Geschichtliches

Autoren: Oliver H. Herde und andere

18. Boron 28 nach Hal, früher Abend

OHH

Gedankenversunken lehnt Yashkir an der dem unsichtbar fernen Land zugewandten Backbordreling. Dies tut er in aller Vorsicht, da er seine wie üblich empfindliche Gewandung vor möglichen Holzsplittern schützen möchte. Insbesondere um das kurzärmelige rote Kleid mit der prächtigen Pfaustickerei auf der Vorderseite wäre es doch sehr schade. Aber auch das schwarze Hemd darunter ebenso wie die blaue Pluderhose aus ähnlich glänzenden Stoffen sollen unbeschadet bleiben.
Sein Blick gilt zwar den Anglern, insbesondere den weiblichen, doch ist er im Moment nicht recht bewusst bei ihnen.
Ob Beonora ihm aus dem Wege geht? Oder hat sie nur den Kopf voll von ihrer Hexenzirkelpolitik? Mit Unwohlsein oder Müdigkeit kann das alles jedenfalls nichts mehr zu tun haben. So oder so kann Yashkir seine Hoffnungen und Träume wohl erst einmal an den nächstbesten Belegnagel hängen. Rätselspiele sind eben nur so lange faszinierend, wie sich Fortschritte zeigen.
Langsam wendet Yashkir seinen Kopf hinab zu den lauen Wellen, auf welchen sich in einigen Schritt Entfernung undeutlich sein Schatten bricht und in immer wieder neuer Gestalt auf dem vergleichsweise riesigen Schiffsrumpfsschatten einherreitet.
Nach einer Weile des gedankenverlorenen Dahinstarrens - dabei möglicherweise im Ozean entstehende Löcher laufen gegebenenfalls sofort wieder voll - geht ein kleiner Ruck durch Yashkir. Das Herumgebrüte bringt ja nichts! Er sollte wohl lieber an seinen Geschichten weiterschreiben.
Ein neues Märchen von Prinzessin Gutemine oder doch lieber... eine Geschichte für spezielle Erwachsene? Möglicherweise wird er sich auf ersteres gar nicht konzentrieren können. Aber man kann die Entscheidung ja aufschieben bis in die Kabine, denn er muss eh erst das Schreibzeug heraufholen.
So richtet er sich etwas träge auf, reckt sich, dann wendet er sich ab und der Treppe auf der anderen Seite des Decks zu.

JaR

Unweit jenes Niedergangs, auf den Yashkir zugeht, steht die Viertelelfe an der Reling und harrt darauf, dass sich mit der Angel in ihren Händen etwas tut. Ein leichtes Rucken geht nun hindurch, gefolgt von einem deutlich stärkeren Ruck, als Uyna selbige kurz emporreißt, damit der Haken sich im Maul des Fisches fest verfängt. Vorsichtig, um den Fang nicht im letzten Moment doch noch einzubüßen, beginnt sie, die Angelschnur einzuholen.

OHH

Zwar bemerkt Yashkir durchaus den Erfolg der jungen Mischlingsfrau, doch kann man keineswegs von regem Interesse daran sprechen. Wenn er sich den Fisch vorstellen müsste, welcher dort gewiss schmerzhaft am Haken hängt, würde ihm dieser wohl leid tun. So ist das eben, wenn man seine Nahrung üblicherweise nicht selbst fängt. Womöglich wäre Yashkir allein in der Wildnis längst zu einem Vegetarier geraten, zumal Waldfrüchte nun einmal nicht davonlaufen.
So bückt er sich nach der Luke, diese zu öffnen.
Stufe um Stufe sinkt Yashkir in den halbdunklen Schiffsbauch hinab, die Luke trotz des schönen Wetters etwas widerwillig hinter sich schließend. Es gibt ja so Seeleute, die jede Gelegenheit wahrnehmen, sich über das, was sie für Landratten halten, zu erregen. Und Yashkirs Streitlust hält sich wie meistens in zaghaften Grenzen. Sorgsam leise kommt Holz auf Holz zu liegen.
Am unteren Ende der Treppe angelangt, öffnet Yashkir die Tür nahebei, um zunächst nur einen Blick in die Gemeinschaftskammer zu werfen. Man muss sich ja erst einmal orientieren, ob sich hier jemand aufhält, mit dem man im dümmsten Falle zusammenstoßen könnte. Zudem will Yashkir auch nicht unbedingt jemanden wecken, wenngleich er für am Tage schlafende Personen grundsätzlich wenig Verständnis aufzubringen vermag.
Als hätte er es geahnt - nein, vielmehr HAT er es ja geahnt - steht Yashkir tatsächlich sogleich jemand gegenüber. Ein Stabträger, mehr ist im ersten Moment und bei der schlechten Beleuchtung nicht auszumachen. Das muss dieser Verrückte sein, der in Lhasor zugestiegen ist und bisher immer tagsüber geschlafen hat. Möglicherweise ist er ja nun so weit gesundet, dass er etwas daran ändern will. Oder er muss lediglich einmal austreten.
Noch während dieser schnell auf Yashkir einstürmenden Gedanken, tritt der hagere Südländer, den man einzig an der Kleidung als solchen erahnen kann, etwas beiseite, um den Entgegenkommenden erst einmal heraus zu lassen.

