12.9.95

7:28

Beim Frühstück bereitet mir Hunecke eine Überraschung, indem er mich auf meine Vorschläge bezüglich Internet- und überhaupt Computernutzung am Institut anspricht. Mit den Geldern sei das ja alles nicht so leicht, da der Topf für Tutorien ausgeschöpft sei. Nach und nach versuche ich ihm klarzumachen, dass ich nicht nur als studentischer Beschäftigter anfangen könnte, sondern auch als Dozent - immerhin kann ich bereits eine abgeschlossene akademische Ausbildung vorweisen. Dank des Verlages könnte ich sogar als Firma auftreten. Nebenbei lasse ich durchblicken, dass mir das Projekt aus Überzeugung um der Sache willen wichtig ist, weniger wegen der Aussicht auf eine Bezahlung. Da fehlen dem Manne erstmal alle weiteren Widerworte.

7:46

Auf dem Parkplatz werden ein paar letzte Gruppenbilder geschossen. Da Kerstin und Kerstin nicht mehr dabei sind, ist die Chance auf Vollständigkeit der Teilnehmer freilich bereits vertan.

14:04

Angesichts der deutschen Ausschilderungen und Autokennzeichen fühlt man sich schon wieder recht zuhause. Eigentlich erinnern nur noch die unbeirrt frei umherkullernden Flaschen an italienische Verhältnisse.
Da nun keine Ausgaben mehr zu erwarten sind und ich sonst eh nichts zu tun habe, prüfe ich den Stand in meiner Geldbörse, um meinen Verbrauch zu errechnen. Im Kopfe ziehe ich die - überwiegend zuvor in harte Währung umzurechnenden - Preise von Sandalen, Armbrust, Video, Überraschungsei und Briefmarke ab. Es verbleiben etwa 90 Miese für Nahrung, also stolze 5 DM pro Tag. Eine ganze Menge, zumal wenn man auch noch bedenkt, dass Frühstück und Abendessen ja schon vorab bezahlt waren. Als ich aber das Ergebnis der Busöffentlichkeit verrate, werde ich von allen Seiten gefragt, wie ich es denn geschafft habe, "so wenig" auszugeben. Dabei waren sie doch alle dabei und haben es gesehen.
Nur zu gut weiß ich, dass mich mancher Mitreisende hier oder dort als geizig empfand. Aber ist es Geiz, wenn man von Fressereien nun einmal nicht so viel hat und lieber auf beständigere Dinge spart wie beispielsweise ein Haus? Ist es Geiz, wenn man zur Erfüllung eines Traumes mal eben 16.000,- DM für selbstgeschriebene und selbstverlegte Bücher vorschießt, ohne sicher sein zu können, diese je wieder hereinzubekommen?
Zum Glück werde ich dennoch auch von Unverständigen gemocht. Als Kauz. Immerhin dies.

[11.7.09 - 7:39

'Rückspiegel' - wie oft habe ich in letzter Zeit über den Sinn dieses Wortes in meinen Notizen nachgedacht! Vorhin hat er mich ohne Zutun angesprungen. Die Arbeitsweise von Gehirnen ist doch immer wieder erstaunlich und rätselhaft. So glaube ich nun immerhin wieder zu wissen, dass Stefan quasi irgendwo auf den letzten Metern unserer großen Fahrt den rechten Außenspiegel zu Bruch fuhr.]

15:59

Wir rollen in die Ceciliengärten ein, meine Heimatstraße seit 24 Jahren. Es ist mir ganz recht, als erster abgesetzt zu werden. Zwar werde ich dadurch sehr plötzlich wieder allein sein, aber jeden Abschied einzeln mitmachen zu müssen, könnte durchaus trauriger und anstrengender werden.
Vor Haus 33 halten wir. An offenen Fenstern erkenne ich, dass jemand in der Wohnung sein muss. "Oh nein, meine Mutter ist da!" Mehrfach wird mir versichert, das müsse mir nicht peinlich sein. Kinder von Eltern sehen so was aber nun einmal anders.
In neugieriger Begeisterung bringt mich die gesamte verbliebene Mannschaft hinauf in den ersten Stock. Man lernt meine herzliche, liebenswerte Mutter kennen - freilich nicht ohne dass dann doch von der einen oder anderen Seite beschämende Dinge angesprochen werden. Man schaut sich an, wo und wie ich mit meiner Schwester wohne, seit unsere Eltern nacheinander ausgezogen sind.
Dann verschwinden die vertraut gewordenen Gesichter wie ein Spuk. Die Reise ist vorüber, und ich packe meinen kleinen blauen Koffer aus.

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Das Italienische Tagebuch
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© Oliver H. Herde
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