Rashdul

Die Versteigerung

Autoren: Lisa Tyroller und Oliver H. Herde
Mit Beiträgen von Julia Köhler

Rashdul, die unschätzbar Alte, sicher gelegen zwischen dem Mhanadi und steil aufragenden, rötlichen Felsformationen. Dicht gedrängt wogen die Menschenmassen durch die Unterstadt. In der Karawanserei am Basar herrscht trotz der frühen Morgenstunde schon geschäftiges Treiben plärrender Verkäufer.
Einer der ansässigen Händler, die sich für kein gutes Geschäft zu schade sind, ist Mufat al Shadim. Heute sind es einige Sklaven, die es an Einheimische wie Fremde abzusetzen gilt. Einzig interessant ist selbstverständlich der Preis! Allzu gerne kümmert Mufat sich dabei persönlich um den Verkauf, statt dies einem Anpreiser zu überlassen; das spart Geld.
Soeben zerrt er auf seinem Podest ein junges Mädchen an einer Leine in den Vordergrund. Es ist recht kleinwüchsig, hat eine zierliche, knabenhafte Gestalt und halblange brünette Strubbelhaare. Besonders fällt zudem aber ihr unglaublich kindliches Gesicht auf, welches die Einschätzung ihres Alters noch erschwert. Als einzige Kleidung trägt sie ein lang hinabhängendes feines Lendentuch, ein weiteres über die Brüste. Ein Geschirr feiner Ketten verbindet die Ledermanschetten an Hand- und Fußgelenken untereinander und mit dem Halsband. "Die Wüstenblume Zulhamina, seit einigen Jahren in meinem Besitz als Dienerin für alles. Sie ist bestens erzogen, kann schneidern, kochen und alles andere, was man sich im behaglichen Heim wünscht." Er beugt sich verschwörerisch ein wenig vor, wird jedoch keineswegs leiser: "Euch das Bett wärmen, zum Beispiel!"
"Fünfzig Marawedi!" brüllt jemand aus der Menge.
"Erfreue andere mit deinen Scherzen! Allein die Fesseln sind so viel wert!"
"Na gut, achtzig!"
"Für einen zahnlosen Kameltreiber wie dich würde mir dies in meiner Bescheidenheit vielleicht genügen, aber doch nicht für dieses liebreizende Geschöpf! Wir wollen mit hundertzwanzig beginnen, um den vielen wirklich Interessierten nicht die Zeit zu stehlen." Heischend lässt er den Blick über Händler und Schaulustige schweifen.
Ein Moment der Besinnung scheint durch die Menge zu gehen, in dem sich der eine oder andere fragt, wie weit er wohl grundsäzlich mitzubieten bereit wäre. Aus der Nähe könnte man ein winziges Zucken der Augenbrauen bei Mufat erkennen. Es passt ihm gar nicht, wenn die Interessenten sich gegenseitig so viel Zeit zum Nachdenken lassen!
Dann aber hebt ein Dicker in bunten Seidengewändern und mit einem riesigen blau-weiß gestreiften Turban seine Hand.
"Da haben wir 120!" macht Mufat eilig das Volk auf den augenscheinlich Wohlhabenden aufmerksam.
Die junge Sklavin derweil hält ihr Köpfchen demütig gesenkt und schielt nur hin und wieder in aller Vorsicht zum Publikum.
"Sieh doch einmal, ist sie nicht entzückend?" säuselt eine Frau, deren imposanter, durch weite Tücher nur wenig kaschierter, Körperumfang dem des vorigen Bieters um nichts nachsteht, ihrem im Vergleich zu ihr geradezu schmächtigen Begleiter gutgelaunt zu.
"Aber sicher, mein Schmetterling", stimmt dieser zunächst beiläufig zu, als ihn eine schlimme Ahnung erfasst und er sich beeilt, fortzufahren, "aber das trifft auch auf die Sklavin zu, die wir vor zwei Monden..."
"Pah. Anyur ist eine alberne Gans, die nicht einmal die simpelsten Mahlzeiten zustandebringt und ständig versucht, unseren Gästen den Kopf zu verdrehen. Ich bin ihrer längst überdrüssig und spiele schon seit letzter Woche mit dem Gedanken, sie wieder zu verkaufen. Ich möchte SIE!" Leises Klirren der zahlreichen Goldreife, die sie an ihren Handgelenken trägt, unterstreichen ihre Worte, während sie sich bedrohlich zu dem Mann mit dem grauen Schnurrbart hinunterbeugt.
