt sich wieder zurück und bittet mehr denn dass sie befiehlt: "Zieh die Vorhänge zu, Zulhamina. Ich habe keine weiteren Besorgungen zu machen und es ist nicht notwendig, dass wir Staub und Schmutz ertragen müssen." Es wird nicht ganz deutlich, ob sie mit dem Wort 'wir' die Sklavin mit einschließt oder von sich selbst im Plural spricht. Sie deutet auf die reinweißen Stoffe, die jeweils rechts und links der Seitenöffnungen mit golddurchwirkten Bändern zurückgehalten werden.
Nicht ganz sicher, ob sie nun jeden Befehl bestätigen soll oder Schweigsamkeit gewünscht ist, folgt Zulhamina einfach nur dem Befehl, indem sie sich auf dem engen Raum wieder auf die Knie aufrappelt. Durch das sachte Schwanken des Bodens wird dies zusätzlich etwas erschwert, während sie die Ketten dabei offenbar weniger behindern.
Trotzdem sie sich alle Mühe gibt, stößt sie doch gegen Mesherels Knie, als sie zugezogen hat und sich gerade wieder hinsetzen will. Erschrocken plumpst sie auf ihren Po und senkt demütig den Blick. "Ververzeiht bitte, Herrin!"
Es ist wirklich nicht zu fassen, aber all die kleinen Ungeschicklichkeiten und das Fehlen des einen oder anderen Bestandteils der Etikette, die sie bei jedem anderen Diener missbilligen und rügen, wenn nicht gar bestrafen würde, erheitern Mesherel bei Zulhamina ungemein, wenn sie sich das auch nicht bereitwillig eingesteht. Dass das Mädchen sie nicht mit Absicht oder aus Unverfrorenheit verärgern möchte, ist offensichtlich und auf irgendeine ihr unverständliche Weise hat die Kleine eine geradezu erfrischende Wirkung auf sie.
Einen Augenblick lang betrachtet sie die niedergeschlagenen Augen des Mädchens, schließt langsam die eigenen und öffnet sie wieder. 'Was für ein Unsinn. Ich habe sie schließlich nicht als Haustier gekauft, sondern als Sklavin. Das ist sie gewesen, das wird sie sein.' Sie schüttelt, ein wenig verärgert über sich selbst, das Haupt. "Pass etwas besser auf. Im Haus meines Bruders wirst du dir das nicht erlauben können." Ihre Stimme ist streng und ihr Mund ein schmaler Strich.
"Nein, da..." beginnt die Sklavin eilig aufschauend, in der Absicht, die neue Herrin in diesem Punkte zu beruhigen. Denn in dem Haus des Bruders der Herrin wird der Boden bestimmt unbeweglich sein.
Doch kaum angesetzt, unterbricht sie sich schon selbst. "Ich meine: Jawohl, Herrin... oder vielmehr nein, bestimmt nicht...?" Offenkundig ist sie sich nicht recht schlüssig, ob sie den Befehl bejahen soll oder statt dessen verneinen, dass sie sich solche Versehen weiter erlauben will. Vor lauter Aufregung hebt sie unwillkürlich die Linke empor, schiebt den Zeigefinger unter den Schleier und knabbert am Nagel.
Unwillig schüttelt Mesherel den Kopf. "Lass das!" Geradezu harsch klingen ihre Worte und eine steile Falte ist zwischen ihren Augenbrauen entstanden. Den Schlüssel hält sie jetzt in der geschlossenen Faust und ihr Kinn ist erhoben.
"Das ist eine sehr schlechte Angewohnheit!" Zwar sieht sie es nicht als ihre Aufgaben an, das Mädchen zur Dame zu erziehen, aber es geht nicht an, dass eine Sklavin in ihrem Dienst solches Verhalten an den Tag legt - wie sähe das aus, wenn Gäste zu Besuch kämen oder man mit dem Kind als Begleitung in die Stadt ginge? Sie sieht allerdings davon ab, die Hand des Mädchens von ihrem Mund wegzureißen oder auf andere Art handgreiflich zu werden.
