Dies ist der Beitrag zu einem Schreibwettbewerb, bei dem es um eine dramatische Stimmungsszene ohne aufklärendes Ende ging. Das Thema lautete:

Die Gefahr

von Oliver H. Herde

Was war das!? Erschrocken drehte sie sich um. Vielleicht hätte sie doch nicht bei Nacht die Abkürzung durch den Wald nehmen sollen.
Langsam ließ sie den Lichtkegel der kleinen Taschenlampe über Büsche und Bäume gleiten, doch erzeugte das kalte Leuchten mehr geisterhafte Schatten, als dass es irgendeine wirkliche Erkenntnis erbrachte. Tief atmete sie durch, um sich zu beruhigen.
"Ist da jemand?" Leider klang ihre Stimme nicht so fest, wie sie es sich gewünscht hätte.
Als Antwort nur Stille. Selbst der Wald schien für einen Moment den Atem anzuhalten und zu lauschen.
Besser, sie ging weiter!
Doch schon nach wenigen eiligen Schritten den Pfad entlang hörte sie wieder ein Knacken im Unterholz. Diesmal deutlicher und näher.
Vielleicht ein Tier? Dann wäre es jedenfalls nicht besonders schreckhaft, da es bei ihrem Ruf lediglich verharrte, anstatt zu flüchten. Wie groß es sein mochte, war aus den bisherigen Geräuschen nicht zu schließen. Doch selbst einer Ratte oder etwas derartigem wollte sie lieber nicht begegnen. Nicht jetzt und nicht hier. Verschüchtert blickte sie in die Runde der sie umgebenden Äste und Zweige, welche im Dunkel wie ein Gewirr von Adern oder zur Drohung erhobener Arme wirkten. Dann drehte sie sich ein weiteres Mal um, den Weg fortzusetzen. Wenn sie nun Furcht zeigte und loslief, wäre dies geradezu eine Einladung - ein Signal zum Angriff, ob nun Mensch oder Tier dort lauerte. Zugleich würde sie sich selbst verunsichern, sich aufgeben.
Da wieder! Ein Rascheln zur Rechten!
Sie zuckte seitlich zurück und spürte im selben Moment eine Berührung im Nacken. Schreiend sprang sie nach vorn, wirbelte herum.
Kein Finger am ausgestreckten Arm - lediglich ein Zweig hatte sie berührt.
Doch durch die Erleichterung hindurch fraß sich der Gedanke, soeben dem sie verfolgenden Etwas näher gekommen zu sein. Sogleich wandte sie sich wieder der Stelle zu, von wo sie zuletzt etwas vernommen hatte.
Noch immer vermochte sie trotz ihres bescheidenen Lichtes nichts zu erkennen als unförmige Strukturen, welche ihr einen unbehaglichen Schauder über den Rücken schickten. Zudem ahnte sie langsam, wie groß das Wesen im Unterholz sein musste: Sicherlich kein ausgewachsenes Wildschwein, aber doch gewiss schwer genug, sie mit einem Sprung umzuwerfen.
Vergessen alle Beherrschung, alle Taktik. Voller Hast rannte sie entlang, wo sie einen Weg vermutete. Waren es nur ihre eigenen Schritte, die sie dort hinter sich zu hören glaubte? Ihr lauter Atem, ihr pochender Puls schienen alles zu übertönen. Klare Gedanken waren nicht zu fassen. Nur voran durch die Nacht, vorbei an stillen Beobachtern, die sich nicht zeigten, nicht zu erkennen gaben. Nichts als die Blicke alter Bäume.
Wohin eigentlich? Fort, ja, aber wohin!
Mühsam ordnete sie ihre Gedanken. Ohne Ziel konnte sie nur verlieren - gegen das Ding und gegen ihre Angst. War sie noch auf ihrem Weg? Wo überhaupt?
Das Bewusstsein, sich verirrt zu haben, ließ sie tatsächlich wieder etwas ruhiger werden, drängte es doch jene andere Furcht ein wenig in den Hintergrund. Mit nurmehr eiligen Schritten bewegte sie sich voran, die Lampe schwenkend, suchend.
Kein Pfad, keine Spuren.
Deutliche Schritte von links! Ein Mensch! "Wer ist da?"
Keine Antwort, nur Schritte.
Sofort brach sie in die entgegengesetzte Richtung aus, so schnell sie nur konnte. Jede Bestie wäre ihr nun lieber gewesen als diese zweibeinige, die sie ganz absichtlich im Ungewissen ließ und somit nur Böses beabsichtigen konnte. Schrecklichste Phantasien von Gewalt und Schmerz stürmten auf die Frau ein, während sie in die Dunkelheit zu entkommen suchte.
Vor sich zwischen all den Stämmen und Ästen ein Licht! Unbewegt, wie es schien. Eine Hütte vielleicht oder eine Straßenlaterne. Genau darauf hielt sie nun zu.
Da gab der Boden unter ihr nach. Der Sturz endete noch bevor er richtig begann. Etwas zerrte sie in die Höhe, umschloss sie ruckartig und unnachgiebig. Schon baumelte sie in einem Netz in ungewisser Höhe, und die Taschenlampe lag wirkungslos am schwarzen Boden unter ihr. "Hilfe!" kreischte sie dem ferneren Lichtschimmer entgegen. Panisch zappelte sie umher, doch die Maschen gaben keinen Deut nach.
Die schweren nahenden Schritte aus der anderen Richtung ließen sie vor Schreck erstarren. Sie waren nun ganz dicht. Ganz vage konnte sie ein leises Schnaufen erahnen...


Kurzgeschichten
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