Gaius Sallustius Crispus

Von der Catilinarischen Verschwörung, 36-8

(De coniuratione Catilinae)

36) Dazumal schien mir das Reich des römischen Volkes bei weitem am meisten beklagenswert. Obwohl ihm bis zum Untergang der Sonne vom Aufgang angefangen alles durch Waffengewalt bezwungen gehorchte, daheim Frieden und Reichtum, die wertvollsten Dinge nach dem Urteil der Menschen, im Überfluss vorhanden waren, gab es doch Bürger, die sich und das Gemeinwesen durch ihren verstockten Sinn zugrunde richteten. Denn trotz der zwei Senatsbeschlüsse hatte bei einer so ungeheuren Menge keiner durch die ausgesetzte Belohnung verlockt die Verschwörung aufgedeckt, und das Lager Catilinas hatte kein einziger verlassen. So groß war die Gewalt der Krankheit, und wie eine Seuche hatte sie den Geist der meisten Bürger befallen.
37) Denn nicht nur denjenigen, die Mitwisser der Verschwörung gewesen waren, war der Sinn verwirrt, sondern überhaupt das gesamte niedere Volk hieß das Beginnen Catilinas gut aus Freude am Umsturz. Das tat es offensichtlich nach seiner Art. Denn immer sehen in einem Staate diejenigen, die keine Mittel haben, auf die Tüchtigen mit Missgunst, heben Taugenichtse auf den Schild, hassen das Alte, begehren Neues, aus Verdruss über ihre Lage sind sie dafür, alles zu ändern, gedeihen bei Wirren und Aufruhr ohne sich Sorgen zu machen, da man ja die Armut leicht ohne Schaden haben kann. Die hauptstädtische Masse indes, die war vollends hemmungslos aus vielen Gründen. Zum ersten vor allem: Wer irgendwo sich besonders auszeichnete durch schändliches Wesen und Frechheit, desgleichen andere, die schimpflich ihr Vermögen verloren hatten, schließlich alle die eine Schandtat oder ein Verbrechen von daheim fortgetrieben hatte, die waren in Rom wie die Jauche im Kielraum des Schiffes zusammengelaufen. Dann hofften viele in Erinnerung an Sullas Sieg weil sie gemeine Soldaten jetzt teils als Senatoren sahen, teils so reich dass sie ein Leben in königlicher Weise und Pracht führten, jeder für sich selbst, wenn er zu den Waffen griffe, nach einem Siege ähnliches. Außerdem hatte die Jugend, die auf den Feldern mit ihrer Hände Lohn ein armes Leben geführt hatte, durch Geschenke von privater Seite und von Staats wegen herbeigelockt, das Nichtstun in der Stadt einer undankbaren Arbeit vorgezogen. Die und alle anderen lebten vom Unglück des Staates. Kein Wunder daher, dass diese Menschen - arm, sittlich verkommen, voll der größten Erwartungen - für den Staat nicht anders sorgten als für sich. Außerdem: Alle, deren Eltern nach dem Sieg Sullas geächtet, deren Güter geraubt, deren Freiheitsrechte beschnitten worden waren, erwarteten in keineswegs anderer Gesinnung den Ausgang des Krieges. Dazu wollten alle, die einer anderen als der Senatspartei angehörten, lieber, dass das Gemeinwesen in Unordnung geriete, als dass sie selber weniger Gewicht hätten. Dies Unheil war nach vielen Jahren in den Staat wieder eingekehrt.
38) Denn nachdem unter dem Consulat des Gnaeus Pompeius und des Marcus Crassus die Amtsgewalt der Tribunen wiederhergestellt worden war, begannen junge Burschen, nach Erlangung höchster Amtsgewalt, in jugendlicher und angeborener Rücksichtslosigkeit das Volk mit Verdächtigungen gegen den Senat aufzuwiegeln, dann es durch Geschenke und Versprechungen noch mehr zu erhitzen und so selbst berühmt und mächtig zu werden. Gegen diese arbeitete mit aller Kraft der größte Teil des Adels nach außen für den Senat, in Wirklichkeit für seine eigene Größe. Denn, um mit wenigen Worten die ganze Wahrheit hinzustellen: Alle, die nach jener Zeit unter wohlklingenden Titeln das Gemeinwesen in Unruhe versetzten, die einen, gleich als ob sie die Rechte des Volkes schützten ein Teil, dass das Ansehen des Senates so groß wie möglich sei, nahmen das Gemeinwohl nur zum Vorwand, um jeder für die eigene Macht zu kämpfen. Und sie kannten weder Zurückhaltung noch Maß in diesem Kampf. Beide Parteien nützten ihren Sieg grausam aus.


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