Überraschter Besuch

Bald nachdem sie geklingelt hatte, hörte sie hinter der Tür schnelle, kurze Schritte sich nähern. Eine Pause ließ sie darauf schließen, dass von drinnen durch den Spion gespäht wurde, dann schwang die Wohnungstüre auf.
»Guten Tag, ich...« Der unerwartete Anblick brachte sie gedanklich und verbal zu Fall.
Ein hagerer Mann in Schwarz mit langen blonden Haaren hatte ihr geöffnet. Sein Gesicht wurde von schwarzen Lederriemchen aufgeteilt, die wohl dazu dienten, so etwas wie einen Ball in seinem halb geöffneten Mund festzuhalten. Zudem war er mit einem Seil gefesselt. In verschiedenen Windungen lag es eng um Oberarme und Rumpf und hielt offenbar auch die Hände irgendwie auf dem Rücken fest. Seine rote Farbe bot auffälligen Kontrast zu der schwarz glänzenden Bluse.
Jetzt fiel der jungen Besucherin auch auf, dass der Mann Frauenkleider trug: Zu der Bluse einen Minirock, an den die atemberaubend hohen Schäfte der Stiefel fast heranreichten. Doch blieb durchaus genügend Spielraum, die Netzstrumpfhose darunter zu erkennen.
Sollte sie ihn befreien? Um Hilfe rufen? Flüchten? Er wirkte ganz ruhig, in keiner Gefahr, und stellte in diesem Zustand auch sicherlich keine für sie dar. Außerdem senkte er nun scheu und sichtlich verlegen den Blick. Ihn zu fragen, ob alles in Ordnung sei, kam ihr etwas unpassend vor.
Da bemerkte sie, wie er ihr einen Zettel hinhielt. Die Hände waren scheinbar an den gegenüberliegenden Ellenbogen festgebunden, dass die Unterarme parallel auf dem Rücken lagen. So konnte er einigermaßen problemlos nach rechts und links greifen.
Natürlich sagte sie erst einmal nichts, um nicht gedanklich in die falsche Richtung zu galoppieren und dumm daherzureden. Sie war ohnehin noch zu perplex. Der Zettel würde sicherlich manches erklären, also nahm sie ihn an sich. Nach einem unschlüssigen Blick auf das geknebelte Gesicht, begann sie zu lesen:
Gebrauchsanweisung für die Sklavin

Bitte erschrecken Sie nicht, werte Leserin! Die Ihnen gegenüberstehende Person hat sich freiwillig in diese Lage begeben. Es gehört zu einem Spiel. Wie weit sie darauf eingehen, bleibt ganz Ihnen überlassen. Wenn Sie jedoch nicht gleich wieder gehen wollen, beachten Sie bitte ein paar Punkte, um das Spiel nicht zu zerstören:
Die Sklavin darf nicht befreit werden und die Wohnung nicht verlassen. Sie darf nicht geschlagen werden oder sonst körperlichen Schaden nehmen. Dazu zählt auch absolutes Rauchverbot.
Erklären sie ruhig der Sklavin, weswegen sie gekommen sind; sie wird Ihnen gemäß ihren Möglichkeiten weiterhelfen. Wenn eine Unterhaltung notwendig sein sollte, ist es erlaubt, das Knebelgeschirr für diese Zeit zu entfernen. Achten Sie vor dem Gehen aber bitte darauf, dass es wieder fest an seinem Platz sitzt. Auch die anderen Fesseln dürfen variiert werden, wenn Sie sie vor Ihrem Abschied in den Urzustand zurückführen.
Die Sklavin hat Besucherinnen mit 'Herrin' anzureden. Sie selbst sollte natürlich als Sklavin bezeichnet und geduzt werden.
Da sie diesen speziellen Zettel erhalten haben, ist es Ihnen sogar erlaubt, zudringlich zu werden.
