Feledrion auf dem Drachensteinturnier

Die Ankunft und viele neue Bekanntschaften

von Oliver H. Herde

Unbarmherzig strahlte die Sonne auf die kleine Grafenstadt Ebelried am Fuße der Drachensteine herab. Man hatte zu einer Turnei ausgerufen, und so pilgerte viel buntes Volk heran.
Auch den Elfen Feledrion hatte es hierher verschlagen. Für seine Familie sollte er ergründen, ob die Menschen in Tobrien mit der Bedrohung durch die Heere des Dämonenmeisters fertig würden. Während er mit so zahlreichen festlich gesinnten Leuten in den friedlichen Ort einzog, spürte er allerdings wenig davon, dass die dunklen Scharen jenseits des Flusses lauern sollten. Über allem lag die freudige Erwartung des Turniers, welches morgen beginnen würde.
Den auswärtigen Gästen, Gauklern und Turnierteilnehmern wurden Hütten bereitgestellt, welche direkt am Zusammenfluss von Tizam und Tobimora lagen. Feledrion durchquerte dieses Dorf auf der Suche nach der Taverne, in dem die Gäste willkommen geheißen werden sollten, als ihm eine mit violettem Samttuche verschleierte Frau begegnete. Ihre freien dunklen Augen faszinierten ihn sogleich. Mit einem »Rastullah zum Gruße!« schritt sie eilig vorüber, und er wusste nur mit einem »Äh, ja« zu antworten. Wie sie wohl unter ihrem Schleier aussah?

Derweil sich Feledrion in der Taverne verköstigen ließ, erspähte er die Frau in der Menge erneut. Für jeden Bissen nahm sie das Tuch kurz beiseite, um es anschließend wieder zu verschließen. Doch zu viele saßen zwischen ihnen, als dass er auch nur einmal ihr Gesicht hätte erkennen können.
Noch eine andere Frau aus dem Süden fiel ihm auf, mit rötlichem Haar und grün strahlenden Augen. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Aber so, wie sie von Männern umschwärmt wurde, wollte sich der Elf ihr lieber nicht nähern.
Fanfarenstöße lenkten die Aufmerksamkeit aller auf einen, der wohl einen hohen Rang unter den Menschen bekleidete. Er sprach zunächst davon, wie man sich auf dem Drachensteinturnier zu verhalten habe, kündigte dann die Ankunft eines Herzogs für den Abend an, der es verfolgen wolle. Man solle ihm gebührenden Empfang bereiten.
Ferner sei das Turnier in zwei Teile gespalten, eines für den Adel, eines fürs Volk. Diese Menschen!
Auch gäbe es einen Magierwettstreit. Nein, auch derlei hatte Feledrion wahrhaft nicht nötig!
Immerhin freute es ihn, zu hören, dass auch mit Bardensang und Gaukelspiel zu rechnen sei. Beinahe juckte es ihn, sich daran zu beteiligen, doch würde man die Lieder eines Elfen zu schätzen wissen, die man nicht verstand? Besser, er vermied es gänzlich, sich vor den Menschen zu produzieren. Er hatte schließlich eine Aufgabe zu erfüllen.

Wind kam auf, als Feledrion das Turnierlager näher erkundete. Es lag auf hügeligem Gelände, war nur mit Gras und spärlich mit kleinen Bäumen und Büschen bewachsen. Der Elf sehnte sich ein wenig nach dem Walde flussaufwärts.
Feines Glöckchenschellen ließ ihn auf zwei herannahende Gestalten aufmerksam werden. Bei der einen handelte es sich um Jaldek aus Methumis, einen Hüttengefährten Feledrions. Das fröhliche Klingen aber rührte von den winzigen Glöckchen am Gewande seiner Begleiterin her, der Frau, die dem Elfen in der Taverne so seltsam aufgefallen war.
Noch immer kam sie ihm bekannt vor. Überlegend ging er den beiden entgegen. Hatte er nicht vor Jahren einmal von ihr geträumt? Die Schellen versuchten, ihm das Traumbild ins Gedächtnis zurückzurufen, doch es gelang nicht.