"Was auch immer du sagen willst, es wird nicht besser, wenn du dich selbst verunstaltest." Sie seufzt und ihre Stirn glättet sich. In halb tadelndem, halb versöhnlichem Tonfall fragt sie: "Hat dir denn dein alter Besitzer kein Benehmen beigebracht?"
Sofort hat Zulhamina die Hand heruntergezerrt und halb hinter dem Rücken versteckt. Immer wieder nickt sie zustimmend, während sie artig und aufmerksam zuhört.
"Doch, Herrin, bestimmt!" erklärt sie schließlich in vollem Ernst, denn bisweilen war es eine durchaus harte und einprägsame Schule. Sie kann sich nicht erklären, warum dies bei manchen Dingen so wenig half.
Um nicht unschlüssig mit den Händen herumzufuchteln, legt sie nun auch die andere so weit nach hinten, wie es die Kette zwischen beiden zulässt. Ihr Blick zuckt wiederholt empor, um sich der Stimmung der Herrin zu vergewissern, doch bleibt er keinesfalls standhaft und flüchtet immer wieder hinab zu deren Beinen.
Nun, wie es aussieht, ist das Mädchen nur allzu bereit, Mesherels Order in Empfang zu nehmen und danach zu handeln - immerhin eine gute Voraussetzung.
Sie nickt, wirkt dabei aber nach wie vor ein wenig skeptisch und blickt Zulhamina unverwandt von oben herab an. "Bestimmt, sagst du? Nun, dann wollen wir hoffen, dass auch wahr ist, was du sagst."
Sie lehnt sich zurück, und der linke Ärmel rutscht ein Stück hoch, so dass der Schlangenarmreif sichtbar wird. 'Ob sie überhaupt sitzen kann mit den Armen auf dem Rücken? Was für ein schreckhaftes Geschöpf.' Auf einmal wirkt die Frau müde, als hätte sie etwas erschöpft, doch ihr strenger Blick weicht nicht; allenfalls scheinen ihre Gesichtszüge eingefroren zu sein, als würde jede Regung Mühe kosten.
"Und was hat dir dieser Beutelschneider sonst noch beigebracht? Was kannst du?"
Die Sänfte ruckelt kurz hin und her, als wäre einer der Träger gestolpert, und für einen Augenblick schließt Mesherel gequält die Augen. 'Keine Schwäche zeigen. Nicht vor Dienern.'
Insgeheim beschließt Zulhamina wieder einmal, eine ganz besonders brave und nützliche Sklavin zu sein - auch wenn sie bei Mufat den ständigen Eindruck bekam, dass ihr dies nie gelingen wollte.
"Beu...?" Sie stockt, als sie sich kurz festhalten muss, um nicht umzukippen.
Dann schaut sie wieder auf und ruft sich die Frage ins Gedächtnis zurück. Hat der Herr das nicht alles schon vorhin angepriesen? Doch wenn die Herrin es noch einmal hören will, ist das nur ihr Recht. "Ich durfte nähen und putzen und ein bisschen kochen und..." Sie hebt wieder eine Hand, um zum Überlegen einen Zeigefinger an die Lippen zu legen, doch dann lässt sie diese wieder hinter dem Rücken verschwinden. "Ähmja, all sowas."
"All sowas, soso..." So recht zu konzentrieren vermag Mesherel sich auf Zulhaminas Worte nicht, denn ein stetes Pochen beginnt, sich von ihren Schläfen her auszubreiten. Sie unterdrückt einen weiteren Seufzer, doch kann sie nicht verhindern, dass ihre Augen in einer unbewussten Abwehrreaktion schmal werden und ihre Stirn sich über der Nasenwurzel leicht zusammenzieht.
Automagisch hebt sie die Rechte und streicht sich über die entsprechende Gesichtshälfte, dann bemerkt sie erschrocken, dass sie ihr Unwohlsein den Augen der Sklavin preisgegeben hat. Nach einem atemlosen Augenblick senkt sie die Hand betont langsam und gemessen, bis sie wieder auf der Armlehne liegt.
Sie holt tief Luft. "Wie auch immer, wir werden schon eine Arbeit für dich finden, die nicht gar zu großes Geschick erfordert."