In dem Wissen, dass es nun kein Entrinnen mehr gibt und jedes Zögern die Laune der Stute seines Herzens verschlechtern würde, hebt er resignierend die dürre Hand und murmelt: "140..."
"Lauter!" zischt sie in einem Befehlston, der sich nicht von dem unterscheidet, mit dem sie ihre Sklaven durch das Haus scheucht.
"140!" wiederholt er, und es klingt wie ein Hilferuf.
Ein Lächeln umspielt die tiefrot geschminkten Lippen der Dame in der Sänfte, die seit einigen Augenblicken das Geschehen um den Stand des Händlers verfolgt.
Sie ist nicht mehr ganz jung, diese Frau mit den schwarz umrahmten Kohleaugen, erste feine Falten umrahmen ihre Mundwinkel und Erfahrung spricht aus ihrem wachen Blick, doch hat sie sich zweifelsohne den Widrigkeiten vieler Jahre zum Trotz ein hohes Maß an Schönheit bewahrt. Schönheit, die durch Reife und Klugheit vielleicht noch gewachsen ist und die keines der glatthäutigen blutjungen Mädchen aufweisen kann, welche auf den Märkten so oft feilgehalten werden.
Im Augenblick ist jedoch der größte Teil ihres Antlitzes unter einem weichen scharlachroten Tuch verborgen, das vor dem Staub und Schmutz der Stadt schützen soll und zudem vor der Hitze, die den vier muskulösen Männern, welche die mit Ornamenten reichverzierte Sänfte tragen, sehr zu schaffen macht.
Aufmerksam hat Mesherel die kleine Sklavin dort auf dem Podest beobachtet, während andere schon erste Gebote abgaben, zumeist Männer, deren Gebahren die Vermutung, sie könnten das Mädchen in der Tat als Dienerin für ALLES gebrauchen wollen, nahelegt. Das scheue Ding gefällt ihr über die Maßen gut; demütig, bescheiden, schweigsam. Perfekt.
Ein leiser Wink mit der sorgfältig gepflegten Rechten und die an den Seiten offene Sänfte senkt sich gerade soweit, dass ihre Besitzerin ohne Hilfe aussteigen und auf den staubigen Platz treten kann. Mit einer eleganten, gelassenen Handbewegung befreit sie ihre untere Gesichtshälfte von dem schützenden Stoff.
Groß ist sie, neun Spann mag sie wohl messen, und von anmutiger Gestalt. Ihr ruhiges Auftreten, ihre tiefgründigen Augen verströmen eine Aura von Autorität, der sie sich sehr wohl bewusst ist.
Ihr hocherhobenes Haupt umgibt das bereits erwähnte rote Tuch, ihr schlanker Körper ist bis zum Boden in fließende dunkelblaue Stoffe gehüllt, die an den Rändern dezent mit leicht glitzernder Borte aus Silberfäden bestickt sind. Schlichte schwarze Pantoffeln, die in ihrer Beschaffenheit kaum für einen langen Spaziergang auf eigenen Sohlen geeignet wären, stecken an ihren Füßen, und an ihrer rechten Hand funkeln dann und wann zwei vollkommen identische vergoldete Ringe, die mit unzähligen winzigen Steinen besetzt sind und einen interessanten Kontrast zu ihrer vom Material her edlen, doch einfach geschnittenen Kleidung bilden.
Ihr linkes Handgelenk ziert ein doppelt gedrehter Reif in Form einer Schlange, die sich den zartbraunen Arm hinaufzuwinden scheint, jedoch nur zu sehen ist, wenn der bis zu den Fingerspitzen hinabfallende Stoff zurückrutscht - wie etwa jetzt, als die Dame die Linke einen Moment lang in die Luft hebt. "160!" Sie steht am Rand der aufgeregten Menge, doch erhebt sie ihre dunkle Stimme soweit, dass ihr Gebot den scharfen Ohren des Händlers gewiss nicht entgehen wird.
"Das ist doch...", entfährt es zischend den schwülstigen Lippen der riesenhaften Frau und ihre Augen verengen sich zu schmalen, schwarzumrandeten Schlitzen. "Los, biete weiter!" ein harter Schlag gegen die Schulter lässt ihren Begleiter ein Stück vorwärts taumeln, so dass er um ein Haar in eine Gruppe kichernder junger Frauen gestolpert wäre.
"Aber der Shadif", versucht er mit schwacher, brüchiger Stimme Einspruch zu erheben, verstummt jedoch sogleich, als ihm aufgeht, dass nach einem Wutausbruch seiner zarten Gazelle ihm auch ein solches Pferd nicht mehr helfen kann.
"180", ruft er und hofft insgeheim darauf, ein weiteres Mal überboten zu werden.