Nur noch wenige Schritte entfernt, blickte die junge Frau auf und bemerkte den nahenden Elfen. Sein Ausdruck verwunderte sie, und sie blickte voller Aufmerksamkeit zurück.
Feledrion aber rätselte noch immer, trat in einer fließenden Bewegung zwischen den beiden hindurch, um die Tulamidin auch von der Seite her zu betrachten, da schmunzelte sie über seine scheinbare Verrücktheit. Welch ein bezauberndes Lächeln! Ja, dies Antlitz hatte er schon gesehen, zwei Jahre zuvor. Und auch das Lächeln kannte er, wenngleich ohne diese faszinierende Ausstrahlung. Endlich erkannte er, woher.
Er umrundete sie, die schon weitergehen wollte, nun aber doch stehen blieb und seine aufdringlichen Blicke fragend erwiderte. Statt einer Antwort aber erkundigte er sich: »Bist du Yshija?«
Sie nickte.
»Ich bin Feledrion Schwanenflug.« Damit verriet er ihr bereits intuitiv und ganz gegen die Gewohnheit seiner Sippe sein Seelentier, denn er spürte tiefes Vertrauen zu ihr wie zu einer langjährigen Gefährtin.
Ohne weitere Erklärung holte er unter der Verwunderung Yshijas und Jaldeks ein vielfach gefaltetes Blatt Papier aus seinem Beutel. Langsam breitete er es nach und nach auseinander, dann zeigte er es Yshija.
Eine Zeichnung war darauf, die sie nur zu gut kannte. Wohl über zwei Jahre lag es nun schon zurück, dass Atreo dieses Bild von ihr im Wirtshaus Zum Grünen Eber angefertigt hatte. Feledrions Blatt trug einen jener Abdrucke, von denen Atreo ihr damals den ersten hatte zukommen lassen. Unter ihrem ungelenken Abbild stand in kapitalen Lettern der alt vertraute Text: 'Ajishy verzweifelt gesucht von Yshija - Bitte melde dich bei Atreo Edler von Wolfsberg, CAC Bethana oder Burg Winhall!'
»Ich bin ein Freund von Atreo", erklärte Feledrion.
»Wie geht es ihm?«
Der Elf zögerte. Sollte er ihr berichten, wie schlecht sich sein Freund in seinen Augen entwickelt hatte? Durfte er ihr davon erzählen, dass Atreo sich an jenem Abend am Brunnen vor dem Eber hoffnungslos in sie verliebt hatte und diese Liebe nun in eitlen Geschäften und halsbrecherischen Wettbewerben ebenso wie im Alkohol zu ertränken suchte?
Unschlüssig erwiderte er: »Er sammelt Schiffe...«
Fast schien es, als könne Yshija etwas mit dieser Antwort anfangen, aber dann wandelte sich ihre Miene. Ahnte sie, dass Feledrion etwas vor ihr verbarg?
Jedenfalls meinte sie unvermittelt, sie habe Kunde von Gwydon, der im Schwertzuge zwei Finger verloren habe. Nur einmal hatte der einhändige Atreo diesen Namen erwähnt - in tiefer Wehmut, denn jener war es gewesen, für den sich Yshija damals statt seiner entschieden hatte. Liebe oder zumindest tiefe Sorge klang noch jetzt aus ihrer Stimme, als sie von Gwydon berichtete. Nun wusste der Elf, er durfte Yshija nicht mit Atreos Problemen belasten. Es würde seinem Freunde nicht helfen, und das hätte er auch nicht gewollt.
So versprach er, Atreo von Gwydon zu berichten, dann trennte er sich in stillem Einverständnis von Yshija und ihrem Begleiter.

Mehr und Mehr blies der Wind Wolken von der fernen See heran. Wieder allein schritt Feledrion durchs Dorf.
