Notizen aus der Provinz
Siebenter Tag
Wieder hat Conny in ihrem Büchlein der hiesigen Wanderwege geblättert und sich das Kirnitzschtal bei Bad Schandau ausgesucht. So kann man im Anschluss noch einmal ein wenig einkaufen. Als Hinweg wollen wir einen Abstieg nach Bad Schandau versuchen, welcher jenseits der Straßen liegt.
Von der gekonnt ignorierten Bushaltestellefort geht es zunächst an Feldern vorüber und dann einen Pfad im Wald hinab. Zu den hiesigen Attraktionen zählt ein wenngleich stehender, so doch kahler und morscher Baumstamm, auf welchem sich zahlreiche Pilze angesiedelt haben.
Unten treffen wir auf die erwartete Straße, doch wo ist der auf der Karte verzeichnete Reitweg? Wir irren an einer befahrenen Kreuzung entlang, da hupt uns so ein einheimischer Barbar an. Ich tobe rechtschaffen über seine Rücksichtslosigkeit, wenn ihn mein Speichel auch nicht mehr zu erreichen vermag. Der aufgekommene Regen würde diesen eh bald abgewaschen haben.
Wir entdecken einen Weg unter der Straße hindurch, der sich als Sackgasse erweist. Bei der Brücke, die offenbar schon vielen als öffentliche Toilette gedient hat, stellen wir uns unter, bis es etwas nachlässt.
Schließlich bleibt uns nichts anderes übrig, als die Straße entlang fortzusetzen. Es sind vermutlich nicht viel mehr denn 100 Meter, bis aus dem Nichts ein Bürgersteig auftaucht, aber Conny muss wieder große Angst ausstehen. So dicht und ungeschützt am Verkehr ist es ja auch wirklich nicht angenehm, zumal die Nässe den Lärm verstärkt. Dadurch kann eine noch so kurze Strecke als sehr lang erscheinen.
Endlich wieder im Plan, überqueren wir mittels Brücke die Elbe. Dabei entdecken wir einen Penny, doch zum Einkaufen ist es jetzt noch allzu verfrüht.
Der Regen hat aufgehört, aber auch in Bad Schandau selbst sind einige Stellen und Strecken als recht fußgängerfeindlich zu bewerten. Da Conny das Kirnitzschtal auserkoren hat, müssen wir das gesamte langgezogene Städtchen entlang. Zum Glück kommt mir bald die Idee, es am Flussufer zu versuchen. Dort ist es tatsächlich ungleich ruhiger und sicherer. Anscheinend hat man diese Wege vor allem für die Reisenden angelegt, da die Einheimischen offenbar so ungern selbsttätige Schritte vollführen.
Zwischendurch erwägt Conny eine Dampferfahrt, ohne dass sie mir ihre Gründe dafür genauer ausführt. Zwar beachtet sie die erschreckenden Preise kaum, aber die Zeiten sind ebenfalls weniger günstig, wodurch ich sie leichter an ihr ursprüngliches Ziel erinnern kann.
Im Osten des Städtchens erreichen wir das Flüsschen Kirnitzsch, welches dem Tal seinen Namen gibt. Von letzterem wiederum leitet sich die Kirnitzschtalbahn her, in welcher ich nichts anderes als eine weitere Touristenfalle erkenne. Dies erfasst auch der Schaffner unschwer und konzentriert sich beim Anpreisen seines kleinen Gefährtes alsbald voll auf meine erlebnishungrige Gefährtin. Sie ist sich der begrenzten Zeit bewusst und will nicht gern hin und zurück die dieselbe Strecke laufen.
Mir wäre das gleich, wenn ich uns dadurch 10 Euronen sparen könnte, zumal ein Weg in der anderen Richtung ja buchstäblich neue Blickwinkel eröffnet. Dass wir dann nicht so weit rauf können, wäre für mich kein Problem. Dafür könnte man die Zeit besser einschätzen, die man für den Rückweg benötigt. Kurz: Wir steigen ein.
