Prinzessin Gutemine im Paddelboot

Eines schönen Tages unternahm die Prinzessin Gutemine einen Ausflug mit ihrem Paddelboot. Es führte nämlich ein kleiner Fluss neben dem Schloss ihrer Eltern vorüber.
Als sie im Boot saß und gerade die Leine losmachen wollte, überlegte sie, ob sie den Fluss aufwärts rudern sollte, damit sie es später leichter haben würde, wenn sie nach Hause wollte. Tatsächlich entschied sie sich dafür. Nachher würde sie bestimmt müde sein!
Also legte sie sich in die Riemen und kam auch recht gut voran, weil die Strömung nicht so stark war. 'Gut, dass es nicht geregnet hat!' dachte sie sich.
So kam sie den Flusslauf entlang zu den Hügeln hinauf, die vor den Bergen lagen. Es waren schöne grüne Hügel mit Kühen und bunten Blumen darauf.
Nach einem Weilchen aber kam die Prinzessin Gutemine an eine Stelle, die sie mit ihrem Boot nicht mehr befahren konnte. Hier lagen nämlich große Steine im Flussbett. Daran hatte sie gar nicht recht gedacht! Nun hätte sie sich doch gewünscht, dass es am Morgen geregnet hätte, denn dann wäre der Wasserstand höher gewesen.
Doch wünschen half nichts; sie musste sich wieder abwärts treiben lassen. Da schauten die Kühe ziemlich dumm fragend, als sie die Prinzessin nun in der anderen Richtung vorbeikommen sahen. Aber da sie alle die Mäuler voller Gras hatten, fragten sie nicht, sondern kauten nur weiter.
Recht bald kam Gutemine auch am Schloss vorbei. Sie hatte noch keine Lust, ihre Fahrt zu beenden. Bis zum Mittagessen würde es ja auch noch ein wenig dauern. Also ließ sie sich weiter treiben und packte ihr vorbereitetes Körbchen aus. Darin hatte sie sich ein belegtes Brot und einen Apfel mitgenommen. Sie nahm den Apfel und knabberte gemütlich daran, während das Boot an dem Wald vorbeitrieb. Und weil sie so einen kleinen Prinzessinnenmund und so einen kleinen Prinzessinnenmagen hatte, brauchte sie recht lang, den Apfel aufzuessen.
Sie kam mit ihren Bissen schon dem Gehäuse recht nahe, da hörte sie plötzlich eine piepsende Stimme: "Heh, Vorsicht!"
Prinzessin Gutemine schaute sich verwundert um. Zuerst dachte sie, dass sie vielleicht einen Fisch überfahren hätte, und blickte hinter das Boot und davor. Dann schaute sie auf den beiden Seiten nach, aber es war gerade nirgends ein Fisch zu sehen. Nur ein Frosch winkte ihr aus dem Wasser zu, aber der war zu fröhlich, als dass er eben gesprochen haben konnte.
Verwundert setzte sich Prinzessin Gutemine wieder hin und wollte gerade in den Apfel beißen, als sie wieder die Stimme hörte: "Hilfe! Sie will mich fressen!"
Da bemerkte Prinzessin Gutemine, dass die Stimme aus dem Apfel kam. Fast hätte sie ihn vor Schreck fallen gelassen. "Ein Apfel, der reden kann?" fragte sie überrascht.
"Nein, du Dummkopf!" kam die Piepsstimme daraus hervor.
Dann sah die Prinzessin einen Wurm aus einem Löchlein herausschauen. Um den Kopf hatte er ein buntes Tuch geschlungen. "Du frisst ja mein ganzes Haus auf! Der Korridor ist schon fort!" zeterte der Wurm.
"Entschuldige", sagte die Prinzessin, "ich wusste ja nicht, dass da jemand drin wohnt!"
"Na gut, ich wollte sowieso ausziehen", erwiderte der Wurm verzeihend.
"Warum wolltest du denn ausziehen?" fragte die Prinzessin Gutemine. "Hast du einen schöneren Apfel gefunden?"
"Nein, ich will ans Meer ziehen. Mein Vetter ist ein Holzwurm auf einem Piratenschiff und hat mich eingeladen."
"Ach, hast du deswegen das komische Tuch auf dem Kopf?" fragte Prinzessin Gutemine.
"Komisch!?" piepste der Wurm entrüstet. "Das ist ein ganz ernsthaftes Piratenkopftuch, jawohl!"
"Das Meer ist aber ganz schön weit weg", gab die Prinzessin zu bedenken. "Wie willst du kleiner Wurm denn da hinkommen?"
Da schwieg der Wurm betreten, denn das war ihm auch noch nicht eingefallen. "Kannst du mich nicht hinfahren?" fragte der Wurm nach einer Weile.
"Das würde ich gern, aber meine Eltern, die Königin und der König, warten bald mit dem Mittagessen auf mich", erklärte die Prinzessin Gutemine. "Da würden sie sich Sorgen machen."
"So werde ich nie ein Pirat!" rief der Wurm verzweifelt.
Aber die kleine Prinzessin hatte schon eine Idee: "Du, ich glaube, ich weiß etwas: Ich lasse dich im Apfel einfach flussabwärts treiben. Dann kommst du irgendwann am Meer an. Du musst nur aufpassen, dass kein Wasser in das Gehäuse dringt."
Da reckte sich der Wurm entzückt aus dem Loch und trällerte: "Ohja, das ist eine gute Idee!"
Prinzessin Gutemine nickte fröhlich. "Fein, dann beiße ich auch jetzt nichts mehr ab. Ein kleines Stück kann ich dich noch bringen, dann muss ich zurück."
Damit war der Wurm einverstanden. Ein Weilchen erzählte er noch von seinem Vetter, dem Piraten-Holzwurm, dann musste Prinzessin Gutemine langsam an ihre Umkehr denken.
Sorgsam legte sie den angebissenen Apfel auf die Wellen und ließ ihn treiben. Sie winkte dem Wurm zum Abschied.
Der wollte auch winken, doch hatte er ja keine Hände. Also winkte er mit dem Kopf.
"Auf wiedersehen, kleiner Pirat!" rief Prinzessin Gutemine.
"Auf wiedersehen, Prinzessin Gutemine!" rief der Wurm. "Und vielen Dank!"
Da war die Prinzessin sehr froh, wieder einmal jemandem geholfen zu haben. Glücklich über diesen schönen Ausflug, drehte sie das Boot um und paddelte den Weg zurück zum Schloss, wo ihre Eltern schon mit dem Essen warteten.


Die drei Märchen um Prinzessin Gutemine
sind auch als E-Buch im Vertrieb über Tolino Media erschienen.

© Text: Oliver H. Herde
Zeichnung: Katrin Kerbusch
Elf und Adler Verlag

Kurzgeschichtenübersicht / Bibliographie Oliver H. Herde