Da sprach ihn ein bärtiger Mann mit einer Schnee-Eule an. Beide strahlten ein gewisses Mandra aus. Der Mann stellte sich als Voronjev vor, und auch sein rollender Akzent wies ihn sogleich als Norbarden aus. Nicht, dass man etwas Bedeutungsvolles besprochen hätte, doch gegenseitige Sympathie und gemeinsame Ansichten ließen sie eine Weile über das Leben plaudern. Allerdings klang auch Bitterkeit aus den Worten des Menschen, Enttäuschung über die eigene Art. Und irgendwie hing dies wohl nicht zuletzt mit dem Tode seiner einstigen menschelfischen Frau zusammen. Ferner erwähnte er, viel Kontakt zu den Völkern der Elfen zu pflegen, und auch seine Schülerin sei zur Hälfte eine solche.
Wie auf Bestellung trat diese hinzu. Die erwarteten Gäste seien nun in der Hütte. Voronjev lud Feledrion ein, mitzukommen, und eilte voran. So bekamen Feledrion und Fayonah Gelegenheit, sich kennenzulernen. Offenbar gefiel es der Kleinen nicht, dass Voroniev dem Elfen über ihre Herkunft vorgeplappert hatte.
»Das hätte ich wohl nicht sagen sollen«, entschuldigte sich Feledrion. Wie hätte er ahnen können, dass sie sich für ihre menschliche Seite so schämte!
Doch sie wehrte ab: »Nein, ER hätte es nicht sagen sollen! Ich werde ein ernstes Wort mit ihm reden.«
In der Hütte lernte Feledrion einen Mann und einen Raben kennen, sowie eine Heilerin, die offenbar Kräuter und Tränke bei Voroniev zu erwerben suchten. Der Mann allerdings war einem Rauschkraute verfallen. Erfolglos bemühte sich die Heilerin darum, ihm dies mit dem Hinweis auf seine Gesundheit auszureden. Er wusste um seine Sucht und stand wie selbstverständlich dazu, anstatt sie zu bekämpfen. Erst als Feledrion ehrlich bestätigte, dass es ihn störe, zerdrückte der Mensch sogleich rücksichtsvoll die Glut.

Mit Laiona, der Heilerin, fand sich Feledrion auf dem Turnierplatze ein, wo ja angeblich dieser Herzog eintreffen sollte. Das Feld schien verlassen, doch als der Elf die eher symbolische Abgrenzung zu übersteigen beabsichtigte, erschien wie aus dem Nichts ein Schwergerüsteter, dies zu verhindern. Es sei trotz der Leichtigkeit verboten.
Er stellte sich als Marschall von irgendwas und als hoher Geweihträger eines gewissen Rondra vor, obwohl er gar kein solches dabeihatte. Unwillkürlich musste Feledrion an seinen Bruder Milmirion denken.
Indes sprach Laiona den Menschen auf dessen Schwert mit den gewellten Schneiden an, welches jener makabrerweise als Kamm bezeichnete. Obwohl Feledrion gar nicht so sehr an der Waffe, als vielmehr an der Kleidung des vermeintlichen Kriegers Interesse zeigte, so war es wohl in jedem Falle zuviel davon. Der Mann fühlte sich bedrängt, schien gar beleidigt.
»Ihr müsst ihm verzeihen«, erklärte die Heilerin, »er ist ein Elf.«
»Tatsächlich?«
»In der Tat, das bin ich.« Feledrion strich zur Bestätigung seine langen Haare zurück.
»Ach so! Ja, dann lasst Euch sagen, dass man von einem Geweihten gebührenden Abstand hält!« Er klang immerhin recht freundlich und nachsichtig dabei.
Feledrion lächelte, obgleich er nicht ganz verstand, dann trat er einen Schritt zurück.
Ein anderer Mann gesellte sich hinzu, ein Maraskaner, wie sich herausstellte. Unverkennbar war er ein Krieger, gewappnet mit einer typisch maraskanischen Hartholzrüstung, wie der Geweihte ohne Geweih begeistert interessiert feststellte.
Doch unter der buchstäblich harten Schale verspürte der Elf einen gefühlvollen Kern. Vom weiteren Gespräch bekam er nichts mehr mit.