Gemächlich zuckelt die Bimmelbahn das Tal entlang, was sie den Geräuschen nach anzustrengen scheint. Beides erinnert an öffentliche Verkehrsmittel, bloß dass das Wetter besser ist, denn draußen kann sich die Sonne ausgerechnet jetzt durchsetzen. Außer uns sind noch drei oder vier andere Paare auf diesen Nepp hereingefallen.
Allerdings beschäftigen wir uns zunehmend mit der Frage, wie weit wir denn nun fahren wollen. Wie gesagt lässt sich schwer abschätzen, wie lange wir von den einzelnen Stationen aus wieder hinunter brauchen werden. Irgendwann an einer der letzteren verlassen uns die Nerven, und wir bitten den bereits anfahrenden Kutscher, uns doch noch schnell hinauszulassen.
Erneut durch ein Schild mit dem Schwierig-Vermerk verunsichert, erkundigen wir uns bei einer nahebei rastenden etwa zwanzigköpfigen Wandergesellschaft, wie man das denn zu verstehen habe. Die älteren Leute verweisen uns auf ihren Anführer, welcher den Weg als unbedenklich einstuft. Offenbar sind diese Hinweise an mit schlechtem Schuhwerk ausgestattete Gehbehinderte gerichtet. Folglich marschieren wir wohlgemut voran.
Schon bald wird der Pfad immer schmaler und nähert sich dem Gewässer. Stellenweise verläuft er über ansteigende oder abfallende Felsen, wo zur Linken Ketten zum Festhalten eingelassen sind, welchletztere ich jedoch wenig nutze.
Als der Weg wieder an Breite gewinnt und vom Bache wegführt, werden wir uns an einer Gabelung nahe einiger Häuser so lang nicht einig, bis uns der Seniorentrupp einholt. Weil Conny nicht gern mit fremden Leuten im Pulk laufen möchte, lassen wir die Herrschaften vorüberziehen. Ein neuerliches Himbeerenfeld hilft uns, den Abstand deutlich zu vergrößern. Kurz darauf queren wir Flüsslein, Bahngleis und Straße.
Unter einem höhlenartigen Überhang liegt ein kleinerer Fels, an dem ich mich ablichten lasse. Die entstandenen Fotos erinnern ein wenig an Gollum oder ein ähnliches Geschöpf, was ja auch beabsichtigt war.
Dann beginnt wieder der Regen. Es schüttet angeregt, als wir den Stadtrand in Sichtweite bekommen, da steht eine Frau am Wegesrand unter einem Baum und traut sich nicht weiter. Soeben bin ich an ihr vorübergestiefelt, da besinne ich mich, drehe mich zu ihr um und frage: "Sollen wir Sie mitnehmen?" Rasch schlüpft sie zu Conny unter den Schirm. Während ich nun hinter den beiden gehe, freue ich mich, wie angeregt sie sich miteinander unterhalten.
Nachdem sie uns wieder verlassen hat, wird es bald freundlicher. Nun bleibt uns noch die Aufgabe des Einkaufens, wofür wir den Ort an seiner Uferstraße entlang westwärts zurückgehen. Für unsere Zwecke liegt der Lidl am günstigsten.
Als wir wieder heraustreten, bleibt uns noch etwa eine Dreiviertelstunde, über die Brücke zur Bushaltestelle am Bahnhof zu gelangen, denn der Bus um 17:05 ist stets der letzte des Tages nach Gohrisch. Da Conny sich sorgt, ob wir das denn schaffen, gebe ich die vorsichtige Schätzung ab, wir müssten in einer Viertelstunde dort sein. Weil ich sie damit nicht überzeugen kann, gebe ich zeitlich noch etwas nach, aber dann stellt sich meine erste Vorhersage doch wieder einmal als die bessere heraus.
Zum achten Tag
Tagebuchübersicht / Kurzgeschichtenseite / Bibliographie Oliver H. Herde