Thukydides

6,1-6

(Beschreibung Siziliens)

1) Im gleichen Winter wollten die Athener noch einmal mit größerer Macht als unter Laches und Euryrmedon gegen Sikilien fahren und es unterwerfen, wenn sie könnten, die meisten ohne die Größe der Insel zu kennen und die Menge der dort wohnenden Hellenen und Barbaren und dass sie damit einen nicht viel geringeren Krieg anfingen als den gegen die Peloponnesier. Denn zur Fahrt um Sikilien braucht ein Lastschiff nicht viel weniger als acht Tage, und bei solchem Umfang ist es durchs Meer mit kaum mehr als zwei Seemeilen abgetrennt, sonst wäre es Festland.
2) Besiedelt wurde es ursprünglich so, und nachgenannte Völker nahmen es alle in Besitz: Als äteste sollen in einem Teil des Landes die Kyklopen und die Laistrygonen gewohnt haben, von denen ich weder die Absrammung zu nennen wüsste, noch woher sic eingewandert, noch wohin sie weitergezogen. Es mag genügen, wie die Dichter über sie berichten, und was jeder selbst darüber denken will. Nach ihnen haben sich offenbar die Sikaner zuerst dort niedergelassen, ja nach ihrer eigenen Aussage sogar noch früher, als Erdgeborene, in Wahrheit aber ergibt sich, dass sie Iberer sind und vom Sikanosfluß in Iberien durch die Ligyer vertrieben wurden. Nach ihnen wurde damals die Insel Sikanien genannt, während sie vorher Trinakria hieß, und noch heute bewohnen sie die westlichen Teile Sikiliens. Nach der Einnahme von Ilion gelangten einige der Troer, den Achaiern entronnen, zu Schiff nach Sikilien, siedelten in der Nachbarschaft der Sikaner und bekamen alle zusammen den Namen Elymer, ihre Städte sind Eryx und Egesta. Gemeinsam mit ihnen siedelten auch einige Phoker, die von Troia damals durch Stürme erst nach Libyen, dann von dort nach Sikilien verschlagen wurden. Die Sikeler gelangten aus Italien - denn dort wohnten sie - nach Sikilien hinüber, vor den Opikern weichend, nach wahrscheinlicher Überlieferung auf Flößen, wobei sie die Strömung wahrnahmen bei einfallendem Wind, vielleicht fuhren sie aber auch irgendwie anders herüber. Es gibt auch heute noch in Italien Siketer, und das Land bekam von Italos einem Sikelerkönig, der so hieß, seinen Namcn Italien. Nun nach Sikilien gelangt, ein starkes Heer, besiegten sie die Sikaner in einer Schlacht, drängten sie gegen die südlichen und westlichen Teile - ihrerwegen hieß nun die Insel statt Sikanien Sikilien - und besetzten selbst die besten Gegenden, wo sie seit ihrem Übergang nahezu 300 Jahre wohnten, bis die Hellenen nach Sikilien kamen; noch heute besitzen sie die Mitte und den Norden der Insel. Es wohnten auch Phoinikier rings um ganz Sikilien auf Vorgebirgen, die sie befestigten, und auf den vorgelagerten Inselchen des Handels wegen mit den Sikelern; als dann die Hellenen zur See zahlreich einströmten, gaben sie das meiste auf und zogen zusammen nach Motye, Soloeis und Panormos nah bei den Elymern und wohnten dort, gestützt auf ihr Büntnis mit den Elymern und weil von dort die Fahrt von Karthago nach Sikilien am kürzesten ist. Das also sind die Barbaren, die alle Sikilien, und auf die Art, besiedelt haben.
3) Von den Hellenen aber gründeten zuerst die Chalkidier, die von Euboia herüberfuhren, Naxos - Thukles hieß der Gründer - und bauten den Altar des Apollon Archegetes, der jetzt außerhalb der Stadt ist, und an dem alle Festboten, die aus Sikilien abfahren, zuerst opfern. Syrakus gründete das Jahr darauf Archias, ein Heraklide aus Korinth - er verjagte zuerst die Sikeler von der Insel, die jetzt, nicht mehr rings umspült, die innere Stadt trägt, später wurde mit der Zeit auch die äußere befestigt und einbezogen und wurde volkreich. Thukles und die Chalkidier legten von Naxos aus, vier Jahre nach der Gründung von Syrakus, die Stadt Leontinoi an, nachdem sie im Krieg die Sikeler verjagt, und danach Katana; zu ihrem Gründer machten die Kataner selber den Euarchos.