Belustigt hebt Mescherel eine sorgsam in Form gezupfte Augenbraue und die Augen darunter glitzern. Es scheint, als würde das hier ein kleines Duell werden. Nun, wenn es weiter nichts ist...
"Ich biete 200." Nach wie vor spricht sie ruhig, scheinbar ohne echtes Interesse, als wäre es für sie von geringer Bedeutung, ob sie nun diese Sklavin ersteht oder eine andere. Dieser bewusst hervorgerufene Eindruck täuscht jedoch. Lange Jahre hat Mescherel ash-Yahun nicht mehr gegolten als Dutzende anderer Mädchen und Frauen um sie herum, war nicht schöner, nicht klüger, nicht... besser. Nun steht sie hier, mit genug Geld, sich einen ganzen - na gut, einen halben - Harem kaufen zu können - wenn auch im Unklaren bleiben würde, wozu sie das tun sollte, wenn nicht als sehr extravagantes Geschenk für ihren Bruder - und sie will nur dieses eine reizende Mädchen für ihren Haushalt, womöglich als Gesellschafterin, womöglich auch in anderen Positionen, von denen bislang weder sie selbst noch das Mädchen etwas ahnen. Vorerst jedenfalls will sie sie. Und sie wird sie bekommen. Ein siegesgewisser Blick mustert das Kind von oben bis unten.
"Das wird sie mir noch büßen", stößt die dicke Frau hasserfüllt hervor, denn sie weiß, dass sie besiegt ist und jedes weitere Gebot die sichere Schande nur weiter vergrößern würde. Auch ohne die Bedenken ihres Mannes ist ihr bewusst, dass sie sich keine Sänfte leisten könnte und noch nicht einmal ein neues Pferd, wenn sie sich nun für ein Mädchen, das ihr eigentlich egal ist, in den Bankrott stürzt.
"Lass uns weitergehen", herrscht sie den kleinen Mann an, der sein Glück gar nicht fassen kann. Äußerlich bemüht sie sich, nun ähnlich gleichgültig wie die vorläufige Gewinnerin zu wirken, doch innerlich brodelt es in ihr, als sie sich mit ihrem Begleiter weiter durch die Menschenmassen des Basars schiebt. 'Bald schon wird sie es bitter bereuen, Djerja saba Jassafer bloßgestellt zu haben.'
Ja, so hat sich Mufat das vorgestellt! Es lohnt sich doch immer wieder, mit Niedrigstpreisen zu locken. Auf einem so belebten Markt gibt es meist genügend Kaufinteressenten, die sich an einem Schnäppchen festbeißen, auch wenn es keines bleibt. Bei dem schnellen Wechsel, in dem sich die beiden Frauen emportreiben, erscheint ihm selbst der Verlust des ersten Bieters, der sich enttäuscht abwendet, nicht gar zu schlimm.
Als dann aber auch das zänkische Weib das Interesse verliert, sieht er doch Not, einzugreifen. Unwillkürlich zerrt er die Sklavin an der Leine noch einmal etwas mehr vor und zu sich. "Ja, ich sehe, ihr wisst was gut ist! Die Liebreizende ist geschickt mit beiden Händen gleichermaßen. Schaut nur die seidenweichen kleinen Fingerchen!" Er reißt ihr ein Handgelenk empor, um es der Menge vorzuzeigen, was die Kleine sichtlich etwas erschreckt. "Und zudem ist sie sehr genügsam, was ihren Unterhalt betrifft!"
Offenkundig hat Mufat damit zwei Punkte angesprochen, die zumindest bei dem dicken Turbanträger ein neuerliches Überlegen in Gang setzen. Schon einige Schritte gegangen, dreht er sich nun wieder zum Stand um und tritt unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Seine Phantasien rasen. Und wenn sie später wenig isst - was wird ein solch zierliches Persönchen schon brauchen - rechtfertigt das auf lange Sicht vielleicht auch einen etwas höheren Preis. "Na gut, 210 Marawedi von mir!"
Das Objekt des Geschehens hingegen schaut schon wieder etwas verängstigt zu Boden. Zum Glück muss sie nicht entscheiden, wem sie gehört! Momentan bei all diesen Fremden fiele ihr dies sehr schwer.
"Ist das überhaupt ein Mädchen?" plärrt eine bissige Stimme von der Seite her. "Nicht, dass du uns hier einen Knaben andrehst!"
Der Dicke in der vorderen Reihe schaut erschrocken, ja fast verstört bei diesem Gedanken.
