5.9.

7:25

Überraschenderweise werde ich am Frühstückstisch von Violetta auf meine Bücher angesprochen. Wir haben ja bislang außer gestern in Assisi noch keine Worte gewechselt und überhaupt wenig miteinander zu tun gehabt; selbst, dass wir nun am selben Tische beisammensitzen, ist purer Zufall. Möglicherweise möchte sie lediglich etwas höfliche Konversation betreiben, vielleicht treibt sie auch ein klein wenig Reue wegen ihres Maßregelungsversuches um. Jedenfalls scheint die Gerüchteküche zwischen den Exkursionsteilnehmern gut zu funktionieren. Erfreut und überaus bereitwillig gebe ich Auskunft.

9:32

Da sich unser neuestes Besichtigungsobjekt am Ort befindet, konnten wir uns eine weitere weite Fahrt sparen. Ich habe festgestellt, hier tatsächlich überhaupt gar nichts wiederzuerkennen. Wer weiß, wie lange mein erster Aufenthalt zurückliegen mag, und wie jung ich war! Zudem kann ich einen Irrtum nicht gänzlich ausschließen.
Wir stehen auf dem Platz vor dem Palazzo Ducale, welchletzterer zu einem Museum umfunktioniert wurde. Hier draußen widmet sich das Referat allerdings erst einmal dem Gebäude selbst. Seine Bezeichnung erinnert ja irgendwie an den Namen unseres Hotels.
Kurz bevor wir hineingehen wollen, wimmelt eine Gruppe Asiatinnen vermutlich japanischer Herkunft über den Platz und auf das Museum zu. Herrn Dahlheim veranlasst dies zu der gemischt höflichen Entscheidung: "Lassen wir erst einmal die Quietscheentchen hinein!"

11:04

Derweil wir durch das Museum schleichen, beginne ich erstmals unter den Mitreisenden eine kleine Volkszählung abzuhalten und die Leute gedanklich nach ihren Bussen zu sortieren. Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich gar nicht weiß, wie viele wir eigentlich genau sind, man aber auch nicht einfach unsere acht auf vier Busse hochrechnen kann. Inklusive der drei Professoren komme ich auf achtundzwanzig Personen. Fein. Dann kann ich jetzt ja weiter Artefakte anstarren.

12:19

Offenbar kann sich auch Michaela nicht recht auf die Exponate konzentrieren: Wieder einmal berichtet sie mir von ihrer ständigen Panik betrefflich unseres weiterhin ausstehenden Referates. Da meine Beruhigungsversuche kaum noch fruchtbaren Boden finden, schleife ich Michaela vor Dahlheim, zumindest ein paar Details zu klären. Dem Anschein nach vermag er sie einstweilen wieder in einen inneren Ruhezustand zu versetzen, zumal er alles bestätigt, was ich auch schon gesagt habe. Natürlich ist ein Professor, vor dem man sich nicht blamieren will, glaubwürdiger als der potentiell mit Abstürzende.

17:23

Wir bekommen für den Rest des Tages frei, da für heute keine weiteren Programmpunkte mehr vorgesehen sind. Noch eine weitere Abwechslung harrt unser: es regnet. Wir patschen durch die feuchte, doch immerhin noch recht warme Stadt und stoßen auf die dritte wenngleich nicht mehr gar so spektakuläre Abwechslung - einen Supermarkt.
Derweil die anderen sich in der ihnen eigenen Art beladen, entdecke ich einen Ständer mit Sportsandalen. Dies macht Italien zwar noch nicht gerade zum Land der Schuhe, ist aber mal ein Anfang.
Obgleich es nur eine Sorte gibt, probiere ich vergleichsweise lange herum. Ich bin nicht nur auf der Suche nach der richtigen Größe - offenbar fallen diese Sandalen etwas reichlicher aus - sondern überhaupt unschlüssig, ob sie mir überhaupt gefallen. Form und Material sind etwas ungewohnt, was noch nichts heißen muss. Was aber ist mit all diesen kleinen Noppen auf der Innensohle? Sollen die der Fußmassage dienen? Werde ich mich daran gewöhnen? Werden Socken dadurch stärker abgenutzt?
Als ich Michaela um ihre Meinung frage, kommt immerhin ein die Optik betreffender eher positiver Bescheid. Alsbald ziehe ich den Schluss, mit 16.000 Lira, also etwa 16 Mark ein gerade noch vertretbares Risiko einzugehen. Notfalls trägt man die Dinger nur zu ganz warmen Zeiten ohne Socken.
Eigentlich müsste man Herrn Dahlheim zur Rede stellen, der sich im Exkursionsseminar so negativ über Sandalen ausließ, weil die ja so unitalienisch seien.
Ich gönne mir noch eine Wassermelone und rechne bereits auf dem Weg zur Kasse das Ergebnis aus, wie ich es immer zu tun pflege. Entsprechend verwundert reagiere ich, als mir der Kassierer 15 Lire zu wenig herausgibt. Die Unterschiede in der Mentalität stellen im Folgenden offenbar einen weit bedeutsameren Faktor dar als die Sprachbarriere. Zu meiner neuerlichen Überraschung erhalte ich nach wenigen Blickwechseln sogar 20 Lira aus einem wohl wenig benutzten Kassenfächlein.
Ja, meine Güte! Mag ja sein, dass man hierzulande den Gegenwert von eineinhalb Pfennigen nicht zu würdigen weiß, - das mag auch am Plastikgeld liegen; aber dann sollten sie eben nicht so krumme Preise auf die Melonen drucken!

18:41

Es wird mal wieder höchste Zeit für eine Rasur. Allerdings habe ich zwecks Gepäckersparnis auf die Mitnahme der üblichen gewichtigen Technik verzichtet. Mein Versuch, mir von Fahrer-Christian dessen Elektrorasierer zu leihen, scheitert. Halbwegs verständlich; nicht jedem ist die gemeinsame Nutzung solcher Dinge angenehm. Ich behelfe mir mit der Schere wie in alten Zeiten meiner Jugend. Das dauert im Bad dann eben etwas länger. Selbst schuld! Wir haben ja Zeit. Ausnahmsweise.

[Abends

In irgendeinem Zimmer hockten wir beisammen und irgend jemand zeigte uns einen Trick mit Gläsern. Leider wollen mir die Details nicht mehr einfallen. Es ging darum, die Gefäße in irgendeiner Weise umherzuschieben oder vermutlich umzudrehen, dass ein bestimmtes Ergebnis erzielt würde.
Dass ich mir dereinst notierte, in welcher Reihenfolge wir den Trick durchschauten, hätte mir noch vor zehn Jahren gewiss zu einer weit plastischeren Szene mit Gesichtsausdrücken und wörtlicher Rede verholfen. Sie nun lediglich zu nenne, dürfte hingegen wenig Lesespaß hervorrufen. Es genügt also, freudig auf mich als den ersten und die Erkenntnis zu verweisen: Vorführender und Probant mussten sich immer im Wechsel versuchen. Dadurch hatten die Gläser zwei unterschiedliche Startpositionen, die kaum auffielen, aber nur dem Trickser das gewünschte Ergebnis ermöglichten.]

Zum zwölften Tag


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© Oliver H. Herde
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