Wieder wurde Geroline etwas durchgerüttelt, als das Flugzeug über das Rollfeld manövrierte, dann beschleunigte und schlussendlich abhob. Wie schwer ihr dabei der Rucksack vorkam, obgleich sie darin doch nur etwas Wäsche zum Wechseln, Geld und andere Kleinigkeiten sowie natürlich den Umschlag transportierte!
Gedämpft konnte sie die Stimme der Frau vernehmen, die wohl mit irgend jemandem per Funk sprach. Offenbar gab es niemanden sonst an Bord. Eigentlich eine romantische Vorstellung, wenn die Sache nicht so ernst gewesen wäre. Diese Frau hatte geheime Informationen. Alles konnte passieren! Gab es eine undichte Stelle?
Das würde Geroline nicht hier, gut zu einem Päckchen verschnürt herausfinden! So sehr sie sich aber mühte, diesmal würde sie nichts zu öffnen vermögen als eventuell ihre Schnürsenkel! Dafür wiederum gab es natürlich keinen Anlass. Ein verstecktes Fach in der Sohle hätte sie jetzt haben sollen! Ebenso Träumerei wie die Spekulationen darüber, was die Pilotin noch mit ihr anstellen mochte. Und doch blieb dies letztlich Gerolines einziger Zeitvertreib.
Das Tuch in ihrem Mund zog anfangs jeden Tropfen Feuchtigkeit in sich auf, dass Gerolines Rachen sich immer trockener anfühlte. Doch Stunden vergingen, dessen war sich die Entführte bald sicher. Nicht nur das Tuch war irgendwann vollgesogen, dass Geroline immer häufiger schlucken musste; auch die Blase meldete sich immer drängender. Eintönig verstrich die Zeit, nur begleitet vom ständigen Motorengeräusch.
In dieser Situation boten gelegentliche Luftlöcher eine beinahe willkommene Abwechslung. Leider spürte man sie am Boden sitzend weit stärker als in den bequemen Sesseln. Dies war Geroline schon beim Start aufgefallen und lag bestimmt nicht nur an der kleinen Maschine.
Dennoch ließ sie sich schließlich zur Seite umfallen, weil sie sich eine Entlastung ihres gebogenen Rückens erhoffte. Tatsächlich brachte der Versuch für eine Weile eine Linderung. Später versuchte sie, über den Rücken rollend auf die andere Seite zu wechseln. Wegen des Rucksackes gelang es ihr erst nach einigen Anläufen. Aber mit etwas Übung lernte sie sogar, sich auch wieder aufzusetzen. Jede Bewegung kam ihr jetzt recht!
Eine Ewigkeit später hörte Geroline wieder die Pilotin sprechen. Bald darauf setzte man zum Landeanflug an. Geroline spürte die sinkende Höhe deutlich im Körper. Das Fahrwerk fuhr aus und setze auf; sie rollten aus. Geroline wurde durchgeschüttelt wie heute früh im Kofferraum und fiel wieder auf die Seite.
Kurz darauf ging die Tür zur Kanzel. Nahende Schritte. Dann unvermittelt Ruhe. Stand die Pilotin direkt bei Geroline und betrachtete den Sack, in dem sie steckte?
"Na, geht's dir gut?"
Jammernd und mit viel Gezappel versuchte die Gefangene, ihre Entführerin auf ihre Rückenschmerzen, ihren Durst und die volle Blase hinzuweisen, doch die meinte nur: "Dann ist ja gut!" War das ihr Ernst!?
Anscheinend, denn nach einem fast gehauchten: "Schön brav sein!" spürte Geroline, wie etwas über sie geworfen wurde. Vermutlich eine Decke oder etwas ähnliches. Dann hörte sie gedämpft das Zuziehen des Vorhanges. Gleich darauf wurde die Außentür geöffnet. Von der zu erwartenden frischen Luft kam leider erstmal nichts bis zu Geroline herüber.
Entfernte Stimmen, möglicherweise auf spanisch oder portugiesisch. Schwer zu deutende Geräusche. Sicherlich wurde aufgetankt und manches eventuell überprüft. Sollte es denn NOCH weiter gehen!?
Verzweifelt strampelte und kreischte sie, soweit dies ihre strenge Fesselung noch zuließ. Doch durch Knebel, Sack, Decke und Vorhang drang wohl allzu wenig nach draußen; jedenfalls kam niemand nachsehen. Selbst die Pilotin ließ noch ein Weilchen auf sich warten.
Oder ob es gar jemand anderes war, der irgendwann hereinkam und ungeachtet Gerolines Rumoren das Außenschott schloss und seelenruhig aufs Klo ging? Eine Ablösung vielleicht? Warum überhaupt dieser Aufwand? Nur wegen des Umschlages? Dann musste der Inhalt noch wichtiger sein, als man ihr gesagt hatte!
Die Spülung ertönte, das Waschbecken, die Toilettentür... Schritte zogen an Gerolines Verschlag vorüber. Noch einmal versuchte sie nach Kräften, auf sich aufmerksam zu machen. Die bereits verrutschte mutmaßliche Decke wurde fortgezogen - immerhin schon einmal eine Erleichterung, denn Geroline war es inzwischen sehr warm geworden.
"Was ist denn, meine Süße?" hörte sie die vertraute Stimme der Pilotin. "Musst du mal aufs Töpfchen?"
In der Hoffnung, dies sei durch den Sack hindurch zu erkennen, nickte Geroline möglichst heftig.
"So ein Pech, das geht gerade schlecht! Wir wollen doch nicht, dass unser kleines Geheimnis entdeckt wird! Und außerdem müssen wir noch ein gutes Stück hinter uns bringen." Sprach's und verschwand wieder in die Kanzel.
Eigentlich zum Heulen, doch Geroline war dafür erst zu verdattert, dann zu zornig. Dem Miststück würde sie es noch zeigen! Irgendwann.