Die junge Frau schluckte. Der Nachsatz erklärte zumindest, warum man schon in der Anrede wusste, dass es sich um eine Leserin handeln musste. Der Mann musste verschiedene Zettel haben, aus denen er nach seinem Blick durch den Spion auswählen konnte. Oder vielleicht öffnete er gar nicht jedem. Schwul war er jedenfalls wohl nicht.
Aber das ging sie ja eigentlich sowieso nichts an. Sie schaute zu ihm auf, blickte wieder auf das Blatt. Wie nun weiter?
Nachdem sie sich langsam wieder gefasst hatte, konnte sie dem Mann und der Situation einen gewissen Reiz nicht einmal absprechen. Er sah tatsächlich sehr niedlich aus in dem Mini und in seiner Hilflosigkeit. Geduldig wartete er in der offenen Tür, wie sie entscheiden würde. Den Blick etwas gesenkt, verlagerte er auf den hochhackigen Stiefeln ein wenig das Gewicht hin und her. Dabei entdeckte sie ein neues Detail: Eine kurze Kette verband die Ledermanschetten an seinen Fußgelenken.
Mühsam rang sie um Worte: »Ähm... Ich komme wegen... Ich mache eine Umfrage für meine Diplomarbeit. Es geht um Essensgewohnheiten.« Sie musste sich räuspern. »Wären Sie bereit, daran teilzunehmen?«
Nun war es raus. Zumindest für einen Moment hatte sie die Initiative an den Mann abgegeben. Was für eine bizarre Situation! Eine wissenschaftliche Umfrage bei einem gefangenen Transvestiten!
Doch der Mann nickte bereitwillig. Sie vermeinte, sogar ein freundliches, ja fröhliches Lächeln um den Knebelball herum erkennen zu können. Dies flößte ihr etwas Mut ein und machte ihr den Mann geradezu sympathisch.
Er trat ein wenig seitlich zurück, damit sie eintreten konnte. Sollte das eine Falle sein? Sie wusste den Schauder nicht recht einzuordnen, der sie ergriffen hatte. Doch als er sich nun noch ein klein wenig beugte, um einladender oder unterwürfiger zu wirken, fasste sie sich ein Herz. Gerade aufgerichtet ging sie an ihm vorüber in den schmalen Flur und drehte sich dort wieder zu ihm um.
Eine dünne Leine fiel ihr auf, die längs des Korridors führte und eine Öse an der Rückseite seines breiten Lederhalsbandes mit einem Haken an der Decke am Ende des Raumes verband. Vermutlich sollte ihn das davon abhalten, der Wohnung zu entfliehen.
Mit dem Po schob er die Wohnungstür zu, dann ging er den Flur entlang. Seine Schritte wirkten recht sicher und geübt, wenn man bedachte, dass seine Absätze sicherlich immerhin 6 oder 7 Zentimeter Höhe maßen und er ja auch durch die Gehfessel behindert wurde.
Eilig schaute sich die Studentin um. Nirgends entdeckte sie Schlüssel, also war es wenig wahrscheinlich, dass er sie einsperren konnte - wenn er allein war. »Moment bitte!«
Er blieb stehen und schaute fragend.
»Ich... Darf ich mich erst einmal umsehen? Verstehen Sie mich bitte recht; ich möchte mich nicht... ich...«
Mehrmals nickte er, um sie zu beruhigen. Dann lud er sie mit einem leichten Kopfschwenker ein, überall hineinzuschauen.
Die Wohnung war nicht sonderlich groß. Es gab nur vier Türen von der Diele weg, die zu Bad und Küche und zu dem Schlaf- und dem Wohnzimmer führten. Alles wirkte gepflegt und halbwegs ordentlich - keine weiteren Personen, keine Foltermöbel. Die Studentin wäre sich albern vorgekommen, nun auch noch unter dem Bett oder in den Schränken zu schauen. Wenn es dort überhaupt jemanden zu finden gegeben hätte, wohl am ehesten noch einen Gefesselten.
