Die Abenteuer der süßen Geroline

Erster Teil

"Wo soll's denn hingehen, Süße?" fragte der Taxifahrer. Es war ein unangenehmer Muskelprotz, dem die Zigarette im Mundwinkel klebte. Wenigstens hatte er sie noch nicht entzündet. Aber ihm und seinem Wagen haftete dennoch dieser widerliche Geruch an. Und wie er sich nun nach hinten drehte und seinen haarigen Oberarm mit der Tatauierung 'Mutti' präsentierte, rundete den eklen Gesamteindruck nur ab.
Von der Rückbank her funkelten ihm aus einem von langem dunklen Wuschelhaar umrahmten Gesichtchen zwei große zornige Äuglein entgegen. "Ich bin nicht süß!"
Keine Frage, Geroline war mit einem überaus niedlichen Antlitz ausgestattet - oder vielmehr geschlagen. Das wusste sie nur allzu genau, so sehr sie es auch zu leugnen versuchte. Noch schlimmer: Sie war zudem recht klein und hatte eine beinahe kindliche Stimme. Da half es auch nicht, dass sie sich eher jungenhaft kleidete; ihr Alter nahm ihr sowieso niemand ab.
Der Fahrer lächelte anzüglich. "Okay, also wohin nun?"
"Flughafen", presste sie hervor.
"Urlaub?" fragte er, nachdem er sich in den Verkehr eingegliedert hatte.
Offenbar konnte oder wollte er nicht kapieren, dass Geroline nicht der Sinn nach einem Gespräch stand. Mit ihm schon gar nicht! "Mjaja." Die Wahrheit ging nun wirklich niemanden etwas an!
Doch wenn Geroline geglaubt hatte, das Gelaber mit kurz angebundenen Antworten abwürgen zu können, so wurde sie eines besseren belehrt. Unaufhörlich schwätzte der Fahrer weiter und versuchte ganz nebenbei, sie auszuhorchen. Was denn das Reiseziel sei und warum sie so wenig Gepäck habe! Indiskreter Laberlappen! Was ging ihn das an?
"Heh, zu welchem Flughafen bringen sie mich eigentlich!?" fragte Geroline, als sie bemerkte, dass sie eine falsche Autobahnabfahrt genommen hatten.
"Wirst du gleich sehen, Süße."
Oh nein! Nicht so ein hormongesteuerter Halbaffe! Nicht heute, mit dem Umschlag im Rucksack! Wenn sie nun den Flieger verpasste...! "Halten Sie sofort an! Ich kann Karate."
"Und wir bauen einen hübschen Unfall, ja? Sei brav, Kleines!"
So sehr sie der Kerl auch aufregte, blieb Geroline wohl nichts übrig, als abzuwarten, bis der Wagen hielt.
Als sie jedoch bald darauf eine wenig benutzte Landstraße befuhren, sah Geroline ihre Chance. Hier konnte man schlimmstenfalls in den Kornfeldern landen. Geroline warf sich nach vorn auf den Fahrer, umschlang mit beiden Armen seinen Hals und versuchte, ihn zu würgen. "Anhalten!"
"Spinnst du!?"
Nach kurzer Rangelei sprang das Auto über den Straßengraben und rumpelte quer durchs Getreide. Ähren stoben umher und behinderten die Sicht. Natürlich half alles Festhalten nichts. Schnell wurde Geroline emporgeworfen und mit dem Kopf gegen die Wagendecke gestoßen, dass sie loslassen musste. Einige Augenblicke lang wurde sie auf der Rückbank umhergerüttelt, dann auf dem Boden vor dieser. Endlich stand das Taxi still.
Das Geräusch des sich öffnenden Fahreranschnallgurtes brachte Geroline schlagartig zur Besinnung. Mitsamt ihrem Rucksack sprang sie rechts die Türe hinaus ins Feld und hastete davon. Entsetzt stellte sie fest, dass der Wagen fast genau zwischen ihr und der Straße stand, also lief sie erst einmal weiter von beidem fort. Um sich besser bewegen zu können, schnallte sie den Rucksack um.
Doch der Kraftklotz hatte kaum Mühe, sie und ihre kleine Last einzuholen und zu Fall zu bringen. Schon saß er auf ihrem Bauch und umschlang ihre Handgelenke mit einem Seil. Für den Moment musste Geroline Atem schöpfen und ihr Zappeln aufgeben. Der Kerl war einfach zu stark!
Mit einem zweiten Seil band er ihre Füße zusammen. Stramm, gewiss; aber so langsam kam ihr das doch alles etwas seltsam oder besser dilettantisch vor. Noch bevor sie aber recht darüber nachdenken konnte, ob sie nicht von der nur wenige hundert Schritt entfernten Straße jemanden herbeischreien könnte, stopfte ihr der Taxifahrer ein eilig zusammengerolltes Tuch aus seiner Hosentasche zwischen die Zähne. Die Enden verknotete er brutal fest in ihrem Nacken.
Dann warf er sich Geroline über die Schulter und kehrte mit ihr zum Auto zurück. Dort öffnete er als erstes den Kofferraum und warf sie unter den Blicken einiger gaffender Unfallbeobachter am Straßenrand hinein. Mit dumpfem Rumms wurde es dunkel um sie.
Erneut blieb Geroline keine Zeit, sich konstruktiv über ihre neue Lage zu wundern, denn der Wagen setzte sich alsbald wieder in Bewegung. Die Gefangene hatte alle Mühe, sich so gut als möglich abzustützen, um nicht allzu sehr herumgewirbelt und gegen Wände und Haube des Kofferraumes geschleudert zu werden.

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