Buchbesprechung

Oliver H. Herde: "Projekt Caniron: Fremde Welten"

(der Erstauflage von 1992)
im Fanzine Flash 20/97; S. 39-43

Eine kleine Raumflotte um das Kommandoschiff WALHALLA ist unterwegs zu einem bisher unbekannten Sonnensystem. Dieses soll zwecks Besiedlung eines oder mehrerer geeigneter Planeten erforscht werden, denn nach einem Krieg, dem diverse Heimatplaneten zum Opfer fielen, ist man auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Admiral Caniron Odyn hat aus Vertretern aller heimatlos gewordenen Rassen sowie einigen Robotern einen Erkundungstrupp zusammengestellt, dem die Begutachtung der Planeten dieses Systems obliegt. Er bringt fünf der Kundschafter zu ihrem Raumschiff und verabschiedet sich voll banger Hoffnung von ihnen.
Das Erkundungsschiff COLONEL mit seiner zusammengewürfelten Mannschaft landet auf einem der Planeten des zu untersuchenden Sonnensystems. Die Mannschaft - die eine zuvor beobachtete Atomexplosion zunächst für einen Test hielt - muß feststellen, daß hier ein Krieg tobt, für den zum Teil die gleichen Wesen verantwortlich sind, die auch ihre Heimatplaneten auf dem Gewissen haben. Mit antiquierten Waffen und dem Mut der Verzweiflung macht man sich an die Verteidigung - ein aussichtsloses Unterfangen?