Erst, als man den Turnierplatz verließ, da der Herzog und das Volk wohl noch auf sich warten lassen würden, begann eine Unterhaltung zwischen Elf und Maraskaner. Der Mensch hatte wohl nie zuvor einen von Feledrions Art gesehen, und so nahm er alles, was jener ihm erzählte, begeistert auf.
»Ich komme aus den Salamandersteinen«, erklärte Feledrion schließlich, »doch in unser Sprache nennen wir sie Sala Mandra.«
Unvermittelt blieb der Mann stehen, als müsse er sich besinnen. Ergriffen wischte er sich eine einzelne Träne beiseite.
»Wie ist dir?« erkundigte sich Feledrion mitfühlend.
»Als Ihr eben jenen Namen spracht, der so zauberhaft und wundervoll klingt, vermeinte ich für einen Moment meine verstorbene Liebste zu sehen.«
»Verzeih, ich wollte dich nicht traurig machen.«
»Nein, es ist schon gut.«
So schritten sie noch ein wenig schweigend die Wege entlang, Feledrion neben diesen durchs Grase.

Vor einer der Hütten hatte sich ein größerer Haufe versammelt. Man war erregt, da man irgendwelche Spuren am Flussufer gefunden hatte. Als man den Elfen erblickte, bat man ihn, sich das doch einmal anzusehen. Bereitwillig folgte Feledrion den Menschen hinunter an den Tizam, Laiona und der Maraskaner blieben zurück.
Bereits das erste, was man dem Elfen zeigte, erwies sich nicht im eigentlichen Sinne als Spur. Es war ein an einem Ast befestigter kleiner Zettel mit einem Zeichen darauf, welches sich als Richtungsweiser deuten ließ.
In der Tat war ebendort ein zweiter entdeckt worden. Auch jener hing an einem kleinen Zweige, allerdings im Schilf. Er trug einen Kreis mit einem Dreieck in der Mitte.
Erst das Dritte war tatsächlich eine Fährte, allerdings wohl schon einige Monate alt, wie Feledrion feststellte.
Man beriet sich, was es mit den Symbolen auf sich haben könne. »Vielleicht Gaunerzinken«, meinte einer, und ein anderer ergänzte: »Ich habe mal was von Füchsisch gehört, einer Diebessprache.« So beschloss man, Leute zu suchen, die diese Schrift beherrschten, und strömte auseinander.
Feledrion ging nicht weit, zu sehr grübelte er darüber, wie er die rechten Menschen überhaupt finden sollte. Soviel wusste er immerhin über die Rundohren, sie gaben sich nicht gern als Diebe zu erkennen.
Da sprachen ihn drei Männer an, einer von ihnen bunt gewandet als wie ein Narr. Sie hätten von seltsamen Zeichen gehört und wollten sie gerne sehen. Ob er sie nicht führen könne.
Der Elf erklärte, dies habe wenig Sinn; man müsse zuerst jemanden finden, der Füchsisch verstünde. Die Männer wollten die Stelle dennoch wissen. Feledrion blieb bei seinem Urteil der Nutzlosigkeit. Er war zu sehr von Neugier ergriffen, als dass er seine Zeit damit vergeuden wollte, irgendwelche Fremden hier- oder dorthin zu leiten, zumal wenn sie ja doch nichts vom Anblick hätten.
Erst nach langem Hin und Her, als die Sonne bereits versank, erkannten die drei den Fehler in ihrer Strategie und bekannten, allesamt Füchsisch lesen zu können.
»Sagt das doch gleich!« rief Feledrion augenrollend und führte sie stracks zu den Zetteln. Das erste Zeichen stellte sich wahrhaftig als Richtungsangabe heraus, das zweite markierte einen Treffpunkt. »Die Phexdiener werden sich eine Stunde nach der Mitte der Nacht hier versammeln.«
Feledrion bemerkte, wie vorwurfsvoll die beiden anderen ihren allzu geschwätzigen Freund anschauten. Die Menschen spielten also wieder einmal Verstecken! Zweifellos nahmen sie es ernster, Feledrion aber gedachte, seinen Spaß dabei zu erlangen. Doch bis dahin war ja noch viel Zeit.

