Aristoteles

Staat der Athener 13-17

Es gab drei Parteien: Erstens die Küstenbewohner mit Megakles, dem Sohn des Alkmeon an der Spitze, die am ehesten eine gemäßigte Verfassung anzustreben schien, zweitens die in der Ebene Wohnenden, welche die Oligarchie wünschten. Ihr Anführer war Lykurgos. Drittens die Bergbewohner mit ihrem Anführer Peisistratos, der am volksfreundlichsten zu sein schien.
Diesen schlossen sich wegen ihrer Armut jene an, die gerade von ihren Schulden befreit worden waren, wie auch aus Furcht die, deren Herkunft nicht makellos war. Beweis dafür ist, dass man nach der Beseitigung der Tyrannen eine Abstimmung vornahm, da viele das Bürgerrecht für sich beanspruchten, denen es nicht zukam. Jede Partei führte ihren Beinamen nach den Orten, wo man sein Land bebaute.
14) Dem Volk am meisten verbunden schien Peisistratos. Auch hatte er in dem Krieg gegen die Megarer großen Ruhm erworben. Der nun fügte sich eine Wunde zu und überredete das Volk - da er diese angeblich von seinen Widersachern erlitten habe - ihm eine Leibwache zu stellen. Aristion brachte den entsprechenden Antrag ein. Mit diesen sogenannten Keulenträgern erhob er sich gegen das Volk und besetzte die Akropolis im 32. Jahr nach der Gesetzgebung, unter dem Archontat des Komeas.
Solon soll nun Peisistratos' Forderung nach einer Wache widersprochen und gesagt haben, er selbst sei weiser und tapferer als die anderen; weiser als die, die nicht merkten, dass Peisistratos nach der Tyrannis strebe, tapferer als die, die das wohl wußten, doch schwiegen. Als er sie mit seinen Worten nicht überzeugen konnte, trug er seine Waffen vor die Tür und sprach, er selbst habe seinem Land geholfen, soweit es in seiner Macht stand - er war nämlich schon sehr alt - und fordere, dass es die anderen ebenso machten.
Solon richtete nun mit seinen Mahnungen nichts aus; Peisistratos übernahm die Regierung und verwaltete den Staat, eher verfassungstreu als tyrannisch. Seine Regierung hatte sich noch nicht gefestigt, als die Anhänger des Megakles und Lykurgos sich zusammentaten und ihn im sechsten Jahr nach der ersten Amtseinsetzung, unter dem Archontat des Hegesias, in die Verbannung schickten.
Elf Jahre später geriet Megakles selbst durch innere Unruhen in Schwierigkeiten. Er verhandelte nun wieder mit Peisistratos und ließ ihn unter der Bedingung, dass er seine Tochter heirate, auf eine altmodische und sehr einfältige Weise zurückkommen. Er streute nämlich das Gerücht aus, Athene selbst werde Peisistratos zurückführen; dann suchte er eine schöne große Frau - nach Herodotos aus dem Volk der Paianier, nach Meinung einiger anderer eine thrakische Blumenhändlerin aus Kollytos mit dem Namen Phye - schmückte sie als Göttin und brachte sie mit ihm nach Athen. Peisistratos fuhr auf einem Wagen ein, die Frau stand neben ihm, die Städter aber staunten, begrüßten ihn ehrfürchtig und nahmen ihn auf.
15) So vollzog sich also seine Rückkehr. Darauf wurde er, etwa sechs Jahre nach seiner Rückkehr, ein zweites Mal verbannt. Er konnte sich nämlich nicht lange halten, sondern entwich aus Furcht vor den beiden Parteien, da er die Ehe mit der Tochter des Megakles nicht vollziehen wollte. Zunächst beteiligte er sich an der Gründung einer Siedlung an der Bucht von Thermä mit dem Namen Rhaikelos. Von dort wechselte er in die Gegend um den Pangaion über, wo er sich Geld verschaffte und Soldaten anwarb. Im elften Jahr kam er wieder nach Eretria und versuche dann zum ersten Mal, sich die Herrschaft mit Gewalt anzueignen, wobei ihm viele andere Hilfe leisteten, besonders aber die Thebaner und Lygdamis von Naxos und außerdem der eretrische Adel, der das Staatswesen in der Hand hatte.
Nach dem Sieg in der Schlacht bei Pallene und Einnahme der Stadt und nachdem er das Volk der Waffen beraubt hatte, behauptete er bald sicher die Tyrannis. Auch Naxos nahm er ein und bestellte Lygdamis zum Herrscher.
Auf folgende Weise nahm er dem Volk die Waffen ab: Er veranstaltete eine Waffenschau im Theseion und setzte zu einer Volksrede an. Er redete nur kurze Zeit, bis die Leute sagten, sie könnten ihn nicht verstehen, und hieß sie dann zum Eingang der Akropolis hinaufzukommen, damit seine Stimme lauter schalle. Während er nun einige Zeit redete, nahmen dazu Beauftragte die Waffen und schlossen sie in dem neben dem Theseion gelegenen Gebäude ein. Dann gingen sie zu Peisistratos und gaben ihm ein Zeichen.