Oliver H. Herde hat sich für seinen Roman ein Szenario ausgedacht, das Geschichte, nordische Mythologie, Seience Fiction und Fantasy-Elemente miteinander verbindet. Das ist ja nun keine schlechte Idee, vielleicht nicht unbedingt das Neueste vom Neuesten oder sonstwie der letzte Schrei (wobei zu beachten ist, daß der Roman bereits 1992 veröffentlicht wurde), aber ganz im allgemeinen finde ich den Versuch lobenswert, deutsche SF-Literatur an den Mann (und die Frau) zu bringen.
Viel mehr Positives - außer, daß das Niederschreiben dieser Geschichte dem Autor ziemlichen Spaß gemacht haben muß - läßt sich allerdings leider kaum sagen. Schon stilistisch wird zunächst nicht gerade viel geboten. In dem Bestreben, möglichst genau zu beschreiben, wurden viele Sätze einfach zu lang - und dadurch teils auch langweilig bis ermüdend.
Manches andere liest sich sehr holprig; es kommen ungeschickte Formulierungen und unvollständige Sätze vor. Viele Stellen mußte ich mehrmals lesen, um sie zu verstehen, und ob ich wirklich alles richtig verstanden habe, kann ich teilweise noch immer nicht mit Bestimmtheit sagen.
Bis auf einen Charakter (Nig - ein Elf) wird von den Handlungsträgern zumeist nicht wesentlich mehr als das Aussehen beschrieben. Und nicht immer ist das, was die Charaktere so tun, auch im nächsten Kapitel noch nachvollziehbar. Mal reagieren die Leute so, mal so, ohne daß hierfür Gründe erkennbar wären.
Bleiben wir doch gleich bei den Elfen. Angeblich sprechen diese ein wenig seltsam. Aber selbst der ziemlich gut ausgearbeitete Nig tut das nicht immer; und die später beschriebene Halbelfin Brunbora scheint diese Eigenart gar nicht zu haben. Das könnte allerdings damit zu tun haben, daß sie ja keine 'richtige' Elfin ist. Oder hab ich da möglicherweise was überlesen? Reden nur 'reinrassige' Elfen so ein Kauderwelsch? So ganz klar wird mir auch nicht, wie viele Hüte Nig denn nun hatte oder noch hat. Bei dem zu erforschenden Sonnensystem handelt es sich anscheinend um UNSER System. Allerdings scheinen mir dann doch ein paar Angaben nicht so ganz zu stimmen. Ein Beispiel: Auf Seite 24 heißt es über den Planeten, den die Kundschafter gerade anfliegen, daß seine Umlaufzeit 225 Tage, seine Eigendrehung 243 Tage beträgt. Moment mal! Ist die 'Eigendrehung' nicht das gleiche wie ein Tag auf dem Planeten? Ein Tag auf diesem Planeten währt also länger als ein JAHR dort??? (Keine Ahnung, ehrlich - TUT das einer der Planeten hier bei uns? Ich glaube nicht!) Und irgendwann später (ich glaube, wir sind tatsächlich noch auf dem gleichen Planeten) wird erwähnt, eine Nacht dort würde ca. 60 Tage dauern. (Damit können ja nur irgendwelche "Standardtage" gemeint sein - wie lang irdische Tage sind, können die Kundschafter eigentlich noch nicht wissen, und sie sollten sie dann auch nicht als Rechengrundlage verwenden, meine ich.) Der Tag wäre dann sicher vergleichbar lang, aber wohl nicht wesentlich länger, oder? Gehen wir also einmal von 120 Tagen aus, die einen kompletten Planetentag (d. h., Tag und Nacht) ausmachen würden - dann fehlen mir aber irgend wo noch 123 Tage. Wie sieht es damit. aus? (Oder hab ich schon wieder was nicht mitbekommen oder falsch verstanden?)
OHH: Die Rotationsdauer der Venus beträgt 243 irdische Tage, allerdings dreht sie sich entgegen der Umlaufrichtung um die Sonne! Dadurch ergeben sich unerwartete Zeitspannen von Nacht und Tag.
Einzelne militärische Ränge werden zwar erwähnt, aber für mich bleiben sie von Anfang bis Ende böhmische Dörfer. Vor allen Dingen frage ich mich dann doch irgend wie, warum ein deutscher Autor ausgerechnet die englischen (bzw. amerikanischen?) Bezeichnungen verwendet. (Die Heimatsuchenden stammen schließlich nicht von der Erde - wenn auch irgendwie eine Verwandtschaft mit den Erdlingen angedeutet wird...) Im übrigen habe ich den Eindruck, daß die Sache mit den Rangbezeichnungen für die Story so wenig Bedeutung hat, daß man die Ränge ebenso wie die dazugehörigen Erklärungen größtenteils auch hätte weglassen können.
Weshalb auf Seite 99 das Gespräch zwischen dem Admiral der Skorpionsflotte und Genosse Lenin - äh, Quatsch >;-))) - Ninehl erwähnt wird, entzieht sich meinem Verständnis. Soll da noch etwas nachkommen? Zur Zeit sieht es m. E. nicht so aus, und ich weiß auch nicht so recht, ob das wünschenswert wäre.
Nicht ganz lupenrein finde ich die starke Einbeziehung nördlicher Mythologien sowie die Hinweise auf die Verwandtschaft der einzelnen Völker. Da muß man einfach mal sehen, was noch draus wird... ich persönlich hoffe, daß davon nicht mehr allzu viel in der Story vorkommt.
Positiv erwähnen möchte ich aber noch, daß teilweise die Gedanken und Gefühle recht realistisch geschildert werden - wenn auch vielleicht teilweise wieder ein bißchen zu ausführlich - und einmal sogar Feinde als denkende, fühlende Lebewesen beschrieben werden, die man nicht unnötig quälen soll und will. Auf der anderen Seite bekämpft man diese Feinde natürlich, aber das ist wohl eine andere Sache. Hier wäre vielleicht als Kritikpunkt anzumerken, daß man bei der aufgeschlossenen und friedlichen Einstellung des Völkergemischs auf dem Erkundungsschiff den Krieg nicht in Frage stellt, sondern stattdessen sofort mitschießt. Natürlich weiß ich nicht, wie ich mich fühlen würde, wenn ich auf einmal den Aliens gegenüberstehen würde, die soeben die Erde zerballert haben... wahrscheinlich ziemlich besch... [ätsch! >:-)]...ädigt.
Als gut ausgearbeitet erachte ich ansonsten noch die Vielzahl der Rassen sowie deren Gestaltung. Gerade darüber machen sich die meisten Autoren, in deren Geschichten mehrere Planeten oder auch nur mehrere Kontinente vorkommen (ja, selbst Profis!) oft nur wenige oder gar keine Gedanken. Entweder GIBT es dort nur eine ([halbwegs] intelligente) Rasse, oder auf die anderen wird nur am Rand hingewiesen, oder es gibt zwar mehrere, aber die sind dann untereinander sehr ähnlich - oder die Welt ist eine Kolonie, und dies dann wieder einmal meist von nur einer Rasse. Hier deutet sich nun meines Wissens die erste Kolonisierung eines bereits von mehreren Rassen bewohnten Planeten durch mehrere Rassen an...