Wiederum promenierte er selbstzufrieden durch das Dorf, die beiden silbernen Kugeln, die ihm Atreo geschenkt hatte, in seiner Rechten kreisend. Einer seiner Mitbewohner, ein junger unerfahrener Liebfelder namens Van Shear, folgte ihm seit kurzem, da trafen sie Zori. Auch sie schlief in derselben Hütte. Feledrion allerdings hatte sie erstmals schon vor zwei Jahren im Grünen Eber getroffen.
Eigenartig, wie jener Abend und dieser viel gemeinsam zu haben schienen, als seien sie auf besondere Weise verbunden!
Zori kam von einer Feier, wo auch eine gewisse Novadi zu finden sei, und suchte ihren Reisebegleiter Draknuh. Vielleicht sei er ja im maraskanischen Teehaus. Zori lud die beiden ein, mitzukommen.
Der Elf war sofort neugierig, da er Zori missverstand und ihren schnellen Themenwechsel gar nicht bemerkte. Warum das Warten nicht auf diese Weise versüßen? Und wenn die Verschleierte auch anwesend wäre, um so interessanter! So strebten die drei dem Teehaus zu.
Nachdem Zori die Zettel auf der Türe eilig überflogen hatte, trat sie ein, die anderen beiden folgten.
Da begegnete ihnen der gesuchte Draknuh. Dem Elfen war dieser Mensch doch sehr suspekt, da er bei ihm wohl Mandra, nicht jedoch Nurda verspürte. Doch die philosophische Frage, ob man diesen Menschen nun als tot betrachten müsse, obgleich er wandele, beschäftigte Feledrion allzu sehr, um vor Draknuh Angst zu bekommen. Und nun, da Draknuh sich eilte, fortzukommen, schien er über irgend etwas in bester Stimmung.
Ungeachtet dessen setzte man sich zur Feier. Und wieder gab es Anlass, sich zu wundern, war doch neben dem Teehändler selbst kaum jemand zugegen! Von der scheinbar angekündigten Novadi fehlte natürlich jede Spur.
Auch der Händler selbst gab Rätsel auf. Er trug links einen schwarzen Handschuh, rechts keinen. Nach einer höchst freundlichen Begrüßung eröffnete er seinen neuen Gästen, für das Betreten dieses dem Phexe und Boron geweihten Hauses sei ein Eintrittsgeld von einem Silbertaler zu entrichten, wie ja draußen zu lesen sei. Der Tee koste einen Heller je Tasse.
Überrumpelt kramte Feledrion die fünfzehn herzöglichen Schatzanweisungen im jeweiligen Nennwert von einem Heller hervor, die ihm seine Schwester Schannaha zur Erleichterung seiner Aufgabe mitgegeben hatte. »Das ist alles Geld, über das ich verfüge.«
»Nun, zehn Heller sind ein Silbertaler.«
»Ich weiß.«
Nachdem alle bezahlt hatten, durfte man sich aus vierundzwanzig Teesorten aussuchen. Da der Elf hier keine großen Erfahrungen besaß, ließ er die anderen für sich mit entscheiden.
»Dieser Tee scheint heiß zu sein«, wunderte sich Feledrion. »Jetzt verstehe ich, wofür du den Handschuh trägst.«
»In der Tat, ich habe mich vorhin verbrannt...«
»Dann werde ich warten, bis mein Tee kalt ist.«
»Ihr mögt kalten Tee?« Der Händler schien nicht schlecht verwundert, doch bereit auf Feledrions Wünsche sogleich einzugehen. »Ich habe hier noch einen Rest kalten Tees, den könnt Ihr gratis bekommen, wenn Ihr möchtet.«
Erfreut nahm Feledrion an.
Man ging zum gemütlichen Teil des Abends über, philosophierte freimütig über Götter. Feledrion plauderte vom geplanten Geheimtreffen, was besonders Zori und den maraskanischen Teehändler interessierte.