Der schloß nun seine Rede ab und erläuterte dann, was mit den Waffen geschehen sei. Sie sollten sich nicht wundern oder ärgern, sondern heimgehen und sich auf ihre Privatangelegenheiten beschränken, für alle gemeinsamen Interessen werde er schon sorgen.
16) Die Tyrannenherrschaft des Peisistratos wurde also ursprünglich in dieser Weise begründet und erlebte so viele Wandlungen.
Peisistratos führe die Regierungsgeschäfte, wie gesagt, in maßvoller Weise und eher mit bürgerlichem Verantwortungsbewusstsein als tyrannisch. Denn im übrigen war er menschenfreundlich, milde und gegenüber Übeltätern zur Vergebung bereit, ebenso gab er an Bedürftige Darlehen für Unternehmungen, damit sie sich als Bauern ihren Unterhalt verdienen könnten.
Das tat er aus zwei Gründen: Damit sie sich nicht in der Stadt aufhielten, sondern über das Land verstreuten, und damit sie, in mäßigem Wohlstand und mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, weder den Wunsch verspürten noch Zeit hätten, sich um das Gemeinwesen zu kümmern.
Zugleich gelang es ihm dadurch auch, die Einnahmen zu steigern, da das Land bebaut wurde. Er trieb nämlich von den Ernteerträgen den Zehnten ein.
So setzte er die Richter in den Gemeinden ein, bereiste auch selbst oft das Land, führte Aufsicht und bewegte Streitende zum Vergleich, damit sie nicht in die Stadt kämen und ihre Arbeit vernachlässigten.
Anlässlich einer solchen Reise soll Peisistratos die Geschichte mit dem Landmann auf dem Hymettos, der das später so genannte Steuerfreie Landgut besaß, erlebt haben. Er sah nämlich einen, der fast nur Steine umgrub und sich abmühte. Peisistratos wunderte sich und ließ seinen Diener ihn fragen, was denn aus diesem Acker herauskomme. Dieser sagte: »Lauter Übel und Qualen, und davon sollte Peisistratos auch den Zehnten nehmen.« Dieser Mann antwortete so, weil er ihn nicht erkannte. Peisistratos aber freute sich über diese freie Sprache und den Fleiß und befreite ihn von allen Abgaben.
Auch sonst hatte das Volk unter seiner Regierung nicht zu leiden, sondern er tat alles für den Frieden und sorgte für Ruhe. Deshalb ging oft die Rede um, die Tyrannis des Peisistratos sei wie das Goldene Zeitalter unter Kronos. Es ergab sich nämlich, dass das Regime viel härter wurde, als es seine Söhne übernahmen. Das Großartigste aber von allem war seine volksfreundliche und menschliche Gesinnung; denn er wollte alles nach den Gesetzen verwalten, ohne sich selbst Vorteile zu verschaffen, und als er einmal in einem Mordprozeß vor den Areopag zitiert wurde, trat er selbst auf, um sich zu verteidigen, der aber, der den Prozess angestrengt hatte, blieb aus Furcht fern.
Deshalb verblieb Peisistratos auch lange Zeit im Amt, und wenn er einmal abgesetzt wurde, erlangte er die Herrschaft leicht zurück, denn es standen die meisten Adligen und Volksvertreter hinter ihm. Die einen machte er sich durch persönlichen Umgang, die anderen durch seine Hilfeleistung in ihren Angelegenheiten geneigt, und er verhielt sich gegen beide Parteien anständig.
Die Athener hatten in jener Zeit auch milde Gesetze zum Schutz vor Tyrannen, besonders das die Errichtung der Tyrannis betreffende. Das lautete wie folgt: 'Satzungsgemäß und altüberkommen ist für die Athener folgendes: Wenn irgendwelche Leute versuchen, tyrannisch zu herrschen, oder zur Errichtung der Tyrannis Beihilfe leisten, sollen sie selbst und ihr Geschlecht das Bürgerrecht verlieren...'
17) Peisistratos wurde im Amt alt und starb zur Zeit des Archonten Philoneos an einer Erkrankung, 33 Jahre nachdem er zum ersten Mal als Tyrann aufgetreten war. Davon verbrachte er allerdings nur 19 Jahre im Amt, die übrigen Jahre lebte er in der Verbannung.
Daher reden die offensichtlich Unsinn, die sagen, Peisistratos sei der Geliebte Solons und Stratege in dem Krieg gegen die Megarer um Salamis gewesen. Das ist im Hinblick auf ihre Lebenszeit nicht möglich, wenn man nämlich beider Lebensdauer berechnet und unter welchem Archonten sie starben.
Als Peisistratos gestorben war, übernahmen seine Söhne die Regierung und führten die Staatsgeschäfte in der gleichen Weise fort.


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