Polykrates, Tyrann von Samos

von Oliver H. Herde

Herkunft und Machtergreifung
Politik des Polykrates
Der Ring des Polykrates
Niedergang und Tod
Quelle * Literatur * Fußnoten

Herkunft und Machtergreifung

Die Familie des Polykrates muss schon zur Zeit der Herrschaft der Geomoren1 recht wohlhabend gewesen sein. Aiakes, Vater des Polykrates und möglicher Sohn des Bryson2, hatte ein wichtiges Amt in der Verwaltung des Tempels der Hera. Polykrates selbst verlieh bereits vor seiner Herrschaft über Samos Teppiche und Trinkgefäße an Bekannte3, was auf das Vorhandensein entsprechender Geldmittel schließen lässt.
Seine Machtergreifung fand mit Unterstützung seiner beiden Brüder während eines Herafestes im Jahre 538 v.u.Z. statt. Die Samier legten während der Opferfeierlichkeiten ihre Waffen ab, welche Polykrates' Brüder an sich brachten. Sie sollen damit ein Blutbad unter den Opfernden angerichtet haben. Polykrates besetzte inzwischen die Burg von Astypalaia. Bei beiden Aktionen standen nur wenige Männer zur Verfügung, die Angabe von nur 15 Hopliten erscheint jedoch als übertrieben gering. Die Samier hielten offenbar zu Polykrates - jedenfalls verhielten sie sich passiv und griffen nicht in die Kämpfe ein.4 Bengtson zufolge gelangte Polykrates mit Hilfe des Lygdamis von Naxos an die Macht.5 Die Art dieser Hilfe wird nicht erwähnt. Berve spricht von der Sendung eines Korps.6
Nach kurzer gemeinsamer Herrschaft,7 in der sich die Brüder die Machtbereiche über die Stadt und die Insel aufteilten, tötete Polykrates Pantagnotos, den älteren seiner beiden Brüder. Der jüngere, Syloson, wurde verjagt8 und flüchtete an den Hof des persischen Großkönigs.