4) Um die gleiche Zeit kam auch Lamis aus Megara mit Siedlern nach Sikilien und gründete über dem Fluss Pantakyas einen Ort namens Trotilos, später kamen sie von dort nach Leontinoi, um da für kurze Zeit Mitbürger der Chalkidier zu werden, wurden wieder herausgeworfen, gründeten Thapsos, wo Lamis starb. Die anderen gaben Thapsos wieder auf, um nach dem Rat des Sikelerkönigs Hyblon, der die Feldmark hergab, Megara anzulegen, das das hyblaische genannt wurde. Nachdem sie dort 245 Jahre gewohnt, wurden sie von Gelon, dem Tyrannen von Syrakus, aus Stadt und Land vertieben. Vor dieser Vertreibung, hundert Jahre nach ihrer eignen Niederlassung, holten sie sich Pamillos und gründeten Selinus. Er kam zu ihnen aus ihrer Murterstadt Megara und half bei der Gründung. Gela gründeten Antiphemos aus Rhodos und Entimos aus Kreta gemeinsam, mit neuen Siedlern, vierundvierzig Jahre nach der Anlage von Syrakus. Die Stadt erhielt ihren Namen vom Fluss Gelas, aber die Stelle, wo die Stadt jetzt steht und die zuerst befestigt wurde, heißt Lindioi; dorisches Gesetz wurde ihr gegeben. Ziemlich genau hundertacht Jahre nach ihrer eigenen Gründung legten die Geloer Akragas an - den Namen gaben sie der Stadt vom Fluss Akragas, zu Gründern machten sie Aristonus und Pystilos und gaben ihr das Gesetz von Gela. Zankle wurde ursprünglich gegründet von Kyme, einer chalkidischen Stadt im Opikerland, wo Seeräuber hingekommen waren; später strömte auch von Chalkis und dem übrigen Euboia eine Menge dort zusammen und bebaute das Land gemeinsam. Als ihre Gründer nannten sie Perieres und Krataimenes, jenen aus Kyme, diesen aus Chalkis. Es hieß zuerst Zankle, welchen Namen ihm die Sikeler gaben nach der sichelartigen Form des Ortes - die Sichel heißt auf sikelisch Zanklon - später wurden sie vertrieben von den Samiern und anderen Ioniern, die, von den Persern verdrängt, in Sikilien gelandet waren. Diese Samier verjagte nicht viel später Anaxilas, der Tyrann von Rhegion, besiedelte die Stadt selbst mit einer vermischten Bevölkerung und nannte sie nach seiner eigenen alten Heimat um in Messene.
5) Auch Himera wurde von Zankle aus gegründet von Eukleides, Simos und Sakon, mit einer meist chalkidischen Siedlerschaft, es betziligten sich aber auch Verbannte aus Syrakus, Besiegte eines Bürgerkrieges, die sogenannten Myletiden. Die Sprache wurde eine Mischung aus chalkidisch und dorisch, aber das Gesetz von Chalkis drang durch. Akrai und Kasmenai wurden von Syrakus gegründet, Akrai siebzig Jahre nach Syrakus, Kasmenai etwa zwanzig Jahre nach Akrai. Kamarina wurde zuerst von Syrakus angelegt, ziemlich genau hundertfünfunddreißig Jahre nach der Gründung von Syrakus; Gründer waren Daskon und Menekolos. Da aber die Kamariner in einem Krieg gegen Syrakus, von dem sie abgefallen, ihre Heimat verloren, übernahm später Hippokrates, der Tyrann von Gela, ihr Land von Syrakus als Lösegeld für syrakusische Gefangene und wurde selbst der Gründer einer neuen Siedlung Kamarina. Abermals entvölkert von Gelon, wurde sie ein drittes Mal von den Geloern neu geründet.
6) So viele Völker, hellenische und barbarische, bewohnten Sikilien, und so groß ist das Land, gegen das die Athener nun auszufahren sich anschickten. Der wahrste Grund war gewiss ihr Wunsch, das Ganze zu unterwerfen, zugleich wollten sie zum schönen Schein ihren Stammverwandten Hilfe leisten und den dazugekommenen Verbündeten.


Quellenliste