Später stießen noch Yshija sowie Gwydon Silbersang zur Runde. Letzterer war ein Menschelf und Freund jenes anderen Gwydon und darüber hinaus zufällig auch noch der sechste Mitbewohner in Feledrions Hütte. Der Maraskaner bot beiden an, ihnen das Entgelt für Tee und Eintritt zu erlassen, wenn sie ihre Künste darböten.
Yshija lehnte ab: »Ich tanze nicht, um etwas umsonst zu bekommen.«
Der Barde hingegen willigte auf den Handel ein und sang und spielte dazu auf der Laute.
Zori verabschiedete sich alsbald. Sie wolle zum Treffen. Eigenartigerweise schlug es noch lange nicht einmal Mitternacht. Andererseits, was ging es den Elfen an?
Allerdings forderte der Händler bei dieser Gelegenheit auch noch Drachenmark für den Tee ein. Von dieser Währung hatte Feledrion durch Schannaha nichts erhalten.
»Nun gut, so zahlt, wenn Ihr wieder einmal vorbeikommt«, meinte der Händler.
Der Elf nickte lieber, auch wenn er sich nicht recht vorstellen konnte, wie an dieses Geld zu kommen sei.

Eine Stunde später brach auch er zum Flusse auf, um zu sehen, ob sich dort bereits etwas täte. Van Shear folgte ihm.
Doch noch niemand hielt sich am Orte auf. Wo mochte Zori stecken? Andererseits waren sie ja auch noch viel zu früh.
Als sie vom Flusse zum Weg zurückkehrten, wurden sie von einem Krieger und einer Kriegerin angehalten. Mit tiefer, fast metallener Stimme fragte der Mann, ob man jemanden gesehen habe oder etwas von einem Treffen wisse.
Feledrion verneinte beides, da er um das Gefühl nicht umhin kam, diese beiden wollten das lustige Versteckspiel verderben. Dabei interessierte ihn wenig, dass die beiden nicht das Wappen der Wolfsgarde trugen.
Kaum, dass sie gegangen, erschien ein weiteres Paar am Platze. Sie tasteten sich allerdings wesentlich vorsichtiger an das Thema Geheimtreffen heran, so konnte Feledrion sie als geladene Gäste vermuten. Er warnte sie vor den vermeintlichen Spielverderbern und führte das Pärchen zum Treffpunkt.
Danach warnte der Mann, welcher sich als Händler vorstellte, ihn und Van Shear, sich nicht für diese Sache zu interessieren. Es könne höchste Gefahr für sie bedeuten.
In dem Bewusstsein, wie sehr Menschen zu übertreiben pflegten, schenkte Feledrion dem Manne wenig Glauben. Viel zu neugierig war er, und dies erklärte er auch offenherzig.
»Dann will ich Eure Neugier auf etwas anderes lenken«, meinte der Händler. »Etwas, dass Euch noch neugieriger macht.« Er schenkte Feledrion drei glitzernde Steine, welche ja ach so geheimnisvoll und von hohem Werte seien. Dafür solle sich Feledrion von dieser Stelle fernhalten. In der Dunkelheit konnte er wohl das verhaltene Schmunzeln des Elfen nicht erkennen. Was glaubte der Mensch, wen er vor sich hatte? Natürlich nahm Feledrion das Geschenk an, was jedoch in keinster Weise bedeutete, dass er damit irgend etwas versprochen hätte. Im Gegenteil hätte dem Händler sogleich bewußt werden müssen, wie wenig die Steine dem Elfen bedeuteten, als jener einen sogleich an Van Shear weiterverschenkte.
Dennoch entfernten sich die beiden um der lieben Ruhe Willen. Während Van Shear aber schlafen ging, kehrte Feledrion schon bald wieder zurück.
Er schlich sich abermals in die Nähe des Treffpunktes, wo er im Dunkel einen weiteren Richtungsweiser entdeckte. Feixend schüttelte er den Kopf. Ob es noch irgend jemanden gab in Ebelried, der nicht um die Stelle wusste?
Neben dem Zettel kauerte er sich ins Schilf. Menschen kamen des Weges und zogen vorbei, ohne ihn zu bemerken. Sie fanden eben nur, was sie erwarteten.
