Feledrion auf dem Drachesteinturnier

Die Schlacht und die Abreise

von Oliver H. Herde

Des Morgens, als Feledrion wieder einmal das Dorf zur Taverne durchquerte, traf er manchen, der ihn fröhlich beim Namen grüßte oder die tulamidische Melodei summte oder pfiff, die er gestern mit Atreos Text vorgetragen hatte. Unverhofft war er über Nacht zur Berühmtheit in Ebelried geraten. Er erfreute sich daran, so vielen eine solche Freude bereitet zu haben, doch verspürte er auch einen gewissen Stolz. Ja, er ersehnte gar eine Wiederholung, einen neuerlichen Auftritt! War er nun endgültig zu lange unter den Menschen gewesen, solch eitle Gelüste zu entwickeln? Oder überwog der Nutzen, den er anderen brachte?
Etwas Gelbes im Grünen zog ihn von seinen Selbstzweifeln fort. Neugierig bückte er sich danach. Es handelte sich, wie er mit etwas Mühe entziffern konnte, um eine `Schatzanweisung' im Werte von einem Dukaten Goldes. Einen Schrit weiter lang noch eine ebensolche, daneben unter dem Busche eine weitere. Schließlich hielt Feledrion fünf der Wertpapiere in seinen Händen. Diese Fähigkeit des Intuitiven Geldfindens kannte er bislang nicht an sich, sondern nur von Atreo her.
Nicht recht schlüssig, ob er sich über den Fund und sein neues Talent freuen solle, ging er weiter, die nassgeregneten Scheine einstweilen in der Hand behaltend.
Da trat ihm ein Mann mit Barett entgegen. »Du bist aber ein reicher Elf!" staunte der.«
»Ach, die habe ich eben im Grase gefunden...«
»Brauchst du die noch?«
»Nein, eigentlich nicht.« Damit drückte er dem hochbegeisterten Menschen die klammen fünf Dukaten in die Hände und setzte seinen Weg fort.
Ein Mann der Wolfengarde lief ihm aufgeregt entgegen. Das gesamte Dorf wurde zusammengerufen. Man hatte des Nachts eine sagenumwobene Zwergenaxt gefunden: Den Karfunkelspalter. Von ihm erhoffte man sich einen Vorteil im Kampfe gegen die Heere des Dämonenmeisters.
Doch während man noch die eine Zeremonie beging, in der die Waffe an einem Drachenkarfunkel ausprobiert wurde, ließen sich nahende Schreie vernehmen. Und da erschienen sie auch schon: Untote, Besessene, den Ruf »Finsternis« wieder und wieder ausstoßend.
Entsetzt erkannte Feledrion Yshija in den feindlichen Reihen - oder treffender gar davor! Tanzend zog sie ihnen voran, sich ihres Tuns nicht bewußt.
Schon formierten sich die Menschen, ihnen entgegenzutreten. Die Bannstrahler sangen gegen die Rufe der Feinde an. Die Heere kamen einander näher, dann prallten sie in sinnloser Wut aufeinander.
Schnell verlor Feledrion die Sharisad aus den Augen. So leicht bewaffnet, wie er war, und so geschwächt im Mandra, vermochte er wenig auf die tobende Schlacht Einfluß zu nehmen. Er erinnerte sich an die Aufgabe Schannahas, zu beobachten und zu berichten. Und doch suchte er verzweifelt nach einer Möglichkeit, zu helfen. Allzu viele Gesichter waren ihm nun bekannt, gar warm vertraut, als daß er sich in Gleichgültigkeit hätte üben können. Und wo war Yshija? Würde er Atreo von ihrem Tode berichten müssen?
Regen ergoß sich über das Schlachtfeld. Blut spritzte, Zauber zuckten, Waffen blitzten. Angesichts des Chaos stand Feledrion hilflos am Rande, unbeachtet von Freund wie Feind. Ein tulamidischer Magier floh in rasendem Schrecken an ihm vorbei. Verwundete folgten schwankend. Überall lagen Tote in roten Pfützen.
Ein Krieger in schwerer Rüstung taumelte heran, in seinen Armen hing Yshija! »Hast du noch Kraft?« fragte er den Elfen, beinahe, als wüßte er um das lose Band zwischen ihm und der Sharisad.
»Wenig, aber ich tue, was ich vermag.« Er schloß ihre Wunde mit jener wenigen Energie, welche ihm die Ruhe der Nacht gespendet hatte, doch sie erwachte ebensowenig wie die Achmad'Sunni am Vortage.
»Sie ist beherrscht.«
»Ich weiß.«
»Nimm meinen Schild!«
Feledrion gehorchte bereitwillig und folgte dem Krieger in dessen Hütte. Jener fesselte und knebelte Yshija und kehrte noch einmal auf das Feld zurück.
Von wirren Gedanken erfüllt, hockte Feledrion nun bei der Bewußtlosen. Atreo an seiner Stelle hätte sie sich wohl wie sie war über die Schulter geworfen und wäre mit ihr geflohen. Wie friedlich sie schlief! Es war anders als gestern bei der Verschleierten.
Der Geist mit den weißen Händen erschien, vollführte Zeichen, die Feledrion nicht ganz verstand.
Yshija schlug ihre Augen auf. Ihr Blick sprach von Verwunderung, von Verunsicherung.
Sofort befreite sie der Elf, und er behielt Recht: Die Beherrschung war von ihr gefallen, sie bedankte sich.
Bevor er jedoch weitere Worte mit ihr wechseln und ihren Zustand genauer erfassen konnte, polterten Männer in die Hütte und der Geist verschwand. Der Krieger führte Jaldek und Gwydon herein. Man versuchte, sich gegenseitig die Situation zu erklären.
»Ich war beherrscht?« fragte sie.
»Du hast für jene getanzt...« erklärte Feledrion ruhig. Doch an ihrem erschütterten Blick erkannte er sofort, welch einen folgenschweren Fehler er in seiner Unbefangenheit begangen hatte! Ihr, der das Tanzen so viel bedeutete, für die es einen spirituellen Charakter annahm, den er kaum nachvollziehen konnte, mußte es schrecklich sein, ihr einzigartiges Talent für das Böse eingesetzt zu haben! Betroffen schwieg er. Immer passierte ihm so etwas, wenn so viele Menschen um ihn wimmelten! Nun verstand er, warum der Mawdli ihn fortgeschickt hatte.
Gwydon suchte, Yshija mit einem Lied abzulenken. Es handelte von jenen Ereignissen damals an dem Brunnen vor zwei Jahren und von ihrer Suche nach Ajishy. Welch eine traurige, vertraute Melodie! Mit dem Text aber wich der Halbelf von Atreos Erzählungen ab. Er sang nur von der Liebe EINES Mannes. Vermutlich wußte er es nicht besser. War es aber klug, Yshija jetzt an ihre so lange vermißte Schwester zu erinnern?
Das Gesicht in ihre Hände vergraben, von dem Krieger schützend umarmt, lauschte sie dem Sang. Als er endete, blickte sie aus tränenfeuchten Augen auf, schaute traurig in die Runde, und verstärkte so nur Feledrions schlechtes Gewissen und seine Hilflosigkeit.
Sie schniefte, da beugte sich Jaldek zu ihr und meinte: »Ich bin überzeugt, daß Firun mir nur deswegen in diesen Tagen eine triefende Nase bescherte, damit ich Euch ein Taschentuch reichen kann.«

