Piratenbeute

Erstes Kapitel

Die Schieflage der spanischen Galeone kümmerte Hilda nicht weiter. Sie hatte die Plünderung zu beaufsichtigen. Bisher war alles hervorragend problemlos nach Plan verlaufen. Und was sollte jetzt, da aller Widerstand gebrochen war, noch Unvorhergesehenes geschehen!
"Lasst mich los; ich kann allein laufen!"
Aufmerksam drehte sich Hilda der Vordertrutz zu, aus welcher ein paar Piraten soeben einen Gefangenen zerrten. Seine langen, hellblonden Haare flatterten etwas zerzaust im Winde. Das weiße Hemd mit modischem Spitzenkragen und die schwarzsamtene Kniebundhose ließen vermuten, dass er keineswegs zur besiegten Mannschaft zählte. Gewiss gehörten Hut und weiter Mantel zu seiner üblichen Gewandung. Dies war kein Spanier, wie auch der Akzent verriet. Ein Kaufmann?
Jedenfalls hatte der Hänfling keine wirkliche Chance einer Gegenwehr. Offensichtlich waren seine Handgelenke bereits überkreuzt auf dem Rücken zusammengebunden.
"Den hier haben wir in einem Schrank gefunden", lästerte einer der Piraten, als man den Hilflosen bis vor Hilda geschafft hatte.
"Wie mutig!" Sie lächelte über den überrumpelten Blick des Gefangenen. Jener hatte wohl gerade erst begriffen, dass ihm eine Frau gegenüberstand. Kein Wunder bei ihren in hohen Stulpenstiefeln steckenden Hosen, ihren nach Mannesart mit einer Schleife im Nacken zusammengebundenen Haaren und ihrem hochgewachsenen, muskulösen Körperbau!
"Nur vernünftig", entgegnete er trotzig, kaum dass er sich gefasst hatte.
"Was treibt ein Niederländer auf einem spanischen Kriegsschiff?" wechselte sie in niederdeutsche Mundart. Ihrem Dialekt nach stammte sie wohl selbst aus dem Friesischen.
"Ich bin Hanseat. Gestatten, Konrad Salzerman aus Lübeck. Ich bin im Handelsauftrage unterwegs und hätte gern den Kapitän gesprochen."
Sogleich brachen die umstehenden Piraten in schallendes Gelächter aus, was den Gefesselten recht irritierte.
"ICH bin der Kapitän!" brüllte ihm Hilda entgegen, dass er zusammenzuckte. Aber erst, nachdem er den plötzlichen Lärm verdaut hatte, erschien wieder dieser überraschte Ausdruck in seinem Gesicht. Offenkundig war ihm ein weiblicher Kapitän noch nicht untergekommen.
"Oh! Nun, das macht nichts", versuchte er an Selbstsicherheit wiederzugewinnen. "Ich bin dessen gewiss, Ihr könnt mit einem angebrachten Lösegeld rechnen, wenn ich wohlbehalten in zivilisiertem Gebiet..." Hildas höhnischer Blick ließ ihn erst leiser werden, dann verstummen.
"Gut, wir nehmen dich mit, Bürschchen. Geh schon mal rüber!" Sie verwies ihn auf eine der schmalen Planken, über welche die Piraten ihre Beute auf das eigene Schiff hinüberrutschen ließen. Da jenes eine niedrigere Bordwand hatte, fiel die Planke recht steil ab, und zu beiden Seiten ging es einige Schritt hinunter ins Wasser.
"Mi-mit gefesselten Händen!?" stotterte er.
"Natürlich." Belustigt ebenso wie neugierig musterte sie ihn, während einige der Umstehenden wieder zu lachen und zu lästern begannen.
Konrads Knie zitterten; man konnte ihn unter seinen Herzschlägen erbeben sehen. Schwindel überkam ihn, doch wollte er sich nicht blamieren. Zögerlich hob er den rechten Fuß, auf die Planke zu steigen. Dabei schwankte er ganz bedenklich.
"Lass gut sein!" kam der erlösende Befehl. Schnaufend ließ er sich zu Boden sinken.
Als er den Blick von ebendort wieder zu heben vermochte, verschwand die Kapitänin soeben mit zwei Männern in der Vordertrutz. Er musste nicht lange warten, da wurde eine Truhe herausgeschafft und bei ihm krachend auf die Planken niedergelassen. Abermals fuhr er verschreckt zusammen.
Hilda öffnete den Deckel. "Rein da!"
Ungläubig blickte Konrad zu ihr auf. "Was?"
"In die Kiste mit dir! Los!" Ein metallenes Schabegeräusch begleitete ihren Säbel aus der Scheide. "Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Die Galeone hält sich nicht mehr lange."
Was blieb ihm übrig! Mühsam rappelte er sich auf. Wenn sie ihn über Bord hätten werfen wollen, wäre das auch ohne Behältnis gegangen - oder sie hätten ihn einfach auf dem sinkenden Schiff lassen können. Trotzdem noch immer etwas zögerlich, stieg er hinein, ohne nochmals gedrängt zu werden. Er musste sich recht zusammenkauern, um zur Gänze hineinzupassen.
Sanft, aber bestimmt, drückte Hilda seinen Kopf nieder, und es wurde dunkel um ihn. Sogleich begann die Truhe, zu schwanken. Unter Gejohle wurde sie zu der Verbindungsplanke gebracht. Dort ließ man sie hinunterrutschen.
Konrad wurde ganz Angst und bang bei all der Schüttelei, doch kurz darauf stand sein unverschlossenes Gefängnis wieder ruhig.
Und nun? Sollte er es wagen, den Truhendeckel anzuheben? Ein dumpfer Rumms belehrte ihn der Zwecklosigkeit eines solchen Vorhabens. Man hatte etwas sehr Schweres oben aufgeladen.

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