Neue Abenteuer der süßen Geroline

Vierter Teil

Offenbar ging die letzte Führung bei den Mastabas gerade zuende. Die meisten Lichter verlöschten nach und nach, die Menschen versickerten im Dunkel der Nacht.
Während MacLeya alles aufmerksam beobachtete und wohl über den weiteren Weg sinnierte, prüfte Geroline ihren Knebel, indem sie nach und nach die gesamte Mundregion bewegte. In der Tat hatte jener durch das mehrmalige Abziehen und den ganz normalen Hautschweiß bereits etwas an Klebekraft verloren.
Als MacLeya sie Minuten später aber durch die Nacht auf die Pyramiden zu führte, vergaß Geroline noch einmal ihre Fluchtgedanken. Welch eine monumentale Kulisse für Fesselspiele! Zudem hätte man den Schotten wegen seiner Zierlichkeit und den langen Haaren von hinten leicht für eine Frau halten können. Leider war er keine, und dies alles auch kein Spiel.
Sie überquerten eine stillgewordene kleine Straße zwischen der Großen Pyramide und den Mastabas, um zwischen diesen zu verschwinden. Hoffentlich kam er nicht auf die Idee, sie in irgendeinem Grab einzusperren! Mühevoll beruhigte sie sich damit, dies würde nicht zu ihm passen. Allerdings kannte sie ihn ja eigentlich gar nicht. Sie verfügte einzig über ein diffuses Gefühlsbild von ihm, aus welchem sie selbst nicht schlau wurde.
Scheinwerfer brausten heran; zwei Geländewagen! Unwillkürlich blieb Geroline stehen.
Nur ganz kurz hielt auch MacLeya inne, um die Situation zu erfassen. "Beeilen Sie sich besser, wenn Sie sich nicht nach Ihrem Teppich sehnen!" Damit rannte er auf die Mastabas zu und ließ die verdutzte Geroline stehen.
Ein verunsicherter Blick zurück zu den Jeeps erwies, dass jene die Straße verlassen hatten und direkt auf sie zuhielten. Gewiss war es noch immer nicht ganz ausgeschlossen, hier kämen redliche Menschen, die Frau in Not zu befreien. Gerolines Intuition aber schrie warnend auf. Allzu schnell und zielstrebig schien die Fahrt, allzu zahlreich die Schatten. Noch zögerte Geroline wie gebannt, da erahnte sie ein Gewehr im Gegenlicht der Scheinwerfer des hinteren Wagens. Sofort stob sie dem längst verschwundenen Schotten nach.
Gleich darauf tauchte auch sie in den Schutz der kleinen Grabmäler ein, änderte dort mehrmals ihre Richtung und suchte verzweifelt nach einem guten Versteck. Den Lichtern und Rufen nach waren die Verfolger ausgeschwärmt und drohten, sie zu umzingeln. Eilig verkroch sie sich in eine dunkle Niesche zwischen einer Mastaba und einigen Steinen. Tatsächlich trabten zwei finstergesichtige Männer mit Waffen und Taschenlampen vorüber, ohne sie zu entdecken. Sobald sie sich weit genug entfernt hatten, lief Geroline in die entgegengesetzte Richtung, wo es inzwischen still war.
Bald hatte sie sich bis an den östlichen Rand des Mastaba-Feldes vorgeschlichen und hockte nun nahe der Straße, welche dieses von der Großen Pyramide trennte. Die Scheinwerfer der beiden Geländewagen waren nicht allzu fern, aber von der Straße weg gerichtet. Schnaufend lehnte sich Geroline an einen Steinblock und prüfte noch einmal ihre Fesseln.
An den Handgelenken war nichts zu wollen. Offenbar wusste MacLeya nur zu gut mit seiner Leidenschaft bescheid. Vielleicht fand Geroline ja noch irgendwo eine Scherbe. Allerdings wohl eher eine moderne als ein von Archäologen und Besuchermassen übersehenes altes Exemplar.
Der Knebel aber war mittlerweile so durchgeschwitzt, dass Geroline die Lippen auseinanderreißen konnte. Nun hing der abgesprengte Klebestreifen wieder an ihrer Wange. Mit Hilfe der Schulter streifte sie ihn fort, aber er verfing sich in ihren Haaren. Erst nach einigem Kopfschütteln segelte er endlich zu Boden.