Fazit:
Ich muß zugeben, mein Gesamteindruck zu 'Fremde Welten' ist ziemlich durchwachsen. Es kommt zwar nur wenig Spannung auf, offensichtlich scherzhaft gemeinte Passagen zur Auflockerung des Gesamtthemas ziehen nicht immer so recht, und nicht alles scheint mir so ganz stimmig zu sein. Aber zum Ende des Romans hin relativiert sich einiges des hier Gesagten. Außerdem interessiert mich, wie die Geschichte weitergeht. Und eigentlich ist meiner Meinung nach jeder Versuch, der deutschen SF-Literatur ein wenig auf die Sprünge zu helfen, durchaus lobens- und unterstützenswert. Daher erstmal keine Wertung - ich werde die Reihe auf jeden Fall weiterlesen. Vielleicht kann ich ja nach der Lektüre der späteren Bande (Band 3 ist in Vorbereitung) eine detailliertere Kritik abgeben.

Heike Brand
1997-10-29


Die Flotte der gemischten. Völker der Menschen, Elfen und Aroschin, etwa fünfzig Einheiten stark, zieht auf der Suche nach einer neuen Heimat durch das unendliche All. Als ein bewohnbares Sonnensystem entdeckt wird, wird ein Erkundungstrupp vorausgeschickt. Dieser Trupp entdeckt auf zwei Planeten einheimisches Leben. Nebenher gibt es im System auch noch Invasoren aus einem anderen System. Und außerdem treiben sich auch die Skorps im System herum, die Rasse, die sowohl das System der Menschen als auch das der Elfen und Aroschin zerstört hat...