PN

"Huch!" entfährt es dem Stabträger als die Türe so unerwartet aufschwingt und jemand vor ihm steht. "Ähmm..." entgleitet es als nächstes seinen schmalen Lippen in dem so bleichen Gesicht. "Die Götter zum Gruße. Ihr wollt auch etwas ruhen?" fragt er ihn dann und tritt etwas beiseite. "Nur herein - habt jetzt die Kammer ganz für Euch."

OHH

"Wirklich!?" Etwas überrascht schaut Yashkir in den Raum hinein, kann jedoch auf Anhieb wenig erkennen, solange er nicht richtig drinnen ist. Unschlüssig steht er noch auf dem Gang, da es normalerweise klüger ist, Leute erst aus einem engen Raum herauskommen zu lassen, bevor man ihn selbst betritt.
"Hm, nein, ruhen will ich keineswegs", erinnert er sich an die Frage. Es juckt ihn, noch allerlei Bemerkungen darüber zu machen, unter welchen widrigen Umständen bei ihm ein Tagesschlaf denkbar wäre. Allerdings wäre damit kaum etwas gewonnen außer vielleicht ein Mensch, der ihn für lästig befindet. "Ich hole nur etwas. Wollt Ihr nicht zuerst heraustreten?"

PN

Nestario nickt zustimmend. "Erscheint geschickter bei zweiter Betrachtung..." Und so tritt er weiter vor, um die Kammer zu verlassen.

OHH

Lächelnd lässt Yashkir den anderen Stabträger heraus, dann bewegt er sich selbst in die Türe und blickt nochmals suchend hinein. Viel erkennt man ja wirklich nicht, aber Yashkir ist es geübt, sich im Dunklen zu bewegen. Von irgendwoher glaubt er Atemgeräusche zu vernehmen, aber das könnte ebensogut eine Sinnestäuschung sein oder vom Knarren des Schiffes herrühren.
In dieser Finsternis wird Yashkir dazu nichts Näheres herausfinden, wenn er nicht in die Kojen hineingreift - und dies hat er gewiss nicht vor. Auch aus dem Gang kommt es eher dunkel herein, aber Yashkir will ja nur seine Schreibutensilien hervorholen.
Tastend orientiert er sich und hat alsbald alles gefunden, was er sucht. Allerdings ist er sich noch immer nicht recht schlüssig, was er denn nun schreiben will. In seiner ein klein wenig düsteren Stimmung - wie passend zur gegenwärtigen Beleuchtung übrigens! - wäre eine weitere Geschichte von Prinzessin Gutemine vermutlich nicht leicht aus dem Handgelenk zu schütteln...

PN

Nestario wirft noch einen letzten Blick in die Kammer hinein, aus der er kam und in der Yashkir nun vom Halbdunkel verschlungen worden ist. Dann steigt er die Stufe zum Deck hinauf.