Politik des Polykrates

Polykrates baute ein Söldnerheer auf, zu dem 1000 Bogenschützen zählten. Außerdem besaß er die beachtlichste Flotte der Ägäis seiner Zeit. Hierzu gehörten 100 schnelle Schiffe mit je 50 Ruderern und einem relativ großen Laderaum, die für Kaperfahrten besonders geeignet waren, und mindestens 40 Trieren.
9 Mit dieser Streitmacht gelang Polykrates eine zügige Ausbreitung seines Machtbereichs in der Ägäis. Bald standen mehrere Inseln und ein kleiner Teil des kleinasiatischen Festlandes unter seiner Herrschaft.
Ein typischer Ausspruch von ihm soll gewesen sein: »Ich tue meinen Freunden einen größeren Gefallen, wenn ich ihnen etwas Gestohlenes zurückgebe, als wenn ich es ihnen nie gestohlen hätte.«10
Die Aktvitäten des Polykrates waren jedoch nicht nur militärischer Natur. An seinem Hof versammelte er einige Künstler und Dichter, die er unterstützte, darunter Ibykos11 aus Rhegion in Süditalien, Anakreon12 aus Teos und den Steinschneider Theodoros. In Anakreons Werken soll es zahlreiche Anspielungen auf Polykrates und Erwähnungen über ihn gegeben haben. Leider sind jene Stellen nicht erhalten. Dennoch scheint gesichert, dass Polykrates der Knabenliebe zugetan war, so zu einem gewissen Smerdias.13
Den Arzt Demokedes warb Polykrates den Peisistratiden ab. Der in seinem Weltbild eher gestrenge Pythagoras dagegen verließ Samos während Polykrates' Führerschaft.
Auch eine rege Bautätigkeit zu Polykrates' Zeit ist bekannt. Hierzu zählen die Wasserleitung des Architekten Eupalinos von Megara, das riesige Heraion, ein Tempel der Hera, erbaut von Rhoikos aus Samos, und die große Hafenmole. Weiterhin ließ er Markthallen errichten, sowie eine Straße mit Wirtshäusern und Bordellen, die - ähnlich einer antiken Reeperbahn - insbesondere für Seefahrer gedacht war. Schließlich wurde ihm noch ein Palast errichtet, in dem er sich auch eine größere Bibliothek einrichtete.
Eine derartige Bautätigkeit war für Tyrannenherrscher nicht ungewöhnlich. Sie stellten gewissermaßen eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dar, um Arbeitslosigkeit zu verhindern und so zur Zufriedenheit des Volkes beizutragen. Allerdings kann keine Rede davon sein, dass Polykrates die Samier zur Arbeit gepresst oder schlecht bezahlt hätte.
Zur Hebung des allgemeinen Lebensstandards führte Polykrates Zuchttiere zur Veredelung des einheimischen Viehs nach Samos ein, wie Schafe aus Attika und Milet, Ziegen aus Skyros und Schweine aus Sikilien.
Polykrates führte die Münzwirtschaft ein und sorgte für die Ausbreitung des Fernhandels. Er unterhielt bald Handelsbeziehungen zur gesamten griechischen Welt, darunter Epeiros, Lakonien, Skyros, Naxos, Milet, Attika und Sikilien.
Eine Verbindung bestand auch zu Kyrene. Der dortige König Arkesilaos III. suchte nach seiner Vertreibung in Samos Hilfe.
Mit Peisistratos von Athen verband Polykrates die gemeinsame Freundschaft zu Lygdamis von Naxos. Außerdem lag er mit ihm in einem friedlichen Wettstreit um die Gunst des Gottes Apollon. So machte zum Beispiel Polykrates die Insel Rheneia dem Apollon zum Geschenk, indem er sie durch eine Kette mit Delos verband14, während Peisistratos ein Tempelgelände des Apollon von Grabstätten reinigte.
Eine andere Freundschaft und ein Bündnis unterhielt Polykrates mit Ahmose II.15, Pharao von Ägypten, einem ausgesprochenen Griechenfreund.

Der Ring des Polykrates

In diesem Zusammenhang gibt es eine Anekdote des Herodotos,
16 die später durch die Bearbeitung Schillers breitere Bekanntheit erlangte. Nach Herodotos nämlich ist Ahmose das unglaubliche Glück unheimlich, mit dem seinem Gastfreund Polykrates alles zu gelingen scheint, was dieser beginnt. Er gibt dem Samier den Rat, etwas, das er besonders lieb hat und das er nicht verlieren möchte, von sich aus fortzuwerfen, wohl um das Glück nicht übermäßig herauszufordern.
Polykrates erscheint dieser Vorschlag vernünftig. Seine Wahl fällt auf einen goldenen Siegelring mit einem Smaragd, der ihm außergewöhnlich am Herzen liegt. Er lässt sich auf das offene Meer hinausrudern, wirft den Ring von Bord und kehrt betrübt heim.
Tage später bittet ein Fischer, zu Polykrates vorgelassen zu werden. Er hat einen außerordentlich großen und schönen Fisch gefangen, den er Polykrates zum Geschenk macht. Zur Belohnung lässt ihn Polykrates am Mahl teilnehmen. Als der Fisch jedoch zubereitet wird, findet das Küchenpersonal den fortgeworfenen Ring in seinem Inneren und gibt ihn froh dem Herrn wieder.
Als Ahmose von der Rückkehr des Ringes erfährt, glaubt er, mit Polykrates müsse es ein schlimmes Ende nehmen, weil die Götter wegen seines Glückes auf ihn neidisch werden müssten. Um durch dessen zukünftigen Tod nicht zu sehr bedrückt zu werden, kündigt er ihre Freundschaft auf.
Die gesamte Geschichte darf wohl als erfunden gelten. Über die Märchenhaftigkeit der Anekdote hinaus bietet zum einen Amohse aus anderen Überlieferungen einen für seine Zeit eher wenig abergäubischen Eindruck. Zum anderen ist bekannt, das es Polykrates war, der das Bündnis löste. Berves Argument, die Angabe des Ringfertigers Theodoros durch Herodotos würde für eine Authentizität zumindest für einen Teil der Geschichte sprechen,17 erscheint nicht nachvollziehbar.

