Überraschender Besuch

Etwas länger als eigentlich nötig schaute sie auf das Namensschild neben der Tür, bevor sie läutete.
Da Olli keinen Besuch erwartete, vermutete er, es sei der Nachbar mit irgendeinem kleinen Anliegen. Dieser hatte ihn schon gelegentlich im Rock angetroffen, ohne dass man je über dieses Thema gesprochen hätte. Wozu auch! Dennoch war es für Olli sehr angenehm, sich nicht mehr verstecken und jedes Mal eilig umziehen zu müssen, wenn es klingelte. Er zog Rock und Bluse nur ein wenig zurecht, als er auf die Wohnungstür zu trat.
Statt des Nachbarn wartete dahinter jedoch eine wie in alten Filmen oder Comics mit einem Tuch vor Mund und Nase vermummte Gestalt, die eine grüne Wasserpistole auf ihn richtete. Trotz der Maskierung erkannte er die Studentin wieder, welche ihn vor wenigen Wochen ganz zufällig in Fesselung und Frauenkleidern bei einer Freundin angetroffen hatte. Diese fröhlich strahlenden Augen, dieser leicht lüsterne Blick hatten es ihm schon beim ersten Male sehr angetan.
Ja, sie lächelte unter dem Tuch über den knöchellangen schwarzen Rock mit dem verspielt gewellten Saum und die etwas zu groß geratene gelbe Bluse, von welcher sich ein wiederum schwarzer breiter Stoffgürtel gut abhob.
Dann aber erinnerte sie sich daran, weswegen sie eigentlich gekommen war. Mit einem kleinen Schwenken der Pistole bedeutete sie ihm, von der Türe zurückzutreten.
Er gehorchte dem stummen Befehl und versuchte, auch seine Mimik langsam auf das unverhoffte Spiel einzustellen. »Was... Was wollen Sie?«
Sie folgte ihm in gleichbleibendem Abstand in den Flur und schloss die Tür hinter sich. »Sei still!« Aus der Jackentasche holte sie ein fast fingerbreites kurzes Seil hervor. »Auf die Knie mit dir!«
»Was wollen Sie denn?« wiederholte Olli gespielt beunruhigt.
»Du sollst doch still sein! Los! Lege dich auf den Bauch!«
Von der Wasserpistole bedroht, folgte Olli nun doch der Anweisung. Jedoch ließ er es sich nicht nehmen, das aufgeregte und geschwätzige Opfer zu mimen: »Wollen Sie Geld? Es ist nicht viel da, aber...«
»Ruhe jetzt!« Sie setzte sich auf seinen oberen Rücken und konnte somit beruhigt die Waffe für den Moment beiseitelegen, um ihm die Hände hinten überkreuz zusammenzubinden. »Hast du eine Wäscheleine oder sowas?«
Für einen Augenblick kam Olli der alberne Gedanke, ihr das Gestell anzubieten, auf dem er seine Wäsche trocknen ließ. Doch er verkniff sich dies, war er doch zu begierig, wirklich hilflos gemacht zu werden. Eigentlich hätte er nur gerne noch ein wenig das Gewicht auf sich genossen.
»Ich habe dich etwas gefragt!«
»In der untersten Schublade«, schnaufte er kurzatmig, »in der Kommode im Zimmer...«
Sie hielt ihm die Pistole in den Nacken und zog ihn am Arm empor. »Steh auf und führe mich hin!«
Wieder gehorchte er. Vor dem Schränkchen hatte er sich erneut hinzuknien.
Als sie die Schublade herauszog, konnte sie sich ein Freudestrahlen nicht verkneifen. Wie gut, dass sie noch maskiert war! Hier fand sich die erhoffte Sammlung an Fesselutensilien. Olli hatte sie also richtig verstanden. Verschiedene Seile und Tücher lagen hier halbwegs ordentlich versammelt. Leider gab es nicht so ein schönes Knebelgeschirr wie bei seiner Bekannten, dafür aber einen Rest breiten Klebebandes.