Noch bevor Mufat seinen Blick zum Schreier wendet, weiß er, dass dies wieder einmal nur sein Intimkonkurrent Raban ben Bulschi sein kann. "Ja, werte Kundschaft", ruft er schlagfertig, "auch den Schwachsichtigen unter euch will ich bieten, was ich vermag!" Schnell ist der simple Knoten des Brusttuches geöffnet, dass es sanft hinuntersegelt und die kleinen doch unverkennbaren Brüstchen der Sklavin freilegt. Diese zuckt zunächst leicht mit den Oberarmen ein wenig vor, jedoch wagt sie nicht, sich zu bedecken.
Mufat derweil entfernt auch das Lendentuch, welches er ebenso achtlos zu Boden sinken lässt. Die Scheu der kleinen Zulhamina äußert sich nicht mehr nur in ihrem ohnehin gesenkten Kopf. Unwillkürlich klemmt sie die Beine aneinander.
"Steh vernünftig, bevor sie dich noch für behindert halten!" zischt Mufat drohend, dann wendet er sich wiederum laut an die Umstehenden. "Seht nur diese feinen, festen Milchblüten!" Damit streicht er mit einem gespielt verzückten Ausdruck über Zulhaminas rechte Brust.
Dem momentanen Höchstbieter ist das Gesicht derweil wieder in ein frohgemutes Lächeln zurückgeglitten.
Mit kaum verhohlener Genugtuung sieht Mesherel ihrer aus dem Feld geschlagenen Konkurrentin nach. Die Dame, die ihr das Wasser reichen will, muss nun einmal etwas früher aufstehen - verwunderlich, dass eine solch stillose Person überhaupt versucht hat, mit ihr zu wetteifern. Das herablassende Lächeln, das den Abzug ihrer Nebenbuhlerin - falls man ihr denn die Ehre geben möchte, sie auf eine Stufe mit einer ash-Yahun zu stellen - begleitet, schwindet jedoch von dem sorgfältig geschminkten Gesicht, als sich ihr Blick wieder nach vorne auf den Händler und seine junge Ware richtet.
Eine missbilligende Falte zeichnet sich zwischen ihren dunklen Augenbrauen ab, und für einen Augenblick rümpft sie angewidert die sanft gebogene Nase. Es ist nicht die Tatsache, dass das Mädchen vor den Augen aller bloßgestellt wird und auch die offensichtliche Scham der Kleinen über ihre Nacktheit ruft nur mäßiges Mitgefühl in der hochgewachsenen Frau hervor - mit dergleichen Demütigungen hat eine Sklavin zu leben, das ist nunmal so - aber was ihre echte Empörung weckt, ist die Tatsache, dass dieser Händler offensichtlich noch nie etwas davon gehört hat, dass die Reize einer Frau, frei oder unfrei, im Verborgenen liegen sollten und nur für die Augen dessen bestimmt sind, dem die Ehre zuteil wird, ihren Körper zu besitzen.
Im Übrigen gefällt es ihr nicht, dass diese Taktik sich als wirksame Raffinesse erweist, die das Interesse von mehr als einem der Umstehenden wachruft oder, so schon vorhanden, schürt.
So beschließt sie, auf Angriffskurs zu gehen. Hocherhobenen Hauptes schreitet sie durch die Menge hindurch, die sich, begierig ein weiteres Gefecht erwartend, bereitwillig vor ihr teilt, bis sie unmmittelbar vor dem Podest steht. Als müsste sie es sich erst noch einmal überlegen, betrachtet sie das Kind von oben bis unten, dabei keine Zone des unreifen Körpers auslassend.
"Ein Mädchen, kein Zweifel", sagt sie dann mit dunkler Stimme. "Ich biete 230, und Ihr gebt sie mir besser sofort, bevor dieser Geier der Unschuld sie mit seinen verderbten Augen verschlingt."
Von oben herab sieht sie den Mitbieter mit einem Blick an, der selbst in der Hitze dieses Tages fähig wäre, den Palast des Sultans zu Eis zu gefrieren - wobei Eis zugegebenermaßen nicht etwas ist, das Mesherel täglich zu Gesicht bekommt, aber zumindest der Herr neben ihr dürfte nun eine rege Vorstellung davon haben.
Mufat grinst nur verächtlich. Ihm ist es gleich, welcher Geier die kleine Sklavin bekommt - Hauptsache, der Geier legt große Eier.