Die Schlacht war vorüber, die Feinde unter schweren Verlusten geschlagen. Für den Vormittag hatte der Herzog eine Audienz für jedermann angekündigt, die nun sicher auch gehalten wurde. Ein jeder solle Fragen und Wünsche äußern dürfen.
Ob sich für Feledrion solches lohnen mochte? Würde der Herzog eine ehrliche Einschätzung der Kriegslage abgeben? Nun, man könnte es ja zumindest einmal versuchen. Immerhin hatte Feledrion den Mann noch nicht ein einzig Mal zu Gesicht bekommen.
Vor dem improvisierten Thronsaal stieß er allerdings auf eine immense Warteschlange. Unter den vielen Bittstellern entdeckte der Elf auch den maraskanischen Krieger, ging zu ihm und erkundigte sich, was er von dem Herzog wolle.
»Ich möchte mich für meine Landsleute einsetzen, die hier im Exil leben.«
»So wünsche ich dir viel Erfolg mit deiner Bitte«, erklärte Feledrion und verabschiedete sich.
Sollte er sich nun hinten anstellen? Besser, er gewann zunächst einen Eindruck des Herzogs. Also schritt er an der Reihe der Wartenden entlang bis zu ihrem Anfang vor der offenstehenden Tür zum Audienzsaal und blickte dort hinein. Während der Wächter aber die Antragsteller auf gebührenden Abstand hielt, trat er für Feledrion originellerweise gar beiseite, damit der Elf besser sähe. Zufrieden lächelnd verfolgte jener das Ende einer wohl eher als belanglos einzustufenden Unterredung.
Bevor aber der nächste seine Bitten vorbringen durfte, erschienen Jaldek und ein anderer im Saale, um als Sieger der Wettbewerbe der Adeligen besondere Ehrung durch den jungen Herzog zu erfahren. So sehr Feledrion dies auch Jaldek gönnte, so stieß ihn doch das pathetische Gerede des Landesherrn ab. Er hatte genug gesehen, sowohl hier, als auch in den letzten Tagen. Er würde seiner Familie raten, die Pässe und Ebenen, welche die Übergänge aus diesem Lande zum Rest des Kontinents darstellten, weiter zu beobachten. Die Lage der Menschen hier war nicht aussichtslos, gab jedoch auch keinen Anlass zur Entwarnung. Man würde sich wohl mit den Trollen für die Zukunft beraten müssen.