Viel Zeit verstrich, doch niemand schien zu dem Treffen zu erscheinen. Da schritten Jaldek und der maraskanische Teehändler mit einem anderen herab. Erfreut über etwas Abwechslung verließ Feledrion sein Versteck. Gemeinsam wartete man an einem nahen Unterstand, doch nichts geschah.
Der Teehändler beschwerte sich, man sei wohl zu laut, so käme niemand.
Er mochte recht haben, allerdings überkam den Elfen langsam eine andere Vermutung. Er verabschiedete sich für den Augenblick unter dem Vorwand, sich etwas dunkleres überzuwerfen, da er in seiner weißen Gewandung unübersehbar sei.
Als er kurz darauf mit einem schwarzen Tuch, das das leuchtend helle Fransenhemd nur zum Teil verbarg, zurückkehrte, war der Unterstand verlassen. Sollte das Treffen etwa schon vorüber sein? Gewiß nicht! Ein schelmisches Grinsen zog sich über sein Gesicht. Wiederum unbemerkt von nächtlichen Passanten näherte er sich dem Schilf.
Er verzichtete darauf, seine Seelenkraft um Lautlosigkeit oder Unsichtbarkeit zu bemühen. Entdeckte man ihn nicht - wunderbar. Bemerkte man ihn hingegen, so zog man ihn vielleicht ob seiner Beharrlichkeit ins Vertrauen. Schlimmstenfalls würde er sich schon zu wehren wissen. Eines wollten jene gewiss nicht riskieren: Aufsehen.
So stakste er eher wie ein Storch als wie ein Schwan im Röhricht einher, trotz aller Vorsicht und Langsamkeit kaum überhörbar. Zudem hinderten ihn die Fransen seines Gewandes wiederholt daran, dornige Büsche zu passieren. Er kam gerade nahe genug, die Stimmen von dem Treffpunkte her wahrzunehmen, verstehen konnte er von dem Getuschel allzu wenig. Lediglich einige Wortfetzen wie »Phex... Axt... Austausch...« drangen an seine feinen Ohren.
Als er sich noch weiter näherte, verstarb das Gespräch vollends. Sicher hatte man das Schilf knacken hören, und er war in seinem weißen Hemd auch kaum zu übersehen.
Er zog sich langsam zurück, erwog bereits, in aller Offenheit zu den Belauschten zu stoßen, da kamen Gestalten aus dem Versteck hervor. Es waren der Narr und eine kleine Frau in kurzem Lederrock.
Was denn? Nur zwei? Konnte er sich so getäuscht haben?
Doch während man sich einander näherte, schaute die junge Frau noch einmal zum Ufer zurück. Nun wusste Feledrion sicher, diese beiden waren nicht allein gewesen, sondern sollten ihn nur vom Treffen fernhalten.
Der Gaukler berichtete redselig etwas von einer kopflosen Leiche, die angeschwemmt worden sei, eine Geschichte, aus der der Elf nicht so recht schlau wurde.
Da tauchten Zori und Draknuh aus der Dunkelheit hervor. Feledrion ging ihnen entgegen, und als er sich wieder umdrehte, waren der Spaßmacher und seine Begleiterin verschwunden. Fast hätte der Elf lachen müssen. Obwohl er aber in Draknuhs Gegenwart noch immer ein unterschwelliges Unbehagen verspürte, zog er ihn und Zori ins Vertrauen. Keck ging Zori zum Flusse hinab, während Draknuh und Feledrion warteten. Und als sie zurückkehrte, bestätigte sie den Verdacht des Elfen zur Gänze: Das Treffen lief noch, und die anderen beiden waren nur geschickt worden, ihn fortzulocken.
Dies genügte, seine Neugier für diesen Tag zu befriedigen. Die genauen Themen der geheimen Besprechung interessierten ihn weniger, und so verabschiedete sich Feledrion von Draknuh und Zori, um sich zur Ruhe zu begeben.

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Feledrion / Atreos Haus

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