Der Gedanke zauberte ihr ein Lächeln ins Antlitz, das über Beruhigung hinaus Belustigung verriet. Fast war es ihr peinlich, so misstrauisch gewesen zu sein.
Aber der Mann signalisierte durch seinen freundlichen Ausdruck, dass er ihre Vorsicht gut verstand. Mit einem aufmunternden Brummen in seinen Knebel hinein forderte er sie auf, ihm zu folgen, und führte sie ins Wohnzimmer.
Mit einer Kopfbewegung gestand er ihr die freie Auswahl zwischen den um einen runden Tisch herum versammelten beiden Sesseln und dem Sofa zu. Sie ließ sich auf letzteres nieder und erfasste noch einmal die geschmackvolle Einrichtung, die durchaus auch von einer Frau stammen konnte. Dann schaute sie wieder auf den Gefesselten, der auf irgend etwas zu warten schien. Das schluckende und fragende Geräusch verstand sie nicht. Statt dessen klopfte sie auf den Platz neben sich auf dem Sofa. »Kommen Sie; ich will doch einmal sehen, ob wir uns nicht vernünftig unterhalten können!«
Wiederum neigte er verschämt den Kopf, bevor er sich zu ihr setzte. Eine charmante Sklavin!
Zum Glück stellte das Knebelgeschirr keine komplizierten Anforderungen.
»Möchtet Ihr etwas zu trinken, Herrin?« plapperte er sogleich los.
Sie stutzte ob der förmlichen und etwas altertümlich wirkenden Anrede und musste dann fast lachen. »Ja, na gut, gern.« Den Knebel legte sie auf den Tisch, ohne den Speichel daran recht zu bemerken oder sich gar an ihm zu stören.
»Und was, Herrin?«
Dieser Kerl war wirklich zu putzig! Offensichtlich ging er sehr in dem Spiel auf und nahm es recht ernst, die Rolle gut zu erfüllen. Möglicherweise war er auch nur ein guter Gastgeber. Schmunzelnd stellte sie die Gegenfrage: »Einen Saft, wenn Sie, äh, Ihr...«
Schon erhob er sich eilfertig und erklärte dabei: »Ihr dürft mich duzen, Herrin; ich bin eine Sklavin.« Damit trippelte er aus dem Zimmer hinaus.
Immer noch oder schon wieder fassungslos starrte sie ihm nach. »Soll ich etwas helfen?« rief sie ihm nach.
»Nicht nötig, Herrin!«
Sie brauchte nicht lange zu warten, da erschien er auch schon wieder, in der Linken eine Flasche Multivitaminsaft, in der Rechten ein Glas. In einer kleinen Verrenkung stellte er zunächst das Glas vor der Besucherin auf den Tisch. Geschickt hielt er die Flasche mit drei Fingern am Halse und versuchte, sie mit Daumen und Zeigefinger aufzuschrauben. Leider war sie noch neu, dass er die nötige Kraft nicht aufbrachte.
»Schon gut.« Die Studentin nahm ihm die Flasche ab und drehte den Verschluss unter dem bekannten Klickgeräusch auf, um sich einzugießen. »Trinken Sie nicht mit?«
»Ihr dürft mich duzen, Herrin«, versuchte er es noch einmal.
»Achja. Also gut: Möchtest du nichts?«
»Die Gläser haben einen zu kleinen Durchmesser, dass ich sie mit den Zähnen nicht halten kann«, erklärte er.
»Dann füttere ich dich eben. Komm her!«
Er kniete sich vor sie, was erst ihr und dann auch ihm ein teils scheues, teils schelmisches Lächeln entlockte. Dann setzte sie das Glas vorsichtig an seine Lippen.
Nachdem er getrunken hatte, klopfte sie schmunzelnd wieder neben sich aufs Sofa und bediente sie sich auch selbst vom Saft.
