Der Landfriede König Friedrichs I. Barbarossa vom Juli/August 1152

von Oliver H. Herde

"Unter Landfrieden versteht man sowohl den Zustand des Friedens im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens der Bevölkerung, ergänzt durch eine geordnete und wirksame Verfolgung der Störungen dieses Friedenszustandes, als auch - im engeren Sinne - eine Gruppe von Rechtsnormen, die diesen Zustand herstellen und festigen wollen (Landfriedensgesetze)."1
Die erwähnte Gruppe von Rechtsnormen - also Gesetzen und Verordnungen - wurde von einer Vielzahl von Landesherren etwa zwischen dem 10. und dem 15. Jahrhundert verabschiedet. Sie waren notwendig geworden, da die allgemeine Kriminalität sowie das weit verbreitete Übel der Fehde seit der Aufteilung des Reiches der Franken mehr und mehr anarchistische Ausmaße angenommen hatten. Jede Gesellschaft braucht ihren inneren Frieden, ohne den ihre Existenz gefährdet ist.
Folglich lässt sich der Landfriede Friedrichs I. nicht als außergewöhnliche Neuerung betrachten. Er stellt nur einen von vielen Befriedungsversuchen dar, von denen die meisten, wenn nicht gar alle im Wesentlichen als gescheitert angesehen werden können. Nicht zuletzt Friedrichs Rang als König und späterer Kaiser lassen seinem Landfriedensgesetz jedoch eine besondere Bedeutung zukommen.

Schon in der Einleitung des 'pace tenenda' macht Friedrich mit seinen Grüßen den Einflussreichen und Mächtigen im Lande ein Friedensangebot, wohl in dem Bewußtsein, dass sich der Landfriede ohne ihr Mitwirken nicht realisieren lässt.
Im zweiten Absatz bezieht Friedrich - wie es zu dieser Zeit üblich ist - noch einmal ganz besonders Gott und die Kirche ein. Es wird von Schutz für Gotteshäuser und Geistliche gesprochen, um sich im Gegenzug hierzu deren Unterstützung bei der Umsetzung des Landfriedens zu vergewissern. Schließlich ist die Kirche eine machtvolle Institution, die sogar in ganz Europa erfolgreich zu Kreuzzügen auf internationaler Ebene aufrufen kann.
Doch der dreißigjährige Friedrich besitzt noch einen weiteren Trumpf, der seine Durchsetzungsfähigkeit stärkt und wohl schon bei seiner Wahl zum deutschen König eine nicht unwesentliche Rolle spielt: Über Jahrzehnte hinweg standen die Geschlechter der Welfen und der Staufer in Konkurrenz um den Kaiserthron. Als Sohn des Stauferherzogs Friedrich II. von Schwaben und der Welfin Judith stammt Friedrich Barbarossa aus beiden Familien ab. Er ist Neffe sowohl König Konrads III. als auch dessen Gegenspielers Heinrich des Stolzen. Ihm kommt daher eine besondere Vermittlerrolle zwischen den Clans zu.