Sehr viel beeindruckter ist dagegen der Dicke Bieter. Mit dem Kopf ist er gar ein wenig vor Mesherel zurückgewichen. Dann aber zieht er die Brauen zusammen. Soll er sich vor allen Leuten von einer Frau verschrecken lassen!? Schluckend sammelt er Mut gegen ihren Angriffsblick. Und obgleich der Preis seine Barschaft schon etwas überbeansprucht - zudem gibt es ja noch zahlreiche andere und viel hübschere Mädchen im Angebot des Marktes - ringt er sich doch heiser ein Gebot des Widerstandes ab: "Zwei... zweihundertfünfunddreißig...!"
Schon bietet jemand anderes in der Menge 240 Marawedi. Welch ein Glück, ein Mann! Eilig wendet sich der Dicke ab, um behaupten zu können, nicht von der Furie verscheucht worden zu sein. Ob sie wohlmöglich dennoch gewinnt, will er lieber gar nicht wissen. "Das ist sie nicht wert!" ruft er und wankt flüchtend davon.
Und Mufat grinst wieder erwartungsvoll und siegesgewiss auf Mesherel hinunter - ein Ausdruck, der ihm gefriert, als er im Augenwinkel auch andere ihren Weg fortsetzen sieht.
Mesherel gibt sich gar nicht erst die Mühe, dem Davoneilenden einen triumphierenden Blick hinterherzuschicken. Schließlich war ihr von Anfang an klar, dass er sich früher oder später würde geschlagen geben.
Was ihr jedoch missfällt, ist das überhebliche Grinsen des Händlers. Am Ende läge es durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen, dass er jemanden engagiert hat, den Preis in die Höhe zu treiben; denn warum sonst sollte jemand glauben, es mit ihr in dieser Hinsicht aufnehmen zu können und immer noch weiterbieten?
Wo ihre Verhandlungstaktik bisher schlicht und einfach darin bestand, weiterzubieten, bis alle anderen aufgeben, darf sie doch die Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass es in der Menge einen Freund des Händlers gibt, der immer höher gehen wird, bis endlich ein Preis erreicht ist, den man nur noch absurd wird nennen können. Und da es nicht in ihrer Natur liegt, aufzugeben, müsste sie mitbieten bis zum bitteren Ende. Trotz eines vollen Geldbeutels hat sie aber keineswegs Lust darauf, mehr Marawedi loszuwerden als nötig.
Selbstverständlich hat der kleine Dicke Unrecht; die Kleine ist durchaus ihren Preis wert, sie weiß das und der Händler weiß das. Aber der Händler muss nicht wissen, dass sie es weiß.
Und so ändert sie ihre Taktik. Abschätzig mustert sie das Mädchen ein weiteres Mal von oben bis unten. Dann runzelt sie leicht die halb verdeckte Stirn, als müsste sie eine Rechnung überschlagen, und hebt schließlich die Schultern, als sei sie ebenfalls der Meinung, es gäbe ja noch interessantere Objekte auf dem Markt. Mit gleichgültigem Gesichtsausdruck wendet sie sich halb zum Gehen, scheinbar bereit, es so manchem anderen in der Menge gleichzutun.
Zusehends taut die eingefrorene Miene Mufats auf und sackt nun haltlos in sich zusammen. Bei dieser Frau hatte er eigentlich gehofft, dass sie noch sehr viel weiter mitzubieten bereit wäre. Aber wohlmöglich hat der Dicke recht: Die Sklavin ist wirklich nicht viel wert.
Ein Blick über die Menge zeigt ihm, dass wohl die meisten der gleichen Ansicht sind, sofern sie denn überhaupt ein grundsätzliches Kaufinteresse gehabt haben und nicht einfach nur ein wenig gaffen, um sich die Zeit zu vertreiben.
Ein schneller Bick aus seiner noch immer leicht geneigten Haltung heraus zurück auf das Mädchen sucht nach ihren weiteren Vorzügen, für die man das Publikum vielleicht doch noch für etwas länger halten kann.
Dummerweise fallen ihm zu allererst Fähigkeiten ein, um derentwillen es mit ihr immer wieder Anlass zum Ärger gab. Im Grunde hat er ihre in seiner Anschauung wenigen Vorzüge längst genannt. Soll er noch einmal auf die ungewöhnlich edlen Fesseln aufmerksam machen? Besser nicht! Das könnte manchen misstrauisch stimmen.
Schon nähert sich der Letztbietende siegesgewiss der niedrigen Tribüne. Es ist ein in dunkle Tücher gehüllter Kerl mit reich verziertem Stabe, der da an Mesherel vorübertritt, gefolgt von einem Diener mit einer Schatulle, welche das Gold bergen mag.