Keineswegs sicher, ob die Herrin Schmerzen hat oder ihr Unwillen erregt worden ist, senkt Zulhamina wieder ihren Blick, der nun doch auch ein klein wenig Mitgefühl verrät.
"Danke, Herrin", erwidert sie höflich. Als ungeschickt bezeichnet zu werden, ist ihr nicht ungewohnt. Und dabei gibt sie sich doch immer solche Mühe, eine gute Sklavin zu sein!
Nach einer Weile, in der Mesherel schweigend die Sklavin betrachtet hat, verrät eine leichte Neigung der Sänfte, dass der Weg in die Oberstadt eingeschlagen wird. Mesherel wird nach hinten gegen die Rückenlehne des Sessels gedrückt, unternimmt aber nichts, das zu verhindern.
Erneut schließt sie die Lider und es scheint fast, als wäre sie eingeschlafen, als sie nach einigen Minuten die schwarzen Augen wieder öffnet und überraschend sanft fragt: "In was für Häusern hast du bisher gedient, Kind?"
Durch die leichte Steigung muss Zulhamina um so mehr aufpassen, nicht vornüber auf Mesherels Füße zu purzeln. Angestrengt stützt sie sich mit den Händen am Boden ab, da ein Griff zu den Seiten keine festen Wände, sondern nur die Vorhänge erwischen würde.
"Was?" Erschrocken über ihre vorlaute Rückfrage würde sie sich gern beide Hände vor den Mund legen, aber die sind ja nun einmal beschäftigt. "Ähm, vor allem im Haupthaus."
Auf Zulhaminas nicht sehr respektvolle Nachfrage hin runzelt Mesherel leicht die Stirn, doch da die Kleine offenbar gewisse Probleme damit hat, sich festzuhalten, und insofern abgelenkt ist, nimmt sie es nicht gar zu übel.
"Im Haupthaus? Meist also bei vornehmen Leuten? Wer hat dich vor mir beschäftigt?" Es mag vermessen sein, eine Sklavin nach Referenzen zu fragen, aber sie wird doch nicht irgendein beliebiges junges Ding ihrer Mutter die Mahlzeiten bringen lassen. Viel zu groß ist ihr Respekt vor der Dame, der sie ihr Leben verdankt.
Ganz nach des Mädchens bisheriger Erfahrung und Arbeit wird sie ihr also eine Tätigkeit zuweisen, doch das bedarf einer gewissen Überlegung. Ein bisschen erstaunt und recht spät fällt der dunkelhaarigen Frau auf, dass sie sich vor dem Kauf tatsächlich kaum einen weitergehenden Gedanken über den Platz Zulhaminas gemacht hat, sondern sie hauptsächlich aus dem Wunsch heraus erstanden hat, sie als Bestandteil ihres Haushalts zu wissen.
Das Pochen hinter der Stirn wird stärker, je länger es bergan geht, doch den Kopf entgegen der Steigung nach vorn zu neigen, wäre noch schmerzhafter. Ihr Atem klingt ein wenig angestrengt, doch ihr prüfender Blick auf des Mädchens Gesicht ist nach wie vor fest und streng.
Verschämt sucht Zulhamina auch für ihren Blick einen Halt, da die Herrin eine ihr so unüberlegt erscheinende Frage stellt, deren Antwort der Sklavin so selbstverständlich vorkommt: "Mufat al Shadim, Herrin..." raunt sie fast nachsichtig klingend. Dann fällt ihr noch eine Ergänzung ein: "Und als Kind ganz kurz ein anderer Händler. Da war ich aber noch sehr klein."
"Dass du vorher bei diesem Aasgeier warst, ist mir schon klar", zischt Mesherel ungeduldig, dabei, durch den Kopfschmerz gereizt, heftiger als beabsichtigt klingend.
"Doch gibt es Sklaven, die in ihrem Leben mehr als einmal weiterverkauft werden, besonders wenn die Herrschaft nicht mit ihnen zufrieden ist. Schließlich sagst du ja selbst, dass du nicht von Anfang an im Besitz dieses unverfrorenen Händlers warst! Was ich allerdings auch nicht eben als Empfehlung für deine Fähigkeiten erachten würde!"
