Notizen aus der Provinz

Zweiter Tag

Es ist kühl und teils bedeckt. Derweil Conny sicherheitshalber die Dusche säubert und dann in Anspruch nimmt, heize ich ein wenig ein. Dies bringt eine heimeligere Stimmung ins Haus, nur leider fehlt es in der Küche an der zugehörigen Kuschelecke. Hinter dem Haus entdecke ich zudem eine Feuerstelle, die man ja auch mal für einen romantischen Abend nutzen kann, wenn es nur erst wärmer wird.
Zwar hat Conny die riesige Spinne in der Duschkammer beim Waschen nicht mehr wiedergesehen, aber sie möchte sich im Ort doch nach einer anderen Ferienwohnung umsehen. Es ist ihr zu peinlich, erst einmal mit Johannes darüber zu telefonieren; die Aussicht auf eine der Nachbarwohnungen genügt ihr zudem nicht mehr, schon allein wegen der Monsterspinne, denn die sanitären Anlagen müssen offenbar von allen drei Wohnungen aus gemeinsam benutzt werden.
Mit einem Esslöffel Müsli ist kein Frühstück für zwei Personen auszurichten. Wir beschließen, unten im Dorfkern zum Bäcker zu gehen und unterwegs Wohnungen anzusehen. Allerdings entscheidet sich Conny gleich für die erste ohne Vergleich mit den Räumlichkeiten und Preisen der zahlreichen Konkurrenz. Sie will nicht einen gesamten Urlaubstag mit der Suche vergeuden.
In der Bäckerei gibt es auch einen großzügigen Sitzbereich. Über die Preise gewinnen wir jedoch keine abschließende Klarheit. So geht es wohl auch den angestellten Damen selbst, da die Abrechnung in jedem Falle aus irgendeinem Grunde zu niedrig ausfällt. Da Conny diesen günstigen Umstand gar nicht mitbekommt, kann ich sie draußen flüsternd davon in Kenntnis setzen. Ihr tut das sogleich leid, aber die Bäckerei hat meines Erachtens auch so noch genug an uns verdient.
Wir müssen noch einmal hinauf, uns für den geplanten Einkauf im Nachbarort Pabstdorf auszurüsten. Als wir wieder hinuntergehen, beginnt es zu regnen.
Da ich der Karte folge, ist der Weg für mich eindeutig. Dagegen lässt sich Conny von den irritierenden Wegweisern verwirren. Ich vermute, dass sie zumindest teilweise statt der jeweils kürzesten Strecke Wanderwege anzeigen. Dennoch sprechen wir eine der zumal bei diesem Wetter überaus seltenen Passantinnen an, was den von mir erwarteten Erfolg einbringt: Die Dame beteuert zwar, sich durch jahrelang wiederholte Besuche in der Gegend auszukennen, die Karte weiß sie jedoch nicht fehlerfrei zu lesen. Nach einigem Hin und Her, welches sie schon gar nicht mehr mitbekommt, setzen wir den von mir gewählten Weg fort.
Am Dorfrand gabelt sich die Straße nach Bad Schandau und hinauf nach Papstdorf. Hier steht ein Wartehäuschen, in welchem wir uns kurz unterstellen.
Conny fragt, wo denn die Haltestelle nach Papstdorf sei. Ich weise nach rechts, wo wir gestern angekommen sind. Sie läuft nach links zur Haltestelle Richtung Bad Schandau. Ich rufe ihr noch einmal erfolglos "Rechts!" nach, lasse sie dann aber gewähren, um in Ruhe einen weiteren Blick auf die Karte zu werfen.
Als kurz darauf der Bus erscheint, eile ich hinzu, damit Conny nicht womöglich noch einsteigt! An sich sollte mir klar sein, dass sie das nicht ohne mich täte und sie zudem ja durch den Fahrer über die nächste Station aufgeklärt würde.
Obgleich uns beiden keineswegs nicht klar ist, wie überaus lange wir schlimmstenfalls auf den Bus warten müssten, setze ich mich mit unserem ursprünglichen Plan durch: Wir gehen die Straße nach Bad Schandau noch ein Stück weiter, da der ausgewählte Waldweg nach Papstdorf von ihr abzweigt. Den ersten möchte ich noch nicht nehmen, da er laut Karte einen Umweg beschreibt. Nach kurzer Diskussion setzen wir den ursprünglich geplanten Weg fort.
Unter Connys zunehmendem furchtgeborenen Schimpfen müssen wir ein paar Serpentinenkurven der Straße absolvieren. Ich bin ja eher der Meinung, dass die wenigen Autos hier ohnehin nicht besonders schnell fahren können. Auch der Radfahrer, welcher uns mühsam herauf entgegenkommt, wirkt vom Helm abgesehen nicht gar zu beunruhigt. Dennoch nehme ich mir vor, der Verängstigten dieses Stück künftig nicht wieder anzubieten.