Dieserart auch zu einem Gutteil geistig befreit, atmete sie die laue Nachtluft gierig durch den Mund ein und aus. Für einen Schrei war jetzt allerdings nicht die geeignete Situation. Wo steckten nur die Nachtwachen der Grabanlagen, welche es hier doch geben musste!?
Genug verschnauft, rappelte sie sich auf und setzte leicht gebückt über die Straße. Wenn es ihr nur gelang, Chufus Ruhestätte zu erreichen! In ihren Wänden würde man sie gewiss nicht finden, weil man sie dort wohl kaum suchen würde.
Ein Motor! Sich näherndes Licht! Einer der Geländewagen hatte sich in Bewegung gesetzt und kam die Straße herunter. Hatte man sie gesehen, oder war es Zufall?
Sie rannte weiter auf die Große Pyramide zu. Der Jeep beschleunigte. JETZT hatte man sie gesehen! Auch der andere fuhr nun an.
Die Jagd währte nicht lange; mangels einer wirklichen Chance gab Geroline auf und erwartete ihre Häscher. Mit quietschenden Reifen hielten sie bei ihr an. Drei sprangen vom Wagen und umringten sie, zunächst ob der Handfesseln verwundert, dann belustigt. Allerdings genügten ihnen diese offenkundig nicht. Während einer ihr Arme und Oberkörper fest zusammenzuschnüren begann, stopfte ihr ein anderer ein Tuch in den Mund und versiegelte diesen mit beinahe leidenschaftlicher Gründlichkeit und reichlich Klebeband, bis die gesamte untere Gesichtshälfte zugepflastert war. Der Dritte derweil verband ihr die Fußgelenke mit einer nur kleine Schritte zulassenden Lauffessel.
Inzwischen war der andere Wagen vorbeigebraust und im Süden vor der Chephren-Pyramide rechts abgebogen. Ob sie den Schotten holten? Wie weit mochte er gekommen sein?
Als die Männer Geroline fertig gefesselt hatten, nahmen sie die junge Agentin links und rechts an den Oberarmen und führten sie zum Jeep. Da sie wegen der Fußfesseln nicht leicht selbst einsteigen konnte, wurde sie rasch gepackt und hineingehoben. Dann folgte der Wagen dem anderen.
Nur vage konnte Geroline den Sphingen im Dunkel zur Linken erkennen, als sie die Große Pyramide passiert hatten. Nachts erschienen alle Entfernungen um so größer. Geroline nahm sich vor, all dies noch einmal am Tage zu besuchen. Doch erst einmal trug sie das Gefährt an den kleineren Pyramiden vorüber in die Nacht hinein.
Es schloss zu dem anderen auf. Ob MacLeya darin saß, konnte Geroline nicht erkennen.
Bald hielten sie bei einem Lastwagen mit Holzfässern. Geroline wurde aus dem Auto gezogen und hinübergeführt. Auch aus dem anderen Geländewagen stiegen Männer mit einem Gefangenen aus. Es war William MacLeya, auf dieselbe Weise wie Geroline gefesselt und geknebelt. War er also doch nichts als ein harmloser Geschäftsmann? Hilflos wirkte er, derart unerbittlich zusammengeschnürt und noch immer in seinem Rock. Die Tasche hatte man ihm abgenommen.
War das ein Lächeln, das er ihr zuwarf? Durch seinen großflächigen Knebel und die dürftige Beleuchtung war sich Geroline nicht recht sicher.
Da wurde sie auch schon auf die Ladefläche des Lasters emporgehoben und tiefer hineingeführt. Man hievte sie in ein leeres Fass, dem Schotten erging es ebenso. Endlich zahlte es sich einmal aus, nicht besonders groß zu sein! Der arme William musste sich deutlich mehr zusammenfalten als sie. Über ihnen wurden die Fässer geschlossen und mit weiteren verstellt, damit etwaige Kontrollen sie nicht fänden. Dabei konnte Geroline noch kurz das Licht der Taschenlampen und der Scheinwerfer draußen durch einige Luftlöcher in ihrem Fass sehen. Immerhin etwas, um das sie sich nicht sorgen musste.
Während die Geländewagen den Geräuschen nach wohl in die Stadt zurückkehrten, fuhr der Lastwagen mit seinen beiden Gefangenen in die Gegenrichtung, einem unbekannten Ziel entgegen. Irgendwie wurde das langsam wie eine lästige Angewohnheit.

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