Erschöpft ließ sich Atreo im Irrgarten des Stadtparkes fallen. Hier war er sicher. Kaum jemand kannte sich hier so gut aus, wie die Straßenkinder, auch wenn man bemüht war, Gesindel von diesem Orte des Vergnügens und der Erholung fernzuhalten.
Der Junge musste nicht lange warten, bis ein vertrautes Gesicht um die Biegung in den Hecken feixte. Offenbar versteckte Fina etwas hinter dem Rücken.
Doch Atreos Ärger siegte über seine Neugier: »Noch mal mache ich nicht das Ablenkungsmanöver für Rukus!«
»Ist doch alles glattgegangen! Schau mal!« Damit zeigte sie ihm die beiden erbeuteten Krapfen. »Ein Bonus für uns beide.«
»Trotzdem ein blöder Plan!« nörgelte Atreo und verscheuchte eine ihn umkreisende Fliege.
Fina setzte sich neben ihren Freund und gab ihm seinen Anteil.
Wortlos essend saßen sie eine ganze Weile beisammen. Es bedurfte keiner weiteren Erklärungen Atreos, um Fina ihm geben zu lassen, was er brauchte: Verständnis und ihre Anwesenheit.
Endlich erschien auch Rukus. Mit einer Spendabilität heuchelnden Mine zahlte er jedem der beiden einen Heller und ein paar Kreuzer aus des Bäckers Tasche.
»Ist das alles?« fragte Atreo fassungslos.
»Ja, leider.« Er fegte eine lästige Fliege beiseite. »Nach Abzug meines und Remigorets Anteil...« Jener letztgenannte war ihrer aller Ziehvater und Hehler.
Atreo sprang auf und griff nach der Gürteltasche. »Zeig doch mal her!«
Rukus aber wandte sich zu schnell ab.
Da stand auch Fina auf und verschränkte wütend die Arme. »Zeig uns alles, dann teilen wir!«
»Da ist auch mein eigenes Geld mit drin«, behauptete der Ältere.
»Lügner!« Nochmals versuchte Atreo, an die Tasche zu kommen, doch Rukus war geschickter.
Allerdings kam so Fina zum Zuge. Schon mit dem ersten Griff förderte sie mehrere Heller und Kreuzer und gar einen Taler zutage.
»Verdammter Schuft!« brüllte Atreo. »Irgendwann betrügst du jemanden, der dich dafür niedersticht!«
»Willst du mir drohen?« Spottend schubste er den kleineren Widersacher von sich.
Jener aber war sofort wieder bei ihm. »Meinen Anteil will ich!«
Ein wildes Gerangel unter den Kindern brach aus. In dessen Verlaufe wurde Fina durch eine der Heckenwände geschleudert. Ihr Schmerzgeschrei nahmen die Kampfhähne kaum wahr, wohl aber ihr nachfolgendes entsetztes Kreischen. Wie eingefroren verharrten die beiden Jungen in ihren Bewegungen, bis Fina durch die entstandene Lücke im Gebüsch zurückstürzte. »Ein Toter! Er sieht ganz eklig aus!«
»Dann lasst uns hier verschwinden«, entschied Rukus eilig.
Doch Atreo hatte eine seltsame Neugier gepackt. Er wollte sich das ansehen. Mit einer vorsichtig langsamen, aber bestimmten Bewegung tauchte er in das beschädigte Gesträuch ein.
»Nicht!« flehte Fina.
»Ich werde doch keine Angst vor einer Leiche haben!«
»Also, ich warte jedenfalls nicht auf die Garde«, zischte Rukus und beeilte sich, fortzukommen.
Fina wollte ihren Freund nicht im Stich lassen, ihm zu folgen aber vermochte sie ebenso wenig. So wartete sie angespannt auf seine Rückkehr, beinahe das Atmen vergessend.
Jener indes erstarrte über einem greulich zugerichteten Körper, über den sich bereits zahlreiche Insekten hermachten. Es fehlte ihm an der nötigen Erfahrung, zu beurteilen, was dem Manne den Oberkörper aufgerissen hatte, dass die Eingeweide herausquollen. In der Tat, er verspürte keine Furcht vor diesem bemitleidenswerten Menschen, wenngleich ihm der Anblick natürlich eine gewisse Übelkeit bescherte.
Kaum aber, dass er sich über ersteres recht bewusst wurde, hörte er etwas knacksen. Wenn der Mörder noch in der Nähe war, so gab es allerdings etwas, wovor es sich fortzulaufen lohnte!
Ein schwerer Schritt.
Noch einer.
Sofort hechtete Atreo durch das Loch zurück, blieb mit den Beinen an irgendeinem Zweig hängen und prallte hart neben der zusammengekauerten Fina auf. Erschrocken zuckte sie, blickte auf, Panik in den feuchten Augen.
Atreo schnellte auf die Beine, schnappte die Freundin an der Hand und riss sie mit sich fort.