Eigentlich fände ich die sich anschließenden Wege durch den Wald sehr beschaulich und durch den Regen stimmungsvoll. Leider ist Conny noch zu aufgebracht, dies zu genießen. Sie bekommt nicht einmal mit, dass ich ihr den Rückweg per Bus verspreche. Mit Einkaufen ist dies gewiss keine allzu dumme Idee. Nur nach und nach kann ich mit Hilfe der Landschaft meinen Liebling beruhigen.
In Papstdorf angelangt, stoßen wir alsbald auf die gesuchte Alte Hauptstraße, die es nun nur noch abzuschreiten gilt. Allerdings steht dort auch ein Bus nach Bad Schandau, den Conny gleich nehmen will. Dies erscheint mir so kurz vor dem Ziel unpassend. Folglich befrage ich den Fahrer nach dem hiesigen Supermarkt. Jener weiß nichts davon, selbst als ich ihm die Adresse nenne. Da er in zehn Minuten losfährt, will Conny die Gelegenheit nutzen, denn in Bad Schandau haben wir bereits vom Bahnhof aus immerhin einen Lidl entdecken können.
Dagegen möchte ich noch nicht aufgeben und lasse die beiden im Unterstand allein. Eilig sause ich die Straße entlang, um wenigstens mal eine Hausnummer zu erspähen. Statt dessen bietet sich mir ein Gasthof, bei welchem ich mich rasch erkundigen will. Im Schankraum hält sich jedoch kein Mensch auf. Zum Glück kommt soeben ein Gast die Treppe herab. Er erinnert sich, früher mal im gesuchten Markt eingekauft zu haben, allerdings klingt dies tatsächlich sehr danach, als gäbe es den vermutlich nicht mehr. Im Zurückeilen wundere ich mich darüber, dass der Gast gleich wieder hinaufgeht. Aber immerhin kannte sich der hier besser aus als der Busfahrer. Vielleicht würde mich dies an Berlin erinnern, wenn ich dort mit Busfahrern verkehrte.
Diesmal sind wir sogar ganze zwei Stationen für unsere beinahe zwei Euronen unterwegs und bekommen Gesellschaft von ein paar Schulkindern. Leider landen wir nicht im Ort, wie man für das Geld erwarten sollte, sondern erneut am Bahnhof.
Obwohl es eine nicht allzu ferne Brücke gibt, will Conny die alberne Fähre benutzen. Jene fährt trotz ihrer Überflüssigkeit viel häufiger als jeglicher hiesiger Bus und ist dadurch auch besser besucht. Ein Erfolgsrezept, das staatliche Verkehrsgesellschaften gern ignorieren. Davon abgesehen bliebe es schade ums Geld, wenn Conny nicht ihre Freude an der Fahrt hätte. Was tut man nicht alles!
Wir landen nahe des alten Marktplatzes an, wo Conny erst einmal nach einer warmen Suppe sucht und eine solche in einer Bäckerei findet. Darauf wäre ich nun nicht unbedingt gekommen.
Ganz in der Nähe haben wir bereits einen Nahkauf entdeckt, auf oder in den wir nun zurückkommen. Mit zwei vollen Einkaufskörben an der Kasse will ich ausnahmsweise mal bargeldlos bezahlen. Allein - die Karte ist just im Dezember abgelaufen. Wozu eigentlich? Jedenfalls benutze ich den Quatsch einfach zu selten und habe beim Packen offenkundig die falsche Karte aus der heimischen Schublade gezogen. Dies ist um so ärgerlicher, da ich dieser Tage eine größere Dividende ausgezahlt bekomme und dadurch reichlich auf dem Konto vorhanden wäre. Anders bei Conny. Natürlich verspreche ich ihr, für jedwede Überziehungszinsen aufzukommen.
Fähre zurück, Bus zurück - das ist ein teures Einkaufen! Fast 12 Euronen haben wir heute für unselbständige Fortbewegung ausgegeben, was uns die Nahrungsmittel faktisch um die Hälfte verteuert. Den Hügel hinauf müssen wir jene trotzdem schleppen.
Danach holen wir das Gepäck aus der anderen Wohnung, wobei mir zum Glück ein kleiner Schleichweg auffällt, der uns schätzungsweise ein Sechstel der Strecke erspart, also gefühlte sieben Stunden.
Endlich kann Conny aus ihren nassen Schuhen heraus. Es ist schon nach 19 Uhr, als sie beginnt, das Mittagessen zu bereiten, derweil ich meine Morgenrasur nachhole. Das gemütliche Ecksofa haben wir heute beide bitter nötig.

Zum dritten Tag


Tagebuchübersicht / Kurzgeschichtenseite / Bibliographie Oliver H. Herde

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