Appianos

Bürgerkriege 1,7-10

Lex Agraria von 133 v.u.Z.

7) Als die Römer die Völkerschaften Italiens nacheinander durch Krieg unterwarfen, nahmen sie ihnen gewöhnlich einen Teil ihres Landes ab und errichteten dort Städte oder wählten auf Grund von Listen aus ihrer Mitte für die zuvor schon bestehenden Siedlungen Kolonisten, wobei diese Punkte als Außenposten dienen sollten. Von dem jeweils im Krieg durch sie eroberten Lande aber verteilten sie den kultivierten Teil sofort unter die Kolonisten oder verkauften oder verpachteten ihn. Was hingegen den Teil des Gebietes - im allgemeinen den größeren - anlangte, der infolge des Krieges ungenutzt dalag und für dessen Verlosung sie sich noch keine Zeit nahmen, erließen sie eine Bekanntmachung, dass inzwischen diejenigen, welche ihn bearbeiten wollten, dies für eine Abgabe aus dem jährlichen Ernteertrag tun dürften, und zwar für ein Zehntel vom Getreide und ein Fünftel von den Früchten. Auch für die Viehhalter waren Abgaben von Groß- und Kleintieren festgesetzt. Dies alles taten die Römer zur Vermehrung des italischen Volkstums, das ihnen als die arbeitsamste Art erschien, sowie in der Absicht, über eine Menge von Bundesgenossen bei sich daheim zu verfügen. Indessen erreichten sie damit gerade das Gegenteil; die Reichen nahmen den Großteil dieses nicht aufgeteilten Landes in Besitz und vertraten im Laufe der Zeit die kühne Meinung, dass niemand mehr ihnen dieses abnehmen könne. Außerdem zogen sie die angrenzenden Landstriche und was sonst an bescheidenem Grundbesitz armer Leute vorhanden war, an sich, teils durch Kauf unter gütlichem Zureden, teils durch gewaltsame Wegnahme. So konnten sie statt kleiner Güter ausgedehnte Latifundien bebauen, wofür sie dann Sklaven als Arbeiter und Hirten einsetzten; das sollte verhindern, dass freie Arbeitskräfte vom Ackerbau zum Heeresdienst abgezogen werden konnten. Gleichzeitig brachte auch dieser Besitz von Sklaven den Reichen großen Gewinn, da jene zahlreiche Kinder hatten und sich wegen der Befreiung vom Kriegsdienst ungefährdet vermehrten. So wurden die einflußreichen Persönlichkeiten steinreich und das Sklavenvolk nahm über das Land hin massenhaft zu, während die Italiker an Zahl und Stärke dahinschwanden und sich in Armut, Steuerabgaben und Feldzügen erschöpften. Konnten sie dann etwas Ruhe von diesen Lasten finden, mussten sie ihre Zeit untätig hinbringen, da sich ja das Land in den Händen der Reichen befand und diese als Landarbeiter statt freier Männer Sklaven einsetzten.
8) Die Zustände versetzten das Volk in Unruhe; denn es sollte nicht mehr genügend Verbündete italischer Herkunft besitzen und wegen der gewaltigen Menge von Sklaven auch seine führende Stellung nicht ungefährdet sein. Da es weder leicht noch irgendwie gerecht erschien, so vielen Inhabern einen derart großen und lange Zeit ihnen gehörigen Besitz samt den eigenen Bäumen, Bauten und Einrichtungen abzunehmen, vermochten sie keine Abhilfe auszusinnen, bis endlich auf Antrag der Volkstribunen mit Müh und Not ein Gesetz durchging, dass niemand mehr als 500 Iugera von diesem Land innehaben oder mehr als 100 Rinder oder 500 Schafe darauf weiden lassen dürfe. Zusätzlich trafen sie zwecks Einhaltung des Gesetzes auch noch die Anordnung, dass eine bestimmte Zahl freier Männer auf den Gütern zu verwenden sei, die über die dortigen Vorgänge wachen und Bericht erstatten sollten. Nachdem sie alle die genannten Punkte in einem Gesetz zusammengefaßt hatten, schwuren sie darauf einen Eid und setzten eine Strafe fest. Sie meinten nämlich, das restliche Land werde alsbald in kleinen Parzellen an die Armen verkauft werden, doch man kümmerte sich weder um die Gesetze noch um die Eide, vielmehr verteilten jene, die sich scheinbar daran kehrten, das Land betrügerischerweise unter ihre Verwandten, während die Mehrzahl überhaupt darüber hinwegging.