»Was haben Sie denn nur vor?«
»Ich werde dir wohl zuallererst das Maul stopfen müssen.« Sie nahm die Kleberolle heraus.
»Stopfen? Damit?«
Sie begriff, worauf er anspielte und holte auch noch eines der kleinen Baumwolltücher hervor. »Maul auf!«
»Aber ich bitte Sie...!«
Der Rest wurde von dem Tuch erstickt, das sie ihm mit sanfter Gewalt zwischen die Zähne schob. Dem gespielt vorwurfsvoll-traurigen Blick zum Trotze verschloss sie seine Lippen mit dem Klebeband. »So gefällt mir das schon besser.«
Zweifellos hätte Olli dies bestätigt - wenn man ihn gefragt hätte.
Sie setzte sich hinter ihn auf seine angewinkelten Unterschenkel und wand ihm das längste Seil mehrfach fest um Oberkörper und Arme. »Falls ich dir den Knebel noch einmal abnehme, und dir zu sprechen erlaube, wirst du mich nur noch mit 'Herrin' ansprechen, ist das klar?« Nach kurzer Pause fragte sie noch einmal schärfer: »Ob das klar ist!«
Olli nickte eilig.
»Senke den Blick vor deiner Herrin!«
Ein wenig gespielt verzweifelt und demütig ließ er den Kopf hängen.
»Und du wirst auf 'Sklavin' hören. Trägst du etwa keinen BH?«
Scheu schüttelte er sein Haupt, ohne aufzublicken.
»Unglaublich! Solche Flausen werde ich dir austreiben!« Nach einem kurzen Rundblick durchs Zimmer, bei dem sie den Kleiderschrank erkannte, kümmerte sie sich erst noch weiter um ihre männliche Gefangene und die Dinge in der Schublade.
Ein Lederhalsband wurde zutage gefördert, welches wohl einmal einem Hund gehört hatte oder für einen solchen gedacht gewesen war. Dieses legte sie Olli um. An der Öse vorn befestigte sie eine recht kurze Lederleine. Daran zog sie ihre neue Sklavin zum Sofa und band es dort an einem der Beine fest, dass Olli an jener Stelle tief gebeugt am Boden hocken bleiben musste. Da er wohl allzu leicht an seine Fußgelenke kam, verzichtete sie einstweilen, diese ebenfalls zusammenzubinden. Von seinem Platz kam er ohnehin nicht mehr fort.
Statt dessen erhob sie sich und wandte sich dem Kleiderschrank zu. Genüsslich und sorgfältig schaute sie sich alles an. Das meiste war in Schwarz gehalten: Pullis, Socken, Unterwäsche... Schnell stieß sie auch auf die glatten Stoffe, die er so liebte. Blusen, Hemdchen, Röcke, Kleidchen, weiter hinten ein Paar ellenbogenlange Satinhandschuhe gar und endlich auch Damenunterwäsche, darunter ein sparsam rüschiger Büstenhalter mit Bügeln.
Bis hierhin hatte Olli die Situation sehr gefallen. So wehrlos einer Frau ausgeliefert zu sein, die sich für seine intimsten Vorlieben interessiert, hatte er sich immer erträumt. Als sie nun aber den kleinen Koffer vom Schrank holte und alle ihr gefallenden Kleidungsstücke einpackte, wurde ihm doch ein wenig mulmig. Wollte sie ihn richtig entführen? Im Grunde eine ungemein anregende Vorstellung. Aber er kannte sie doch kaum! Nicht einmal ihren Namen wusste er! Was, wenn sie Dinge mit ihm vorhatte, die ihm nicht gefielen? Und seine Freundschaften wollte er ja auch nicht aufgeben!
Er versuchte, sich zu beruhigen. Letztendlich hätte sie ja schon neulich sonstwas mit ihm tun können. Die mit ihm durchgehende Phantasie ließ ihm jedoch keinen Frieden. Wie wollte sie ihn überhaupt ungesehen aus der Wohnung bekommen?
Das Tuch, welches seinen Rachen so weitgehend ausfüllte, hatte inzwischen alle Feuchtigkeit aufgesogen, und mit einem Male erschien es ihm im Zimmer furchtbar stickig und warm.