Schon erwägt Mufat die Möglichkeit, um das Mitleid der Leute zu werben. Doch welchem dieser Gesichter wäre zuzutrauen, dass ihm die Rettung Zulhaminas vor dem Schicksal als Laborkaninchen in der Pentagrammakademie diesen Preis wert sei?
Mit verschränkten Armen beobachtet Mesherel den Herrn, der sich da anschickt, das Mädchen zu bezahlen. Viel zu selbstsicher sieht er aus. Sie selbst steht ein oder zwei Schritte abseits, als wolle sie noch dem Ausgang des Verkaufs beiwohnen, um dann ihrer Wege zu ziehen. Ihr schönes Gesicht ist ruhig, keine Miene verzieht sie, als wäre es ihr in der Tat völlig gleichgültig, wer das Mädchen denn nun bekommt. Innerlich allerdings ist sie aufgewühlt wie eine sturmgepeitschte See. Sie WILL diese Sklavin, aber wenn sie jetzt einfach wieder mitbietet, dann verrät sie genau diesen relevanten Fakt, den sie eigentlich geheimhalten möchte.
Irgendetwas muss geschehen, damit sie noch ein höheres Gebot abgeben kann, ohne sich zu entlarven. Sie mustert den Händler genau, auf der Suche nach einer Schwachstelle. Er sieht ganz und gar entgeistert aus; sicherlich ist es ihm überhaupt nicht recht, das Mädchen zu diesem Preis abzugeben und darauf muss sie jetzt vertrauen.
'Nun komm schon, du Aasgeier, tu etwas, sag etwas! Wenn du mehr rausholen willst als im Augenblick drin ist, dann gib dir auch ein bisschen Mühe dafür!' Angespannt wartet sie ab - er wird doch nicht einfach so aufgeben? Wo er doch sicher ein Meister darin ist, aus nichts etwas und aus etwas eine Menge zu machen? 'Einen kleinen Vorzug wird sie doch noch haben, den du anpreisen kannst, irgend etwas, das sie für mich attraktiv macht? Nun sei keine hirnlose Ratte; sag etwas!'
Nein, Mitgefühl scheint hier bei niemandem im Gesicht zu stehen, also versucht es Mufat hastig mit dem Gegenteil. Hoffnung und Eifer treiben ihn wieder in eine aufrechte Haltung. "Habe ich schon ihren bedingungslosen Gehorsam erwähnt? Ein kluger Herr wird seine Freude mit diesem Kinde haben!"
Nebenbei zupft er zweimal die Leine abwärts, woraufhin sich die Sklavin sogleich niederkniet und den Kopf noch ein wenig tiefer senkt.
Mit der freien Hand fuchtelnd, tritt er noch einmal dicht an den Rand des Podestes. "Seht ihr, werte Leute, ein Wink allein genügt, dass sie euch jeden Wunsch erfüllt. Ich selbst habe ihr alles Nötige beigebracht. Ihr werdet überrascht sein!" An letzterem zweifelt er keinen Augenblick, wenngleich er es sich auch etwas anders vorstellt, als er den anwesenden Glauben machen möchte.
Ein flüchtiges Lächeln kräuselt Mesherels tiefrote Lippen, als sie befriedigt feststellt, dass ihre Beschwörungen unerwarteterweise nicht ohne Wirkung auf die abgestumpften Gedanken des raffgierigen Händlers geblieben sind. 'Gut gemacht, du listiger Wüstenfuchs.'
Es kümmert sie nun nicht sonderlich, ob die Kleine wirklich so gehorsam ist, wie der Kerl es behauptet, aber das ist ihre geringste Sorge; die Hauptsache ist doch, dass sie einen Grund hat, sich wieder einzumischen. Denn sollte es bei dem Mädchen Grund zur Klage geben, so wird sie das eine oder andere Mittel kennen, sich bei dem Kind Respekt zu verschaffen.
Bedächtig glättet sie die Tücher, die ihren schlanken Körper umhüllen, und setzt ihre Füße ein wenig geziert wiegenden Schritt um wiegenden Schritt einen vor den andern, ihrer Wirkung wohl bewusst, bis sie erneut vor dem Podest steht.
"Es scheint, als habe Eure Ware eine Unzahl der besten Eigenschaften, die man sich bei einer fügsamen Dienerin wünschen kann." Der Spott in ihrer dunklen Stimme ist kaum hörbar, aber die schwarzen Augen funkeln aufreizend. Noch einen Halbschritt geht sie nach vorn und hebt den rechten Arm, dass ihre Ringe im Sonnenlicht glitzern, um das Kinn der vornübergebeugten Sklavin sanft zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen. Behutsam dreht sie das schüchterne Gesichtchen hin und her, um es zu begutachten. "Nun gut, so wird sie möglicherweise kein völliger Fehlkauf sein. Wenn ich auch -" sie lässt das Kinn los "- nicht glaube, dass es sich wirklich lohnt, biete ich 260 Marawedi."