9) Das dauerte, bis schließlich Tiberius Sempronius Gracchus, ein angesehener und gar ehrgeiziger Mann, dazu ein machtvoller Redner und aus all diesen Gründen zugleich allgemein sehr bekannt, während seiner Amtszeit als Volkstribun in hohen Tönen eine Rede über das italische Volkstum hielt, dass eine so außerordentlich kriegstüchtige und stammverwandte Rasse Schritt für Schritt in Armut und zahlenmäßigem Rückgang dahinsieche und nicht einmal eine Hoffnung auf Besserung mehr hegen dürfe. Dann drückte er seinen Groll über den Sklavenstand aus, der im Kriege keinen Nutzen bringe und seinen Herren gegenüber niemals Treue fühle. Dabei ging er auf das jüngste Unheil ein: Dieses hätten die Sklaven über ihre Herrn in Sikilien gebracht, wo ihre Zahl infolge des Ackerbaus sogar gestiegen sei, und die Römer hätten gegen sie einen Krieg führen müssen. Er sei weder leicht noch von kuner Dauer gewesen, sondern habe sich in die Länge gezogen und zu verschiedenen gefährlichen Wechselfällen entwickelt. Nach diesen Ausführungen brachte er wieder das Gesetz in Erinnerung, das niemandem einen größeren Besitz an Staatsland als 500 Iugera zubillige. Doch fügte er dem alten Gesetz einen Zusatz bei, dass die einzelnen Kinder des Landeigners darüber hinaus die Hälfte der genannten Fläche behalten dürften. Der Rest sollte dann durch drei dafür gewählte Männer, die alle Jahre wechselten, unter die Armen verteilt werden.
10) Diese letzte Bestimmung war es, welche die Reichen ganz besonders beunruhigte; denn sie konnten sich nicht mehr wie früher wegen der Verteilungskommission über das Gesetz hinwegsetzen und auch nicht Ackerlose anderer käuflich erwerben, da Gracchus auch dies vorausgesehen und daher den Verkauf verboten hatte. So rotteten sich die Reichen in Gruppen zusammen, erhoben ein Klagegeschrei und warfen den Armen vor, sie eigneten sich die Früchte ihrer bisherigen Bodenbestellung, ihre Pflanzungen und Gebäude an. Einige machten auch geltend, dass sie doch ihren Nachbarn den Preis für das Land bezahlt hätten, den sie nun zusammen mit dem Land einbüßen müssten. Andere wieder redeten von Grabstätten ihrer Vorfahren, die auf dem Grund und Boden lägen, und dessen Zuweisung an sie gelegentlich der Aufteilung väterlicher Güter. Eine weitere Gruppe betonte, dass sie die Mitgift ihrer Frauen für die Grundstücke aufgewendet hätten oder das Land als Ausstattung ihren Töchtern mitgegeben worden sei. Gläubiger konnten schließlich auf Anleihen hinweisen, die mit dem Boden abgesichert seien. So konnte man jede Art hemmungsloser Klage und Empörung vernehmen. Die Armen jammerten andererseits, dass sie aus gewissem Wohlstand in äußerste Armut versetzt worden seien und infolgedessen keine Kinder hätten, da sie sich deren Erziehung nicht leisten könnten. Sie zählten alle die Feldzüge auf, die sie, um gerade dieses Land zu erwerben, mitgemacht hätten, und äußerten sich empört darüber, dass sie ihres Anteils am gemeinsamen Besitz verlustig gehen sollten. Den Reichen aber warfen sie zugleich vor, sie hätten sich an Stelle von Freien, Bürgern wie Soldaten, Sklaven genommen, ein treuloses und stets übel gesinntes Volk und deshalb auch im Kriege nicht zu verwenden.


Quellenliste