Unvermittelt hockte die Studentin neben ihm. Offenbar hatte sie irgendwie mitbekommen, dass etwas nicht stimmte. »Alles in Ordnung?« fragte sie besorgt. Da er dies mit einem müden Stöhnen beantwortete, nahm sie ihm den Knebel ab. »Ist dir schlecht?«
Dies war ihm so peinlich! Schwer atmend versuchte er zu erklären: »Es... Ich... Entschuldige, ich habe mir das immer so gewünscht, und nun...« Richtig zickig kam er sich vor.
»Hast du Angst?« Der Ton dieser Frage drückte ehrliches Mitgefühl aus.
»Es kommt nur so überraschend, und wir kennen uns ja kaum...«
Sie legte tröstend einen Arm um ihn. »Deine Freundin hat mir deine Adresse erst gegeben, als sie meine hatte. Ich verspreche, dass ich nichts mache, das du nicht auch möchtest. In Ordnung? Vielleicht sollten wir irgendein Zeichen verabreden, damit ich nicht abbreche, wenn du dein Leid nur spielst.«
Dieser so wohlüberlegte Vorschlag gab Olli mehr Vertrauen als jegliche Versicherung dies vermocht hätte. »Nehmen wir einfach das Wort 'Stop', und bei Knebelung summe ich den Trauermarsch.«
Sie schmunzelte und nickte dann. »Sehr passend.«
Ein wenig streichelte sie ihn noch und spürte, wie sehr er sich dabei entspannte und Fesselung wie Zärtlichkeit genoss.
Irgendwann aber fragte sie neckisch: »Wollen wir weiterspielen?«
Eifrig nickte er. »Gib mir nur noch einen Schluck zu trinken und mach das Fenster auf, bis wir gehen.«
»Gern, Prinzesschen.« Diese Worte kamen so liebevoll, dass sich Olli sehr darüber freute und regelrecht geschmeichelt fühlte.
Bald darauf waren sie aufbruchsbereit. Die Studentin hatte Olli noch eine Gehfessel angelegt - ein Seil zwischen den Fußgelenken, welches ihm keine allzu große Schrittweite erlaubte. Wegrennen war damit undenkbar. Ordentlich geknebelt war er auch wieder.
Den Koffer in der einen, die Halsleine in der anderen Hand, führte Ollis Entführerin ihn zur Wohnungstür. Rollengerecht sträubte er sich und ließ sich etwas ziehen. Außerdem fürchtete er ja wirklich, man könnte sie sehen. Bei wirklich toleranten Menschen hätte ihn das nicht gestört, aber sicherlich würde nicht jeder Verständnis zeigen. Einziger Trost blieb das bereits hereingebrochene Dunkel draußen.
»Los jetzt, Sklavin!« munterte sie mit einem gespielten Zerren an der Leine auf. »Deine neue Unterkunft wartet schon auf dich.«
So traten sie hinaus. Auf der Treppe ging es zum Glück nicht allzu langsam voran, und sie begegneten niemandem. Auch auf der Straße ließ sich dankenswerterweise gerade keiner blicken.
Schnell hatte die Herrin ihren Gefangenen den kurzen Weg zu ihrem Wagen direkt unter einem Baum gezerrt und den Kofferraum geöffnet. »Jetzt mach schon! Hinein mit dir!« Vor Aufregung schubste sie ihn ein wenig. Wie leicht konnte dieses Abenteuer bei der Polizei enden, wenn er sich nicht beeilte!
Olli hingegen sah beruhigt, wie sorgsam sie den Kofferraum mit Decken und Kissen ausgepolstert hatte. Dadurch konnte er sich halbwegs furchtlos hineinfallen lassen, denn auch ihm pressierte es wegen möglicher Beobachter.
Die Haube hatte sie schon fast geschlossen, als sie Olli noch einmal kurz über die Wange strich und raunte: »Brave kleine Sklavin.« Dann wurde es dunkel um ihn.

Entführter Besuch
Startseite
Über den Autor
Bibliographie

© OHHerde