OHH

Oder wäre es ganz gut, sich mit der Prinzessin die Laune zu heben? Kinder sind bisweilen ein ganz besonderer Balsam, selbst wenn man sie sich nur ausgedacht hat. Vielleicht gerade dann.
Trotzdem, die Lust ist stärker. Ja, wenn Gutemine ihn bei der Hand nehmen würde...! So aber bleibt der ihr gewidmete Foliant an seinem Platze liegen, und statt seiner wandert die Lederrolle mit den darin befindlichen losen Papieren und Pergamenten in Yashkirs Hand.
Ein letzter Rundumblick ergibt... Schwärze. Aber was sollte er außer Schreibmaterial noch benötigen! Zudem: Wenn er noch einmal herunterkommen muss, schadet das gar nichts, hat er doch Zeit und Bewegungsmangel im Überfluss.
Mit Rolle, Feder und Tintenfässchen bewaffnet, verlässt er daher den Gemeinschaftsraum wieder.
Umherwuselnde Matrosen werden wie zumeist ignoriert, als Yashkir die Stiegen wieder emporklettert. Immerhin muss er auch ein klein wenig auf sein Gleichgewicht achten, hat er momentan doch keine Hand frei. Andererseits ist er diese steilen Treppen ja nun hinreichend gewohnt. Beim Aufstemmen der Luke kommt ihm aber wieder einmal in den Sinn, wie geeignet der Moment doch zum Lüften des Schiffsbauches wäre.
Nachdem Yashkir die Utensilien wieder aufgenommen hat, die er teilweise zwecks leichterer Handhabung der Luke auf den Boden legte, schaut er sich an Deck um. Ein geeigneter Platz ist gefragt, wo man nicht von umhergeschwungenen Agelhaken oder zappelnden Fischen getroffen werden kann, aber andererseits auch niemanden stört oder im Wege herumsitzt.
Die besten Stellen sind wohl wieder beiderseitig des Heckaufbaus sowie zwischen Beiboot und Treppe zum Vordeck. Einen Windschutz braucht es zwar momentan kaum, aber schaden kann der auch nie. Mehr noch wollen die Lichtverhältnisse berücksichtigt sein. Hell, nicht aber blendend.
Da alle drei Plätze etwa die gleichen Bedingungen bieten, entscheidet sich Yashkir schlussendlich für den Bereich achtern steuerbord neben der Suite, zu welchem er sich nun wendet.
Bei der Annäherung geht Yashkir allerdings auf, dass dort hinten ja die Abort-Stelle liegt. Da möchte er lieber nicht im Wege sitzen. So wendet er sich wieder ab und schaut noch einmal über das Deck. Wenn er so weitermacht, wird er bis Brabak keine einzige neue Zeile zustandebringen!
Da es neben der Kapitänskajüte aufgrund des Sonnenstandes etwas dunkler ist, schreitet der unbezahlte Schriftsteller zum Beiboot hinüber, wo er schon gelegentlich saß.
Da er sich unbeobachtet fühlt, fällt Yashkirs Ächzen beim Niederlassen neben jenem Boot recht untheatralisch aus und dient eher dem Selbststreicheln. Das Tintenfässchen wird auf den Boden abgesetzt, dann öffnet Yashkir die Rolle und holt allerlei Papiere und Pergamente hervor, die er oberflächlich sichtet. Wo war er gleich stehengeblieben?
Da ist das gute Stück, Träger seiner letzten Zeilen des noch recht kurzen Romanfragments. Wer sich wohl eines Tages dafür interessieren wird? Aber danach fragt ein wahrer Schriftsteller nicht; er schreibt, weil ihn seine Fähigkeit dazu treibt. Geld ist etwas für Handwerker.
So eilen Yashkirs Blicke über die abschließenden Schriftzüge: 'Ein Wasserschwall holte ihn ins Bewusstsein zurück. In den Knebel prustend, blickte er zu der Achmad Sunni empor, welche soeben einen Ledereimer beiseitestellte.' Ach ja, die Ankunft...
Unwillkürlich stellt sich Yashkir für einen Moment Beonoras Antlitz hinter dem Schleier jener Frau in seiner Geschichte vor. Über sich selbst die Stirne runzelnd, öffnet er das Fässchen, tunkt die Feder hinein und versucht sich am Folgesatz.
Da Unterbricht in der Ruf aus dem Mastkorb, das Land backbord in Sicht käme. Aufschauend reckt er den Hals, doch von seiner tiefen Position aus kann er nicht mal über die Reling blicken, geschweige denn über die Vordertrutz. 'Backbord? Sicher, wo sonst? Wo war ich...? Ach ja.'
Wiederum kratzt die tintegetränkte Feder über das Papier: 'Tatsächlich befanden sie sich am Rande einer Oase.'
Nach und nach versenkt sich Yashkir tiefer und tiefer in die Szene, welche er mit eher allgemeinen Worten passend zu dem leicht nebelhaften Bild in seiner Vorstellung auf das Blatt bannt. Sein Fokus liegt anderswo - in der sich bildenden Beziehung seiner beiden Handlungsträger ebenso wie in ihren noch umherirrenden Gefühlen und der Situation als solcher. Manchem würden sich hierbei gewiss die Nackenhaare aufstellen, doch Yashkir gewinnt zwischenzeitlich immer wieder ein verträumtes Lächeln.
Die Feder wird über das Papier wie der Gefangene durch die Oase geführt. Für Yashkir bedeutet schon die Abgeschiedenheit eine gewisse Romantik. Dergleichen erlebt man in Städten wie Al'Anfa oder Brabak ja eher nicht, wo man von der Einsamkeit reichlich haben kann, ohne je wirklich allein zu sein. In der Geschichte erscheitn ihm dies genau anders herum, mag zwischen den beiden Gestalten auch noch kaum eine Andeutung von Harmonie bestehen. Die Situation wird sie früh genug dazu zwingen - nicht nur ihn, den Sklaven. Kurz schaut Yashkir auf, als jemand in seiner Nähe vorüberläuft. Herumrennende Matrosen sind nicht gerade konzentrationsförderlich, aber wenn man irgendwann ankommen und nicht vorher sinken will, muss man sowas inkaufnehmen. Bei einer Landreise könnte er sich nicht so - nun gut, gemütlich wäre übertrieben - bar körperlicher Anstrengung um seine Geschichten kümmern.

Drei Tage später in Brabak...


Übersicht Yashkir

Redaktion und Lektorat: OHH