Ärgerlich verstummt sie. Wie kommt sie dazu, diesem unerfahrenen Ding Rechenschaft über ihre Fragen abzulegen? Ob sie sich getäuscht hat? Ob das Mädchen doch ein Fehlkauf war? Ihre Finger klopfen einen abgehackten Rhythmus auf der Armlehne, während sich ihre Brust aufgebracht hebt und senkt.
Zumal sie sich insbesondere über den letzten Satz der Herrin nicht recht klar wird, schweigt Zulhamina wie nach einer Strafpredigt und kaut etwas unglücklich auf der Unterlippe herum. Wieder wird sie sich bewusst, dass sie auf einen neuen, völlig unbekannten Lebensabschnitt zusteuert - ohne eine Andeutung, was man von ihr erwartet. Das bereitet ihr Furcht und Unsicherheit. Sie verspürt das Verlangen, sich zusammenzurollen, doch da die Situation ihr das nicht erlaubt, sinkt ihr Brustkasten nur noch etwas mehr ein.
Sich mühsam beherrschend fährt Mesherel sich erneut mit der Hand über die Schläfe. Was ist nur los, dass sie das Kind so anfährt, das doch nur eine Frage aufrichtig beantwortet hat? In ihrem Kopf pocht es schmerzhaft, obwohl die Träger die Steigung nun hinter sich gelassen zu haben scheinen. Ob sie immer noch so aufgebracht ist wegen des Streitgesprächs mit dem Händler? Das wird es sein, denn sonst ist es nicht ihre Art, derart unbegründet laut oder aufbrausend zu werden.
Fast setzt sie zu einer Entschuldigung an, doch kann sie sich gerade noch zurückhalten. So ein schlechtes Gewissen hat sie nun doch nicht, dass sie sich bei einer Sklavin entschuldigt!
Allerdings veranlasst sie Zulhaminas Zusammensinken immerhin zum Nachdenken darüber, wie viel Schelte das Mädchen wohl in all den Jahren, da es in der Hand Mufats war, erdulden musste. Und, was wichtiger ist, wieviele Demütigungen.
Denn den unbedingten Gehorsam eines vielgescholtenen Kindes zu erlangen ist einfacher als den eines vielgedemütigten - zumindest wenn man Wert auf eine Art von Gehorsam legt, die nicht allein auf Angst und Schrecken beruht, sondern auf einer Art... nun, Verständnis könnte man es nennen.
Um dem Mädchen nicht das Gefühl zu geben, sich überaus schlecht verhalten zu haben, fragt sie in bemüht neutralem Tonfall: "Du hast früher bisweilen gekocht, sagtest du vorhin? Nur für den Händler, oder auch für seine Gäste?"
Wieder aufschauend, plumpst Zulhamina leicht rücklings gegen die Vorderwand. Eilig bringt sie sich wieder in aufrechte Postition.
"Ichich habe aber immer nur helfen dürfen, Herrin", klärt sie auf. "Mufat hatte auch eine richtige Köchin. Aber wenn Gäste da waren, wurden natürlich alle gebraucht zum Helfen." Dabei hebt und senkt sie den Kopf unbewusst ein wenig. Zum Schluss schielt sie wieder zu Mesherel hinauf, ob diese wohl ihre Erwartungen enttäuscht sieht und wie sie darauf reagiert.
Mesherel nickt langsam und scheint ein wenig zu überlegen. Tatsächlich fällt es ihr nur nicht ganz leicht, die Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen, weshalb es ein wenig dauert, bis sie eine weitere Frage formuliert hat.
"Also dann" - mit halb geschlossenen Augen mustert sie das Mädchen, als ob sie das heute nicht schon oft genug getan hätte - "traust du dir zu, auch meiner Köchin zur Hand zu gehen? Und mit Geschirr zu hantieren, ohne dabei viel zu Bruch gehen zu lassen?"
