Aminata und Fritz erkunden die Welt
(4)

Großvaters Groll

Konzept Narcisse Djakam; Text Oliver H. Herde; Illustration Katrin Kerbusch

"Großvater, warum magst du die Europäer nicht?" fragt Aminata. Ihr Herz klopft aufgeregt, denn bald sollen ja europäische Besucher kommen, die sie noch nicht einmal kennt! Bestimmt sind sie alle so bleich wie Gebhard, der eigentlich doch stets sehr nett ist.
Der alte Mann sitzt auf einem Stuhl vor der kleinen Hütte und zieht nun die Mundwinkel hinunter. Über die Europäer redet er nicht gern. Wenn doch, dann schimpft er meist über sie. "Sie haben uns das Land weggenommen."
"Welches Land?"
"Na, alles hier und was du kennst", weist der Großvater mit einer unbestimmten, weiten Handbewegung umher, "und noch viel mehr. Ganz Tansania. Ganz Afrika!"
Das kann sich Aminata nicht so recht bildlich vorstellen, zumal das Land ja noch da ist und von ihrer Familie und denen ihrer Freunde bewohnt wird. "Wie war denn das?"
"Nun, sie sind einfach hergekommen und haben gesagt, dass alles ihnen gehört. Zuerst waren es die Deutschen. Dann gab es einen großen Krieg, und die Engländer haben die Deutschen vertrieben. Aber die Unabhängigkeit haben auch sie uns jahrzehntelang nicht gegeben - erst, als ich schon geboren war. Und das..."
"Ach, sooo lange ist das schon her!" platzt Aminata erstaunt hervor und bemerkt zunächst gar nicht, wie sie damit den Großvater unterbricht.
Er ist nicht nur deswegen etwas gekränkt, sondern auch, weil sie ihn mit ihrem Ausruf unangenehm an sein hohes Alter erinnert hat. So etwas hört man nicht so gerne, wenn einen eh immer häufiger der Rücken schmerzt und die Augen zunehmend schlechter werden. "Nun ja, die Europäer mischen sich immer noch überall ein", versucht er sauertöpfisch nachzuholen, worin ihn seine Enkelin unterbrochen hat.
"Wo rein, zum Beispiel?" möchte Aminata es genauer wissen.
"In Politik und Wirtschaft."
Aus der knappen Antwort und mehr noch an dem verkniffenen Gesichtsausdruck des Großvaters erkennt Aminata, dass der drauf und dran ist, sich mal wieder so richtig über die Europäer aufzuregen. Daran möchte sie nicht gerne schuld sein und es um so weniger mitbekommen, zumal sie ohnehin kaum mehr die Hälfte nachvollziehen kann, wenn er sich erst richtig in Schimpflaune geredet hat. Darum bedankt sie sich lieber artig und verschwindet, bevor es dafür zu spät ist.

Wieder allein mit ihren Gedanken, gelangt sie zu dem Schluss, dass Fritz und seine Eltern doch viel zu jung sein müssen, um bei Ereignissen dabei gewesen zu sein, die Großvaters Großvater erlebt hat. Außerdem sind sie ja mit Gebhard verwandt, und er hat ihr Fritz gewissermaßen anempfohlen.
Besser, sie schaut sich die erwarteten Gäste erst einmal genau an; dann wird sie ja sehen, was das für Leute sind!

Tansania
  • Lebenserwartung: um 65 Jahre
  • Deutsche Kolonie 1885-1918
  • Englische Kolonie 1916-1961
  • Mitglied im [britischen] Gemeinwesen der Völker (Commonwealth of Nations) seit 1961
  • Fortsetzung: Glaubensfragen


    Diese Geschichte erschien auch im Kiezboten.
    © Text: Oliver H. Herde, Narcisse Djakam
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