Im Landfrieden wird schon sehr genau aufgeführt, was für eine Strafe für das eine oder andere Vergehen zu verhängen ist. Dabei wird versucht, an alle Möglichen Varianten von Friedensbrüchen und Streitigkeiten zu denken.
Dabei läßt der Text aber an einigen Stellen an Eindeutigkeit zu wünschen übrig. So wird zum Beispiel bei Punkt 4 im letzten Satz die - wie man es heute wohl unter Juristen ausdrücken würde - Körperverletzung im Affekt behandelt, ohne zu erwähnen, wem das Bußgeld von 5 Pfund eigentlich zu zahlen ist - dem Richter, dem Opfer oder beiden.
Das römische Prinzip `Im Zweifel für den Angeklagten' wird natürlich noch nicht wieder angewandt. Können Schuld oder Unschuld nicht bewiesen werden, wird auf ein Gottesurteil in Gestalt eines Zweikampfes zurückgegriffen. Überraschenderweise wird die Variante der bewiesenen Unschuld im Text gar nicht genannt.
Wie im Mittelalter nicht anders zu erwarten, wird dem Ritter die Beweisführung leichter gemacht als dem Bauern, der aufgrund seines niederen Standes als unglaubwürdiger gilt (siehe Punkt 10).
Überhaupt lässt der Wortlaut deutlich erkennen, wie sehr man sich im Rechtswesen zu dieser Zeit auf Zeugenaussagen, anstatt auf wirkliche Beweise stützt.
Grundsätzlich darf ein Bauer keine Waffen tragen, doch eine Gebühr von zwanzig Schilling an den zuständigen Richter schafft hier Abhilfe (Punkt 12). Eine Begründung für diese seltsame Regelung fehlt.
Dem Kaufmann, der in dieser Zeit besonders gefährdet ist, wird in Punkt 13 das Mitführen eines Schwertes zur Verteidigung erlaubt. Hiermit wird allerdings gleichzeitig versteckt zugegeben, dass die Obrigkeit nicht in der Lage ist, den Reisenden zu schützen.
Weiterhin werden Regelungen zur Jagd und zur Nutzung von Pflanzen am Wegesrand durch den Reisenden getroffen.
Besonders interessant scheint mir Punkt 17, der den Missbrauch einer Vogtei durch ihren Herrn ausschließen soll nach dem Motto 'Eigentum verpflichtet'. Das Gegenteil scheint des öfteren der Fall gewesen zu sein, sonst hätte man diesen Punkt nicht aufgenommen.
In einem Landfrieden etwas fehl am Platze scheint mir die Bestimmung über jährliche Preisfestsetzungen von Getreide in Punkt 11. Vermutlich soll auf diese Weise Betrügereien oder der Ausnutzung von Notlagen anderer vorgebeugt werden.

Es ist zumindest bemerkenswert, dass Friedrich - des Lateinischen weitgehend unkundig - in der ersten Zeile seines Landfriedens schon als "von Gottes Gnaden Römischer Kaiser" bezeichnet wird, obwohl ihm dieses Amt erst drei Jahre später zufällt. Es lässt sich vermuten, dass diese Antizipation durch die Kanzlei vorgenommen wurde. Im weiteren Text ist jedenfalls nur noch von "königlicher Hoheit" und "königlicher Vollmacht" die Rede, was darauf schließen läßt, dass er aus anderer Feder stammt. Möglicherweise hat hier schon der spätere kaisertreue Reichskanzler Rainald von Dassel oder einer seiner Gesinnungsgenossen die Hand im Spiel.
Allerdings ist diese Vorausschau nicht nur im nachhinein zutreffend, sondern entspricht schon im Juli/August 1152 der wahrscheinlichen Zukunft. Zwar ist sein unmittelbarer Vorgänger, Konrad III., nie nach Italien gezogen, noch zum Kaiser gekrönt worden, doch Friedrichs Ambitionen müssen zu dieser Zeit bereits deutlich erkennbar gewesen sein.

Das gänzliche Fehdeverbot zu jeder Zeit, das Friedrichs Landfrieden beinhaltet ohne aber direkt genannt zu werden, ist erstmalig in der deutschen Rechtsgeschichte. Zuvor wurden Verbote in dieser Richtung vorsichtig - quasi zum eingewöhnen - nur für bestimmte religiöse Feiertage festgesetzt, zum Beispiel im Gottesfrieden im Erzbistum Köln.
Allerdings muss auch Friedrich bald einsehen, dass sich das vollständige Fehdeverbot nicht umsetzen lässt. Im Jahre 1179 begnügt er sich mit der Beschränkung auf bestimmte Personen, Zeiten, Orte oder Sachen, das heißt es werden formale Regelungen zur Fehde eingeführt. 1186 werden Brandstiftung sowie die Verwüstung von Wein- und Obstkulturen von den zulässigen Fehdehandlungen ausgeschlossen.
dass auch dieser starke Kaiser mit seinem Landfrieden so wenig Erfolg hatte, mag überwiegend an seiner übermäßigen Konzentration auf Italien gelegen haben. Er muss sich deshalb auch den Vorwurf gefallenlassen, die Bildung eines deutschen Nationalstaates verhindert zu haben.


1 Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. II, S.1451
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© OHH September 1991Elf und Adler Verlag