Sie legt das Haupt ein wenig schief und beugt sich vor, um mit der Hand den Vorhang ein Stückchen beseite zu schieben. `Ein Glück, wir sind bald daheim. Ich muss mich ausruhen. Was für ein Tag!' Sie lässt den Stoff fahren und lehnt sich wieder mit fragendem Blick zurück.
Auch Zulhamina versucht, durch den kurz geöffneten Vorhang hinauszuspähen. Doch kann sie so schnell nicht recht etwas erkennen.
Zaghaft nickend erwidert sie: "Ja, Herrin, ich will ganzganz vorsichtig sein!" Insgeheim hofft sie, dass sie diese Aufgabe ohne Ketten anvertraut bekommt, doch weiß man ja nie!
Auch sie sehnt sich immer mehr das Ende dieser Reise ins Ungewisse herbei, um wenigstens wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Zudem ist sie sehr gespannt, wo sie von nun an leben wird.
Mesherel nickt. "Das ist eine gute Voraussetzung. Wirst du dir auch Mühe geben, die anderen Bediensteten nicht zu verärgern? Ich lege Wert auf Ruhe und Ordnung in meinem Haus."
Gepeinigt legt sie die Fingerspitzen der Linken nun doch an die Schläfe und drückt sie sanft massierend dagegen, sie kann sich einfach nicht länger darum kümmern, was das Mädchen denkt und ob sie die Geste als Schwäche einschätzt.
Der Ärmel rutscht ein Stück herab und lässt den Schlangenreif sehen. Gerade als die Dame zitternd Luft holt, alle Beherrschung fahren lassend, hält die Sänfte für einen Augenblick an und ruckelt ein bisschen hin und her, doch bei weitem weniger heftig als es zuvor einmal der Fall gewesen war.
Mesherel blickt auf und horcht. Ein hoher Vogelruf ist zu hören und den Schmerzen hinter ihrer Stirn zum Trotz lächelt sie.
"Ja, Herrin, ja, selbstverständlich!" sichert Zulhamina eilfertig zu.
Doch dann wird sie mehr als bisher zur Sorge um Mesherel angeregt. Ob sie wohl krank ist? Unruhig reibt sich die Sklavin am Ohr. Noch wagt sie nicht, der neuen Herrin einfach so Fragen zu stellen.
Aufgrund der mit ihren Überlegungen verbundenen Unachtsamkeit verfehlt sie beim wiederum notwendig werdenden Abstützen die Füße Mesherels nur knapp mit der Hand.
Irritiert folgt sie deren Beispiel und lauscht.
Als das Mädchen so abrupt zu ihren Füßen landet, blickt Mesherel überrascht auf sie hinab, das Lächeln immer noch auf dem schönen Gesicht. Es scheint, als hätten die Kopfschmerzen für einen Augenblick nachgelassen, doch sind sie bei weitem nicht verschwunden und so ist die Dame achtsam, ihnen nicht durch rasche Bewegungen die Möglichkeit zu geben, sich wieder zu verstärken. "Vorsichtig, Mädchen. Verletz dich nicht." Leise spricht sie, geradezu sanft, als hätte irgendetwas, was in den letzten Augenblicken geschehen ist, den letzten Rest von Ärger verschwinden lassen wie Morgennebel in der Sonne.
Sie wartet geduldig, den schwarzäugigen Blick auf der Sklavin, bis mit einem Mal die Bewegungen der Sänfte aufhören. Ein letzter Ruck geht durch das Transportmittel, dann steht es still.
Vorsichtig, um sich nicht den Kopf zu stoßen, erhebt Mesherel sich von ihrem Sessel und wendet sich nach rechts, um den Vorhang beiseitezuschieben. Zunächst ist da nichts zu sehen als frisches Grün und ein linder Hauch weht in die Sänfte hinein. Tief atmet Mesherel ein, denn hier ist die Luft ungleich sauberer und angenehmer als unten auf dem staubigen Marktplatz. Dann steigt sie behutsam aus, den Fuß auf einen Kiesweg setzend. "Komm, Mädchen, wir sind da."
Weiter...
Zulhamina / Kurzgeschichten
Redaktion und Lektorat: OHH