Scheinbar teilnahmslos tritt sie ein wenig zurück und wartet den Fortgang des Geschehens ab.
Nur für einen winzigen Moment hat die kleine Zulhamina scheu und doch seltsam ergriffen und neugierig zu der Kaufinteressentin aufgeblickt, da jene so viel Fingerspitzengefühl gezeigt, wie sie es vom eher groben Mufat nie kannte.
Den Magus hingegen scheint die ganze Zeit über weder das Gefasel des Verkäufers noch das Gehabe Mesherels zu bekümmern. Möglicherweise ist er ja bis zuletzt bereits allzu sehr damit beschäftigt, die Sklavin in Gedanken in seinem Labor unterzubringen.
Als er jedoch das Gebot vernimmt, reißt er aus seinem Tagtraum erwacht die Augen auf und die Brauen empor. Nein, mehr als 250 kommen ihn für seine chimärologischen Experimente doch eindeutig zu teuer! Mit einem Wink hält er den Diener zurück, dreht sich um und deutet mit einem zweiten an, zu welchem Stand man sich als nächstes zu wenden habe.
Insgesamt haben sich die Reihen gelichtet. "Sonst noch jemand?" fragt Mufat, dem die Schlacht so langsam als geschlagen vorkommt. Und in der Tat bestätigt sein Umschauen den intuitiven Händlerverdacht. Dies sind nur noch Schaulustige, keine Interessenten mehr.
So erspart er sich zunächst weitere Worte in einer dramatischen Kunstpause - die jedoch auch niemanden mehr höher bieten lässt.
"Nun gut, so geht also dieses Geschöpf der Wüste zu einem Preise fort, den man sonst schon für Schindsklaven berappen muss. Oh, ich bin zu großzügig, dass ich immer wieder meine kostbarste Ware unter dem Preis feilbiete! Wartet nur, welch einen manneskräftigen Bären in Menschengestalt ich euch als nächstes sozusagen schenke! Niemand also mehr für dieses wohlriechende junge Ding?"
Doch Mufat hat die Leute ganz richtig eingeschätzt: Sie müssen auf das nächste Angebot vorbereitet und hier am Stand gehalten werden. Für Zulhamina wird er nicht mehr bekommen.
"Nun denn, sie ist verkauft für 260 Marawedi an diese kluge Frau, die euch alle wie mich selbst so glücklich übervorteilt hat." Damit hält er Mesherel die Leine ein wenig entgegen.
Höchst zufrieden ist Mesherel - wenn auch natürlich von Anfang an kein Zweifel über ihren Sieg bestand - doch davon kann der Händler nichts sehen. Ihr Gesicht ist ausdruckslos wie meist und sie rührt sich auch nicht, um die dargebotene Leine entgegenzunehmen.
Ebensowenig macht sie Anstalten, aus irgendeinem verborgenen Eck ihrer Gewänder eine Geldbörse oder ähnliches hervorzusuchen, damit sie die soeben errungene Ware auch bezahlen kann. Stattdessen mustert sie den Händler und schüttelt leicht den Kopf.
Nach einigen Augenblicken kühlen Schweigens öffnet sie schließlich den Mund und erklärt mit ruhiger Stimme: "Wenn es im Bereich des irgend Menschenmöglichen liegt, hätte ich sie gerne in angezogenem Zustand." Das vorletzte Wort klingt in seiner scharfen Betonung fast schneidend. "In diesem Aufzug, listiger Wucherer, dürfte sie doch ein wenig mehr Aufmerksamkeit erregen als angebracht wäre."
Mit emporgerecktem Kinn und so unbeweglich wie zuvor wartet sie darauf, dass der Geizhals ihrem Wunsch - oder ihrem Befehl, je nachdem, wieviel Wert man auf Tonfall und Ausdruck legt - nachkommt. Sie hat keinen Zweifel, dass er sich beeilen wird, um nicht noch mehr potentielle Käufer seines nächsten Objektes durch lange Wartezeiten zu vertreiben.
Etwas fauchig gibt Mufat zurück: "Was tust du, als sei das die erste Sklavin, die nackt verkauft wird? Du solltest froh sein, dass ich für diesen Preis so viel Zubehör beisteuere!"