Niedergang und Tod

Nachdem Kambudschija (Kambyses II.) 530 v.u.Z. Herrscher über Persien wurde, erkannte auch Polykrates die persische Gefahr. Allerdings zog er andere Schlüsse daraus als Ahmose, der sich um ein starkes Bündnis gegen das aufkommende Perserreich - unter anderem mit Lydien und Babylonien - bemühte. Polykrates erfuhr von Kambudschijas Interesse an Ägypten und bot ihm Hilfe an, um Persien auf seine Seite zu ziehen (um 525). Gleichzeitig wollte er einige Samier, denen er misstraute, loswerden. Er gab Kambudschija schon in den Vorverhandlungen zu verstehen, dass er die Leute, die er ihm zur Verfügung stellen würde, nicht zurückhaben wolle. Kambudschija willigte ein.
18 Die auf Trieren entsandten Samier kehrten jedoch um und wurden auf See von Polykrates abgefangen. Die Seeschlacht verlor er, doch auf Samos konnten die Angreifer schließlich doch zurückgeschlagen werden. Weil Polykrates befürchtete, dass sich die auf Samos Gebliebenen den Aufrührern anschließen könnten, soll er während des Kampfes die Frauen und Kinder der Samier in die Schiffshäuser gesperrt haben.
Die aufständischen Samier wandten sich nach Sparta um Hilfe. Den Lakedaimoniern nämlich hatte Polykrates auf seinen Kaperfahrten wichtige Schätze gestohlen. Hierzu gehörten ein Mischkessel, der für Kroisos von Lydien gedacht war, sowie ein prachtvolles Panzerhemd. Dieses Hemd - ein Geschenk des Amasis an die Lakedaimonier bestand aus Leinen mit eingewobenen Bildern und mit Gold- und Baumwollfäden verziert, die je aus 360 einzelnen Fäden geflochten waren.19 Deshalb und auch auf das Drängen der Aigineten hin folgten die Lakedaimonier dem Hilfegesuch der Samier und wurden dabei noch von den Korinthern unterstützt.21
Polykrates entschied sich, diesmal auf ein Seegefecht zu verzichten und seine Verteidigung auf Samos zu konzentrieren, das bald von der großen lakedaimonischen Flotte belagert wurde. Nach 40 Tagen gaben die Lakedaimonier auf. Möglicherweise wurden sie durch Polykrares bestochen, abzuziehen.21 Das Gerücht, Polykrates habe mit Falschgeld bestochen, klingt eher nach der Erfindung eifersüchtiger Gegner.
Die aufständischen Samier wandten sich nun an das reiche Siphnos. Die Bitte um eine Leihe von 10 Talenten wurde zurückgewiesen. Daraufhin verwüsteten die Samier die Felder der Siphnier, die beim folgenden Kampf unterlagen. Nun erpressten sich die Samier 100 Talente.22 Ob sie damit noch einen Putschversuch gegen Polykrates unternahmen, wird jedoch nicht berichtet.
Auf lange Sicht schadete Polykrates seine aggressive Außenpolitik gegen Freund und Feind ebenso wie seine großzügige Verwendung des Reichtums. Er geriet in Geldnot.
Der persische Satrap Oroites, Statthalter in Sardes, witterte hierin eine Möglichkeit, Polykrates zu vernichten. Herodotos bietet hierzu zwei Motive des Oroites an:23 Vermutlich fühlte sich Oroites herausgefordert durch den Spott des Mitrobates, den Herrn von Daskyleion, der ihn fragte, warum er das kleine Samos noch nicht für den persischen Großkönig erobert habe. Möglicherweise wurde er aber auch durch die nichtachtende Behandlung beleidigt, die Polykrates einem Herold des Oroites entgegenbrachte. Allerdings - ebensogut, wie aus diesen beiden Beweggründen, könnte Oroites auch einfach aus eigenen Machtgelüsten heraus gehandelt haben.
Jedenfalls behauptete er gegenüber Polykrates, er sei durch Kambudschija bedroht. Polykrates solle ihm gegen eine hohe Belohnung zur Flucht verhelfen.
Neugierig geworden, sandte Polykrates seinen Geheimschreiber Maiandrios nach Magnesia am Maiandros (Mäander), wo Oroites residierte. Mit einer plumpen List wurde Maiandrios vom Vorhandensein der Geldmittel überzeugt. Ihm sollen acht Kästen vorgeführt worden sein, angefüllt mit Steinen, welche durch eine Schicht Gold versteckt wurden.24 Entgegen den zahlreichen Warnungen von Sehern, Freunden und von seiner unverheirateten Tochter brach Polykrates mit großem Gefolge nach Magnesia auf, wo er im Jahre 522 verhaftet, grausam getötet und ans Kreuz geschlagen wurde.25 Die Samier aus seinem Gefolge wurden nach Hause entlasssen, die anderen behielt Oroites für sich als Sklaven.
Der plötzliche Tod des immer so erfolgreichen Polykrates muss ein Schock für die damalige Griechenwelt gewesen sein, was auch die Entstehung der Legende um den Ring erklärt.
Unter Polykrates' kurzfristig regierenden Nachfolgern befanden sich auch sein Bruder Syloson und dessen Sohn Aiakes, Vasallen der Perser, und Maiandrios, der Geheimschreiber.
Oroites wurde später auf Betreiben des neuen Großkönigs Dareios26 von seiner eigenen Leibwache getötet.27


