Der Waffenlieferant (2)

von David Zgoll und Oliver H. Herde

Nun stand Atreo vom Wolfsberg also endlich vor diesem Elron, welchen ihm Ritter Bohemund zur Konsultation anempfohlen hatte. Wollte Atreo bei seinem Vorhaben bleiben, würden auf sein armes Gedächtnis bald noch zahlreiche Namen und Titel zukommen, die es sich zu merken galt. Genug Anlass, sich den Kopf zu zerbrechen, bei welchem nicht allein die hohe Stirne von einem Alter jenseits der Fünfzig zeugte.
Es hatte ein paar unnötige Umwege gegeben, bei denen weniger Flusspiraten oder Nordmärische Soldaten eine Rolle spielten als vielmehr die Unklarheit, wo sich Elron überhaupt aufhielt. Hatte sich Atreo nicht eigentlich nicht mehr in Kriege einmischen wollen?
Wie auch immer! Atreos linker Arm, an welchem die Hand fehlte, zuckte unwillürlich ein klein wenig vor, als er sich darauf besann, dass er jetzt vielleicht sein Anliegen vorbringen sollte.
"Hrm, ich..." Ein schwacher Anfang! Undiplomatisch, ungelenk, und überhaupt!
"Gestattet zunächst, dass ich mich vorstelle!" Natürlich zweifelte er nicht, dass man ihn bereits vollständig angekündigt hatte. "Ich bin Atreo von Wolfsberg, gebürtiger Albernier und Veteran der Ogerschlacht ebenso wie der Schlacht an der Trollpforte." Ganz bewusst wollte Atreo es Elron überlassen, ob man sich schon einmal gesehen hatte. Schließlich achtete er selbst doch immer viel mehr auf das andere Geschlecht, dass er männliche Gesichter und Namen dummerweise oft allzu leicht vergaß.
"Als solcher sann ich darauf, unser Land zu unterstützen, nachdem ich die Ehre hatte, mit der Königin den Treueschwur an den Nordmärker verweigern zu dürfen. Heute Mittag nun bin ich mit einer Wagenladung Waffen eingetroffen..."
Er legte eine Kunstpause ein, welche Gelegenheit zur Reation geben sollte. Auch musste er sich geistig erst einmal sammeln.
Der angesprochene Primus der Ritter der Krone war ein hochaufgeschossener Mann, die Schulter breit wie bei einem Bären. Ordentlich gestutztes braun-grau meliertes Haupt- und Barthaar rundeten das Bild eines erfahrenen Ritters ab. Weit gerühmt sein Name in Albernia und als Sieger von etlichen Tunieren weit über die Grenzen hinaus.
Aufmerksame Augen verfolgten den Neuankömmling, scheinen ihn zu taktieren.
Würdevoll erhob sich Elron aus seinem Sessel, türmte sich zu seiner vollen Größe auf; das Rasseln von Kette war zu vernehmen und das Knistern des edlen Wappenrocks, drei weiße Kronen auf blauem Grund.
"Pax vobiscum, mögen die Götter mit Euch sein, Atreo von Wolfsberg!"
Als man ihm meldete, dass ihn jemand sprechen wolle wegen einer Ladung Waffen, war der Ritter anfangs skeptisch, warum man an ihn herantrat, doch wappnete sich das Heer der Königin, und Material war in dieser Zeit Mangelware. So hatte er der Audienz seine Zusage gegeben.
"In wessen Namen bringt Ihr unserer Majestät Waffen?"
"Mögen die Götter mit Euch sein!" entgegnete Atreo eilig, wobei die Betonung auf dem vorletzten Worte lag. Mit dem Fingerkamm strich er die langen schwarzgewellten und mit grauen Strähnen durchwobenen Haare zurück, obgleich dies nicht unbedingt nötig schien.
"Nun" - er lächelte schelmisch - "ich bringe sie Euch im eigenen Auftrage. Doch auf Anraten des Euch wohlbekannten Bohemund vom Berg-Sturmfels wende ich mich an Euch, da ich wohl kaum an Ihre Majestät persönlich herantreten könnte." Er hob ein wenig den Zeigefinger, um anzudeuten, dass nun der eigentliche Witz der Angelegenheit verkündet würde: "Um aber auf den Wortlaut Eurer Frage zu sprechen zu kommen, könnte man, so man möchte, auch meinen, ich käme im Namen Isoras von Elenvina, da ich - ohne ihr Wissen und Einverständnis - in ihrem Namen diese Waffen 'bezahlte'. Auch dies wieder auf den Vorschlag des vorzüglichen Bohemund hin." Sein Grinsen war mittlerweile sehr breit geworden. Das des anderen leider nicht. Es war nur allzu deutlich, wie wenig diesem Manne gerade der Sinn nach Wortspielen und Andeutungen stand. Eine dumme Angewohnheit, welche Atreo bei Hofe wohl nicht weiterhefen würde. Oder wenn dort, so doch nicht hier, so nahe am Schlachtfeld.
