Piratenbeute

Neuntes Kapitel

Trotz der Einsamkeit, die Konrad gefesselt und an den Baum geleint verspürte, blieb er doch die Zeit bis zum Sonnenuntergang nicht unbeobachtet. All die Blicke schienen ihm unerträglich, mochten sie nun Mitleid, Häme, Gleichgültigkeit oder Irritation verraten. Dennoch waren sie das einzige, was ihn zumindest zeitweise von den letzten Worten seiner Herrin ablenken konnte.
Hatte sie sich also wirklich entschieden, ihn in jedem Falle zu behalten? War er ihr immerhin ein liebgewonnener Besitz geworden? Die Vorstellung erfüllte ihn auf seltsame Weise mit einem inneren Frieden.

Als sich des Abends die Haustüre öffnete, hoffte er für einen winzigen Moment unwillkürlich, seine Herrin käme heraus, füttere ihn, leiste ihm vielleicht ein wenig Gesellschaft oder hole ihn gar als Bettwärmer hinein. Zumindest würde sie ihn bestimmt seine inzwischen recht volle Blase entleeren lassen.
Die finstere Gestalt jedoch, die dort aus den Schatten beginnender Dämmerung hervortrat, ließ ihn erschrecken. Natürlich hatte er schon von den schwarzen Sklaven aus Afrika gehört, aber noch keinen zu Gesicht bekommen. Nun schritt eine solche Negerin direkt auf ihn zu. Hochgewachsen und schlank, wirkte sie zugleich sehnig und von körperlicher Arbeit gekräftigt. Objektiv betrachtet, konnte man ihre Haut allenfalls dunkelbraun nennen. Allerdings überraschte ihr Auftauchen Konrad allzu sehr, als dass er die Übertreibungen der Berichte schon jetzt zu entlarven vermochte. Die fremdartige Frau mochte um die Fünfzig sein, doch alterte sie ja vielleicht anders als Europäer. Sie trug ein Kleid wie eine wohlhabende Bürgerin.
Wehrlos blickte Konrad ihr entgegen, das runde Ding in ihrer rauhen Rechten noch gar nicht bemerkend, wohl aber das Seil in der anderen.
"Kein Angst", begann sie zu seinem neuerlichen Erstaunen mit kehliger Alt-Stimme. "Ich Belu. Koche und mache Haus schön für Capitan, hat befreit mich von kalikki Hispanjeros." Dem Tonfall nach handelte es sich bei der unbekannten und gewiss keiner europäischen Sprache entstammenden Vokabel um ein Schimpfwort. "Du warst bei Hispanjeros."
Betroffen ob der daraus folgenden Beschuldigung senkte Konrad den Blick. Wie sollte er der Freigelassenen begreiflich machen, dass ihn sein strenger Vater dorthin geschickt hatte! Selbst ungeknebelt. Konrad war nur Passagier gewesen.
"Wirst mich Meisterin nennen", ordnete Belu unvermutet an. "Wirst helfen in Haus. Nicht heute." Sie setzte den mitgebrachten Napf vor ihm auf den Boden; undefinierbarer Brei füllte ihn. Dann schnallte sie Konrad den Knebel ab. "Du verstanden?"
"Ja."
"Du nicht verstanden", stellte sie ernüchtert fest.
Konrad begriff sofort. "Doch, Meisterin; verzeih bitte!"
"'Verzeiht'!" korrigierte sie streng. So schlecht sie auch Niederdeutsch sprach, diesen Unterschied verstand sie sehr wohl, und er bedeutete ihr offenkundig etwas. "Lernst. Gut. Friss!"
Nach einem letzten Blick zu ihr empor beugte sich Konrad über den Napf, war er inzwischen doch geübt, auf diese Weise essen zu müssen. Anscheinend gleichgültig, schaute die Negerin zu, aber zwischendurch hatte Konrad zwei Male das Gefühl, sie lächele seltsam auf ihn herab. Eigentlich war er viel zu aufgeregt, um großen Appetit zu verspüren, dennoch entleerte er das Schüsselchen gehorsam und gründlich.
Am Wangenknochen klebte ihm dann noch etwas, das er mit der Zunge nicht erreichte. Darauf keine Rücksicht nehmend, stopfte ihm die Negerin den Knebel wieder in den Rachen, bevor er ihr von seiner Notdurft klagen konnte. Mit einem Ruck, der ihn etwas zusammenfahren ließ, entfaltete sie das mitgebrachte Seil. "Sklavin nicht immer brav gewesen heute", erklärte sie düster. Recht rüde schnürte sie ihm durch das Nachthemd hindurch die Knie zusammen, dann musste er sich auf den Bauch legen. Nun wurden die Fußgelenke fest aneinandergebunden, anschließend weitmöglichst zum Rücken hinaufgezogen und das Seilende an der Oberkörperfgesselung befestigt. Nach letzten strengen und prüfenden Blicken ihrer im dunklen Gesicht leuchtenden Augen ging Belu wieder ins Haus.
Auch andere Menschen zeigten sich nicht mehr in der zunehmenden Dunkelheit. Nur weiter unten wurde unüberhörbar wohl noch gefeiert.
Dafür bekam Konrad anderen Besuch: Unbekannte Kerbtiere der Neuen Welt begannen sich für ihn und insbesondere den Breiklecks im Gesicht zu interessieren. Mangels anderer Möglichkeiten wischte er den Essensrest an der Schulter ab.
Die Nacht ließ das Kleinstgetier wieder abebben, doch dafür kamen größere Wesen, welche in der Finsternis unerkannt in seiner Nähe herumtappsten oder sich gar herantrauten und an ihm schnüffelten. Ständig musste Konrad fürchten, irgendwo gebissen zu werden.
Zugleich wurde seine pralle Blase immer unerträglicher. Der Druck ließ ihn ebenfalls keinen ruhigen Schlaf finden. Leider brachte auch das Legen auf sein Glied keine Linderung, ebensowenig der Versuch, es durch Gewichtverlagerung zu kneten.
Irgendwann im Halbschlaf konnte Konrad nicht mehr an sich halten. Der Schließmuskel entspannte sich für einen Moment und gab von der warmen Flüssigkeit frei. Erschrocken kniff Konrad wieder mit aller Kraft zusammen, doch schlussendlich wurde ihm klar, dass er nicht mehr lange durchhalten würde und es ohnehin schon passiert war. Geschlagen ließ er es laufen. Mochte der Körper auch dankbar sein für die Erleichterung, so schmetterte Konrad diese Niederlage seelisch endgültig zu Boden. So tief war er also gesunken! Die Erkenntnis ließ ihm zum ersten Male seit seiner Gefangenschaft Tränen in die Augen treten.
Erst tief in der Nacht übermannte ihn die Müdigkeit.

Fortsetzung
Startseite
Über den Autor
Bibliographie

© OHH 2009