Quelle

Herodot(os): Geschichten und Geschichte Bd. 1, Ü: Walter Marg, München 1973

Literatur

Herrmann Bengtson: Griechische Geschichte von den Anfängen bis in die Kaiserzeit, Handbücher der Altertumswissenschaft Bd. III, München 1977
Helmut Berve: Die Tyrannei der Griechen Bd. I, München 1967
Thomas Lenschau: "Themistokles" in Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE), Hg. Georg Wissowa u.a., Bd. 21,2, Sp. 1726-37, Stuttgart 1965

Fußnoten

1 Geomoroi: alteingesessene, grundbesitzende Familien; auf Samos um 600 v.u.Z. durch Aufstand des Volkes gestürzt.
2 RE, Bd. 21,2, Sp. 1727; Berve nennt ihn Brychon und bezweifelt die Vaterschaft zu Aiakes. (S. 107)
3 RE, Bd. 21,2, Sp. 1727
4 ebenda, Sp. 1728
5 Bengtson, S. 139
6 Berve, S. 79
7 nach Berve endet sie 532 (S. 108)
8 Hdt. 3,39
9 Hdt. 3,39 und 3,44
10 Hdt. 3,39 und 3,44
11 Chorlyriker; in seinen Chorliedern besingt er schöne Knaben.
12 Lyriker (Liebes- und Trinklieder)
13 RE, Bd. 21,2, Sp. 1734
14 Berve, S.109
15 bei Herodotos 'Amasis'; Regierungszeit 569-525
16 Hdt. 3,40-43
17 Berve, S. 110
18 Hdt. 3,44
19 Hdt. 3,47
20 Hdt, 3,48
21 Hdt. 3,56
22 Hdt. 3,57/8
23 Hdt. 3,120/1
24 Hdt. 3,123
25 Hdt. 3,125
26 persische Originalform Darajawasch; Regierungszeit 521-485
27 Hdt. 3,128
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