Es gibt keinen Originaltitel, und der Name des Autoren klingt sehr deutsch, also muß es ein deutscher Roman sein. So dachte ich zuerst, doch dann wurde ich eines besseren belehrt. Der Autor verwendet Wörter, die ich im deutschen als Deutscher noch nie gehört habe. Einige Beispiele: Müdsarnkeit, Eigensam. suppende Wunde, mit angeschwellter Brust, Zuhausestadt. trotzwohl. wolkengebrochen, einblickt, überhalb, ich instinkte die Gefahr, geausbrannt, und hier die Krönung: "Eine Portion Leute [...] wurde getötet, [...] Sigma [...] ist noch nicht rückläufig." Ist dies nun Absicht, oder kann der Autor wirklich kein Deutsch? (* Dafür könnte es in der Tat zwei Gründe geben, von denen der wichtigere eindeutig Absicht ist [unterstelle ich mal, denn die meisten der Seltsamwortschöpfungen entstammen dem, was der Elf Nig so zu sagen hat]. Der zweite, vielleicht nicht ganz so relevante Grund: Der Autor ist Berliner. Dort spricht man auch heute noch ein wenig anders... ;-) Heike)
Auch bei der Logik gibt es einige Stolperstellen: Bei der Robotertechnik scheint man gerade erst die künstliche Intelligenz entdeckt zu haben, trotzdem gibt es bereits Androiden. Und wer hat schon von Robotern gehört, die Umhänge tragen? Und ein Volk, das Katapulte verwendet, kennt Atombomben (* Hey, waren die mit den Atombomben nicht die Angreifer? Zwangsläufig kennt man Atombomben, wenn man damit angegriffen wird... Heike) und Fototechnik. Der (nach hinten gerichtete) Hauptantrieb eines Schiffes wird zerstört (im Landeanflug), und das Schiff kann ohne Reparatur nicht landen. Bei der Begegnung mit einem Asteroidenfeld fällt die künstliche Schwerkraft an Bord der Schiffe aus - usw., usw...
Und doch macht diese krude Mischung aus Kampfstern Galactica, dem Herrn der Ringe, altgermanischen Göttersagen, Atlantis und anderen Zutaten doch irgendwie Spaß. Ist es der Stil, den man nur als naiv bezeichnen kann, oder ist der Trash-Effekt (Trash = engl. Müll), der dieses Buch lesenswert macht? (* Also, ich fand es eigentlich gar nicht so trashig, eher etwas unbeholfen. Und ist 'Seience FlCTION' nicht dazu da, daß man sich selbst etwas ausdenkt? Es heißt schließlich nicht 'Science Reality'... die Wirklichkeit ist öde genug, vor allem auf der Venus. ;-) Heike) Es macht einfach Spaß, zu erfahren, daß die Venus wirklich bewohnt ist (und das 1992, als wir es schon besser wußten), und noch dazu von telepathisch begabten Pflanzenwesen, die sich telepathisch über Funk unterhalten und nicht sterben, sondern welken. (* Ich halte das für eine wirklich innovative und kreative Idee, weiß gar nicht, was Du daran auszusetzen hast... Heike) Diese Wesen benutzen Computer, Katapulte, kein Glas, aber Kunststoff, Vögel als Gehörersatz - und Funkgeräte, die neben Schall auch Gedanken übertragen. Wozu eigentlich Schall??? (* Also, daß sie Schall ebenfalls übertragen, ist mir gar nicht so aufgefallen... Heike) Ich habe mich stellenweise vor lauter Lachen kaum noch auf die Lektüre konzentrieren können. Und wenn sich fremde Wesen sofort anfreunden und duzen, wirkt das um Längen besser als Star Trek, wo jeder sofort jeden versteht.
Auch die Aufmachung ist Spitze: Ein Titelbild, das definitiv eine im Roman geschilderte Szene zeigt, eine Liste der Hauptpersonen, eine Erklärung der wichtigsten Wörter, ein Plan des Erkundungsschiffes und sämtliche Rangabzeichen der Flotte. (Die Ränge sind größtenteils merkwürdigerweise in Englisch angegeben. [* Das wunderte auch mich sehr. Heike]) Das Rangabzeichen eines BLINDEN sieht übrigens fast so aus wie das eines Rekruten... (* Tiefere Bedeutung: Alle Rekruten sind blind - oder noch besser: Alle Blinden sind automatisch Rekruten? >:-) Heike)
Eine Enttäuschung gibt es aber doch: Dies ist angeblich das erste Buch einer Reihe; immer wieder wird jedoch Bezug genommen auf. das, was früher geschah. Dies aber in einer Art, die vermuten läßt, daß es einen Vorgänger gibt. (* Komisch, daß ausgerechnet Du Trash-Fan Dich so daran störst. Mir Nicht-Trash-Fan hat das überhaupt nichts ausgemacht. Heike) Und der Serientitel "Projekt Caniron" sollte vielleicht doch lieber heißen: "Raumschiff COLONEL". (* Und wieso, bitteschön? Man erinnere sich, daß immerhin ein gewisser Caniron Odyn dieses Projekt ins Leben zu rufen beliebte... Heike)

Ritchie Eberle

Seit 2016 existiert eine überarbeitete Fassung als E-Buch.
Verlagsvorstellung im Rollenspielmagazin Envoyer


Projekt Caniron

© OHH Fremde Welten ist als Taschenbuch und als E-Buch erschienen.Elf und Adler Verlag