Als er sich setzte, schlug er in einer sehr feminin-verführerischen Bewegung die Beine übereinander, dass ihr wohlig schauderte. Was für ein ungewöhnlicher Mensch! Sie musterte ihn noch immer ein wenig zurückhaltend, doch gefiel ihr immer mehr, was sie sah - und ihm offenkundig, wie sie ihn anschaute.
»Darf ich etwas fragen?«
»Natürlich, Herrin, alles!«
»Auch außerhalb des Spieles?«
»Sicher. ...Herrin.«
Sie musste sich schon wieder ein Lachen verkneifen. »Na gut: Wer hat dich so hergerichtet?«
»Eine befreundete Bekannte. Leider habe ich keine eigene Herrin, aber ich darf für ein paar Stunden auf ihre Wohnung aufpassen. Es ist mal ein Experiment.«
»Soso, aufpassen...« Sie konnte mit dem Lächeln gar nicht mehr enden. »Und womit vertreibst du dir die Zeit?«
»Ich lese zum Beispiel.« Ein Nicken wies zum aufgeschlagenen Buch auf dem Tisch.
Das konnte sie sich nicht recht vorstellen. »Aber... Wie blätterst du denn um?«
"Aber Herrin, meine Finger sind doch frei!"
Sie amüsierte sich köstlich und stellte noch viele Fragen, die er allesamt mit einer oftmals entwaffnenden Ehrlichkeit beantwortete. Manche so ausführlich, dass sie schmunzelnd zum Knebel schielte. Allerdings war sie viel zu neugierig geworden, dass sie ihn im Grunde gerne reden hörte, zumal er eine recht angenehme Stimme hatte. Ohne die Uhr im Wohnzimmerschrank hätte sie wohl allzu leicht die Zeit und auch den eigentlichen Zweck ihres Hierseins vergessen. So aber konnte sie mit ihm nach einer geraumen Weile auch noch die vorbereitete Umfrage erledigen.
Schließlich erklärte sie: »Nun muss ich aber wirklich gehen!« Gerade wollte sie aufstehen, als er sie an den Knebel erinnerte.
»Achja!« Erfrischt lachend griff sie danach. »Dann dreh dich mal um!«
Gehorsam folgte er dem Befehl und setzte sich etwas schräg mit dem Rücken zu ihr. Sich um ihn herum vorbeugend, führte sie den Knebel zu seinem geschlossenen Mund. »Na, was! Mäulchen auf!«
Er schmunzelte wieder höchst befriedigt in seiner scheuen Art, die ihr so gefiel. Dann gehorchte er auch hierauf und öffnete den Mund weit, beinahe erwartungsvoll gierig.
Sie schob den Ball hinein und zog dann die Schnallen am Hinterkopf zusammen. »Zu eng?«
Er schüttelte deutlich den Kopf. »Fefpa!«
»Fester?«
Er nickte eifrig, also zog sie die kleinen Riemen enger, bis er zufrieden war. Anschließend rückte er sich wieder so hin, dass sie einander anschauen konnten.
Es tat ihr irgendwie gut, ihn so wohlaufgelegt zu sehen. Ein Gefühl sagte ihr, dass sie ihm heute einen sehr großen Gefallen getan hatte. Ihr Blick fuhr sein geknebeltes Gesicht entlang, die lieben Augen, das kantige Kinn, die langen und etwas gewellten blonden Haare...
Ihrer Intuition folgend, legte sie ihm die Hand auf den Oberschenkel unterhalb des Rocksaumes - eine Berührung, unter der er erregt einatmete. »Du bist eine süße Sklavin«, erklärte sie. Sein schüchternes Lächeln entschädigte sie erneut für den Schreck zu Beginn ihres Besuches und lenkte sie zudem davon ab, sich über die eigenen Worte zu wundern.
Als sie dann die Stufen im Treppenhaus beschwingt hinabschwebte, sausten ihr Bilder der Erinnerung durch den Geist, aber auch Gedanken um die Zukunft. Ja, sie wollte diesen bezaubernden Mann wiedersehen, von dem sie noch nicht einmal den Namen kannte.

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