"Verzeiht, Ihr habt natürlich recht. Es verhält sich so, dass wir die Waffen in den Nordmarken mit gefälschten Papieren bezahlten, um sie überhaupt zu bekommen. Den anschließenden Transport habe ich dann persönlich ermöglicht." Unschlüssig musterte er Elrons Mimik. Wie üblich hatte er sich das alles zu leicht vorgestellt.
"Ubi leonis pellis deficit, vulpina est insuenda" - 'Wo es am Löwenfell mangelt, muss man sich den Fuchspelz überziehen', sprach Elron fließend. "Phex scheint Euch wohl gesonnen zu sein, und nun wollt Ihr diese Albernia zur Verfügung stellen, oder wie sollen wir Euch verstehen?"
Der Einhändige blickte etwas irritiert. Zum einen wegen der bosparanischen Worte, derer er nicht mächtig war. Doch auch wegen der nachfolgenden Bemerkung. Wohlgesonnen...? Vielleicht. Atreo begriff die Götter schon lange nicht mehr und hatte es aufgegeben, darüber nachzusinnen.
Auf seiner kurzen geistigen Abwesenheit aufschreckend, hob er die Brauen. "Oh, ja, gewiss! Sie sollen meinem einstigen Heimatland helfen. Und vielleicht helfen sie mir, in dieses Land zurückzukehren."
Einen Moment lang zögerte er. Sein Anliegen konnte eventuell als unverschämt angesehen werden. Aber Versuch machte klug. "Ich... will Euch nicht verhehlen, dass ich auch ein wenig die Hoffnung hege..." Hilflos suchte er nach den rechten Worten.
Der Primus schaute abwartend nahm einen Schluck aus einem Weinkelch. "Albernia ist das Königreich der Freien, wer sollte Euch daran hindern, in Eure Heimat zurückzukehren?" Der Blick des Primus lag durchdringend auf Atreo. "WELCHE Hoffnung hegt Ihr?"
Nun ging es also zur Sache. Im Grunde war dies Atreo recht lieb - wenn nur dieser unangenehme Blick nicht gewesen wäre.
"Ähm, Ihr habt recht, ich sollte mich etwas genauer erklären. Natürlich möchte ich nicht einfach irgendwo ein Häuschen beziehen und auf mein Lebensende harren. Ich war mein Leben lang ein rastloser Mann. Doch nun im Alter nimmt dies zweifellos ab, und dennoch mag es sein, dass die Reste meines Elans noch von Nutzen für die Krone sein könnten."
Tatsächlich bietet Atreo trotz seines Alters keine auf Anhieb sichtbaren Anzeichen für Gebrechlichkeit. Früher mag er kräftiger und stattlicher gewesen sein, doch er steht noch immer aufrecht. Nur sein Blick wirkt etwas suchend, als sei seine Sicht nicht mehr die beste.
"Fällt Euch dazu vielleicht etwas ein...?"
Elron tippelte ungeduldig mit den Finger auf dem Rand seines Weinkelchs. Konnte der Mann nicht endlich zur Sache kommen? Von draußen schallten harsche Kommandos, der Drill war in den letzten Tagen scharf geworden und er, der Primus, hatte besseres zu tun, als sich die ganze Zeit den alten Mann anzuhören, der scheinbar gutes Geschäft witterte.
"Nun gut, guter Mann! Sofern Eure rastlosen Kräfte es noch zulassen und Ihr eine Waffe in den Händen führen könnt, lade ich Euch herzlich ein, diese auf das Schlachtfeld zu führen, wo sich in wenigen Tagen das Schicksal Albernias erfüllen wird. In diesen Zeiten ist jeder Streiter willkommen. DAS fällt mir dazu ein!" Elrons Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und er beobachtete, wie sich seine harschen Worte auf seinen Gegnüber auswirken würden. Innerlich jedoch musste er schmunzeln, sicherlich hatte sein Gegenüber eine andere Antwort erwartet.
