Er glaubte an Horoskope

Er glaubte an Horoskope

von Paul Filipp

»Meine Frau ist klüger als ich«, das hatte er ihr gleich am Anfang ihrer Bekanntschaft gesagt, aus der dann für sie die große Liebe geworden war. Er hatte es leise, fast demütig gesagt. »Sie hat immer alles über mich gewusst und mich ihre Uberlegenheit oft genug fühlen lassen. Zu oft, denn sonst wäre ich jetzt nicht bei dir. Sie weiß auch, dass ich ein Nummernkonto bei einer Bank in Zürich habe.«
»Was ist ein Nummernkonto?« hatte sie gefragt, denn sie hatte den Ausdruck nie vorher gehört.
»Wer die Nummer kennt, kann alles abheben, was auf diesem Konto liegt.« Er hatte es mit einem zärtlichen Lächeln gesagt. »Du wirst später einmal dadurch ohne Sorgen leben können, denn sie kennt die Nummer nicht, soviel Mühe sie sich auch gegeben hat, sie von mir zu erfahren. Du kennst sie, aber du weißt es noch nicht. Ich werde es dir bald sagen müssen, fürchte ich.«
Und dann war er eingeschlafen. Und sie auch.
Als sie am nächsten Morgen nach seiner Hand griff, noch halb im Schlaf, war sie eiskalt. Sie setzte sich entsetzt auf. Sie wußte sofort, dass er tot war. Und sie wußte auch, was sie tun musste. Er hatte es öfters mit ihr, gegen ihren Willen, durchgesprochen. Es durfte keinen Skandal geben, schon wegen seiner Kinder, die er sehr geliebt hatte.
Sie würde sich anziehen und das kleine Appartement, das er nur für ihr Beisammensein gemietet hatte, so unbemerkt wie möglich verlassen. Sie durfte nicht verweint aussehen. Daran musste sie besonders denken. Sie war innerlich wie erstarrt. Der Schmerz und die Verzweiflung würden erst später kommen. Das war bei ihr schon als Kind so gewesen. Sie mußte nur schnell aus dem Haus kommen. Die Schockwirkung hielt nicht lange an. Das kannte sie.
Nachdem sie sich angezogen und ihr Haar wenigstens etwas gerichtet hatte, setzte sie sich noch für einen Augenblick auf die Bettkante, ohne seine kalte Hand noch einmal zu berühren. Sein Gesicht war ganz weiß geworden, und er sah jünger aus, als damals vor zwei Jahren. Sie schloß die Augen, um das Bild des Lebenden noch einmal genau in der Erinnerung zu sehen. Da fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Entsetzt wandte sie sich um. Neben ihr stand eine nicht mehr junge, aber immer noch gut und sehr sicher aussehende Dame.
»Sie haben von mir nichts zu befürchten«, sagte sie ruhig. Ich weiß, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist, wie es der Arzt später feststellen wird. Ich habe mir als seine Frau einen zweiten Schlüssel geben lassen, als ich erfuhr, dass er diese kleine Wohnung gemietet hatte. Leider hat er sie Ihnen nicht rechtzeitig überschrieben. Aber Sie hätten jetzt natürlich Unannehmlichkeiten gehabt. So ist es besser. Die heimlichen Geliebten verheirateter Männer gehen in solchen Fällen immer leer aus. Ich kann Ihnen da wirklich nicht helfen. Was für einen schönen Anhänger Sie haben! Von ihm? Sicher reines Gold. Der gehört natürlich Ihnen. Sie brauchen keine Angst zu haben. Darf ich ihn einmal genau ansehen? Eine einfache runde Scheibe mit einer Gravur. Apart!«
Sie nahm ihn in die Hand und hob ihn so hoch, wie die halblange Kette es erlaubte.
»Ihre Geburtsdaten, nicht wahr? Er glaubte an Horoskope. Leicht zu merken. Mein Gott, wie jung Sie noch sind. Einfach zu jung! Sogar die genaue Uhrzeit! Aber ich glaube, es ist besser, wenn Sie jetzt gehen. Als seine Frau muß ich nun den Arzt verständigen, der ihn seit vielen Jahren behandelt hat. Sein Herz! Sie wissen ja. Leben sie wohl! Sie verstehen sicher, dass ich Sie nicht länger hier haben möchte. Wie war doch Ihre Geburtsstunde. Ach ja, zwölf Uhr siebzehn!«
Das Begräbnis war erstklassig. Alle lobten die Sicherheit und den Takt seiner Frau. Kein Wunder, dass sie so lange eine glückliche Ehe geführt hatten!
Sie trug den herben Verlust mit bewundernswerter Beherrschung. Nach einer Woche verreiste sie zur Regelung wichtiger Geschäfte nach Zürich. Sie sah in ihrem schwarzen Kostüm mit den blonden Haaren sehr gut aus. Im Vorbeigehen kaufte sie in einem Blumenladen einen kleinen Veilchenstrauß, den sie dem soignierten Herrn in der Bank mit einem reizenden Lächeln hinhielt. Dann schrieb sie eine Zahlenreihe aus dem Gedachtnis auf die schmale weiße Karte, die er ihr auf ihre Bitte hin gereicht hatte, und deren letzte Nummern 1217 waren. Sie war wirklich immer klüger gewesen als ihr Mann.


Geschichtenseite

© OHHElf und Adler Verlag