Auf dem Wege, die Stadt zu verlassen, begegnete Feledrion noch einmal der Sharisad Yshija. Noch immer quälte ihn sein schlechtes Gewissen, ihr vom Tanze während ihrer Besessenheit erzählt zu haben. Doch wenn sie ihn ließe, so könnte er es wiedergutmachen. »Möchtest du mich in die Salamandersteine begleiten?« bot er geradeheraus an. »Gewiss würde es dir guttun!«
Yshija aber lehnte ab: »Nein, ich werde mich zuerst in einen Rahjatempel begeben, die Erlebnisse zu verarbeiten.«
Der Elf sah ein, er würde jetzt so wenig bei ihr erreichen, wie Schannaha bei Atreo. Sie verfügten über den gleichen Dickkopf, und vielleicht half ihr die Göttin der Ekstase ja mehr als dem unglücklichen Freunde.
Ja, Atreo sollte erfahren, wie es Yshija inzwischen ging! Feledrion würde ihn nach seiner Schwester aufsuchen.
Bevor er aber die Sharisad verließ, wollte er ihr erweisen, die ausgesprochene Einladung gelte auch für die unbestimmte Zukunft: »Du mußt es wissen. Dieser Stein aber soll dich an die Wälder von Sala Mandra erinnern!« Er legte ihr das grüne Juwel in die Händen, welches er zwei Abende zuvor am Flusse für sein Vergessen erhalten hatte. »Wann immer du magst, komme vorbei und frage nach Feledrion Alikorni Schwanenflug. Man wird dich finden.«
Sie faltete die Hände um den Stein und nickte dem Elfen dankend zu.
Schweren Herzens löste sich Feledrion von dieser ungewöhnlichen Menschenfrau und diesem Orte so faszinierender Ereignisse und lenkte seine Schritte gen Braunwasserpass, wo ihn Schannaha und Lamiadon erwarteten.
Gwydons traurige Melodei aber und Yshijas Tränen sollten ihm noch sehr, sehr lange im Gedächtnis haften bleiben.


Feledrion / Atreos Haus

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