In der Tat, das hatte das Gegenüber. Doch Atreo schalt sich einen Narren, auch nur für einen Augenblick geglaubt zu haben, die Angelegenheit könne einmal unkompliziert abgeschlossen werden. Was mag ein leichtes Ziel schon wert sein! Und wenn man es erreicht hat, wie schnell wird man seiner überdrüssig? Letzteres würde ohnehin allein die Zeit erweisen können, dennoch vermochte sich der Einhändige nicht vollends von einem angedeuteten Augenrollen und einem wie ein kleiner Seufzer anmutenden Durchatmen abzuhalten.
Dann aber erwiderte er, noch während des ersten Wortes eine gewisse Festigkeit und Zuversicht im Tone erringend: "Selbstverständlich! Zeigt mir, wo Ihr mich am meisten brauchen könnt! Alles Weitere hat zweifellos Zeit bis hinterher." Er stand nun wieder stolz aufgerichtet, lächelte ungezwungen und klang, als hätte er ebensogut 'bis zum Siege' sagen können.
Elron nahm einen tiefen Schluck aus dem Kelch Wein, damit sein gegenüber das Lächeln, welches sich nun breit über die edlen Züge legte, nicht sehen konnte. Dann schaute er Atreo offen an. "Ich werde Ihrer Majestät höchstpersönlich von Eurem Anliegen und Eurer großherzigen Geste an Eure Heimat berichten und auch dass Ihr gewillt seid, das Schicksal Albernias zum Guten zu wenden... auf dem Feld der Ehre. Ritter Bohemund wird gewiss gerne den Leumund für Euch übernehmen. Nur eine Formalie, es sind schwere Zeiten und Isora die Schlange ist nicht fern. Das werdet Ihr gewiss verstehen, schließlich stehe ich mit meinem Namen für die Sicherheit unserer Königin."
Nun lächelte der Primus offen, ein wenig zu offen für Atreos Geschmack und schritt auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. "Dann heiße ich Euch bei allen Zwölfen in den Reihen Albernias willkommen. Als alter Veteran werdet Ihr mir gewiss Eure Stärken nennen können, auf das Ihr zu Eurem präferierten Einsatz kommt."
Schon das erste Lächeln blieb Atreo nicht ganz verborgen. Niemand lächelt nun einmal nur mit dem Munde. Doch tatsächlich war es versteckt genug, um sich Atreo darüber nicht ganz sicher sein zu lassen. Immerhin warf es die Frage nach einer Motivation auf. Ob er endlich den rechten Ton angeschlagen hatte? Verflixte Diplomatie!
"Natürlich", bekundete Atreo eilfertig sein Verständnis für jegliche Vorsicht. Tatsächlich wusste er im Augenblick nichts Konkretes zum Beweis seiner Ehrlichkeit vorzubringen. "Mehr konnte ich so geschwind schwerlich erwarten; ich danke Euch."
Das zweite Lächeln - so es denn ein zweites war - wirkte allerdings etwas unvollständig. Andererseits wurde der Einhändige sogleich mit einer ablenkenden Geste und einer Frage hinfortgeführt. Handschüttelnd erwiderte er: "Am besten eigne ich mich wohl für verstecktere Einsätze oder einen Hinterhalt, allein oder in kleinem Grüppchen. Doch weiß ich mich auch mitten in der offenen Schlacht zu behaupten. Ich führe einen Brabakbengel mit mir..."
Elrons Züge hatten sich geglättet, er wirkte erleichtert das Gespräch hinter sich gebracht zu haben, endlich könnte er sich wieder um die wichtigen Dinge vor der Schlacht kümmern. "Vortrefflich, vortrefflich, dafür werden wir gewiss Verwendung haben. Doch erst sollten wir sehen, dass die Waffen die Ihr mit Euch führt, gesichtet werden. Ich werde sogleich ein paar Mannen damit betrauen. Lasst Euch in der Küche etwas Speis und Trank geben; gewiss werdet Ihr nach Eurer Reise Hunger haben. Ich werde in der Zeit Ritter Bohemund aufsuchen. Er wird sich mit Euch in Verbindung setzen."
"Ach, er ist bereits hier? Nun gut, besten Dank auch für das kommende Mahl." Atreo verneigte sich ein wenig und wandte sich hinaus. Die Küche würde er schon finden.


Atreos Haus

Redaktion und Lektorat: OHH