Dann aber drückt er Zulhamina das Hüfttuch in die Hände. Das andere, welches sie wegen der Fesselung nicht selbst anlegen kann, windet er ihr mit gespielter Vergnügtheit um den kleinen Brustkasten, wobei er dem zuschauenden Volk zuruft: "Ja, das vergaß ich zu sagen! Man kann sie sogar als Anziehpüppchen benutzen! Bedenkt also bei meinem nächsten Angebot, wie viele Vorzüge meine Sklaven aufweisen, ohne dass ich sie alle aufzählen könnte!"
Das Mädchen braucht ein Momentchen, bis es die unvermutete Wendung geschluckt hat und sich auch untenrum behelfsmäßig zu verhüllen beginnt - gerade rechtzeitig, um nicht schon wieder vom Händler gescholten zu werden.
Dieser reißt nur wieder an ihrer Leine, um sich erneut hinabzubeugen und diesmal auch seine freie Hand in Erwartung der Zahlung offen hinzuhalten.
Das Gekeife des Händlers lässt die reife Frau völlig kalt, nicht jedoch die Tatsache, dass er mit seinen letzten Worten die Angelegenheit durch den Schmutz und ins Lächerliche zieht. Eine Zornesfalte bildet sich auf ihrer Stirn.
"Es ist wahrlich nicht mein Problem und interessiert mich herzlich wenig, in welchem Zustand du deine Mädchen gewöhnlich verkaufst, aber wenn die Nacktheit deiner Sklaven dein bestes Verkaufsargument ist, so kann es um ihre übrigen Qualitäten nicht sehr gut bestellt sein!" Sie spricht lauter als bisher, laut genug, damit die Umstehenden es hören und aufmerksam die Ohren spitzen können.
"Im Übrigen, unehrenwerter Betreiber eines ehrenwerten Geschäfts, ist Nacktheit mehr als das Nichtvorhandensein von Kleidung. Aber das würdest du nicht einmal verstehen, wenn man es dir Tag für Tag mit dem Stock auf die Fußsohlen schriebe."
Während einige Schaulustige Erheiterung zeigen und andere in hitzige Diskussionen ausbrechen, blickt Mesherel den Händler mit steinernem Blick an und hebt die rechte Hand auf Schulterhöhe, um eine winkende Gebärde auszuführen. Augenblicklich eilt einer der Sänftenträger mit einem goldverbrämten Beutel aus rotem Samt herbei und überreicht ihn der Dame mit geneigtem Haupt.
Wortlos nimmt sie das Behältnis entgegen und beginnt, dem Händler den gebotenen Preis auf die Hand zu zählen. Es dauert eine Weile, bis auch der letzte der 260 Marawedi den Besitzer gewechselt hat und Mesherel lässt sich ausgesprochen viel Zeit dabei, sodass so mancher der Umstehenden ungeduldig wird oder gar gelangweilt davonschlendert.
Sodann bedeutet sie dem Bediensteten, die Leine des Mädchens in die Hand zu nehmen, bedenkt den Unverschämten mit einem letzten verächtlichen Blick und wendet sich von diesem Schauplatz eines niederträchtigen Kampfes ab, um zu ihrem Transportmittel zurückzukehren.
Selten sah man Mufat al Shadim so verblüfft. Ob es sich bei seiner Kundin um eine Aranierin handelt? Wie auch immer, ist er nicht geneigt, sich hier um Lappalien zu zanken. Daher verzichtet er auf die Ausführungen, in welchen Körperöffnungen Käufer schon alles hineinzublicken beliebten, um sich der Gesundheit der Ware zu vergewissern.
Mit mühsamer Geduld wohnt er in Vertretung des ausgerechnet jetzt verschwundenen Sekretärs der Auszahlung bei. Der wird etwas zu hören bekommen!
Zulhamina dagegen versinkt gewissermaßen immer mehr im Podestboden, da ihretwegen solch ein Unfriede herrscht. Erst, als sie den Zug an der Halsleine spürt, blickt sie ein klein wenig wieder auf und setzt sich in Bewegung.
Mit wiegenden Hüften schreitet Mesherel ein wenig aufgebracht, aber froh, diese Angelegenheit erfolgreich und zu einem akzeptablen Preis hinter sich gebracht zu haben, zu ihrer Sänfte. Den Beutel verstaut sie in einer hölzernen Schatulle, die an der Innenwand des Transportmittels angebracht ist und in der noch andere Dinge liegen, die bei einem Ausflug von Nutzen sind: leichte Tücher, ein Wasserschlauch, ein Dolch und dergleichen mehr.
Mit keinem Blick prüft sie, ob der Träger und das Mädchen ihr auch wirklich folgen, denn das versteht sich ihrer Ansicht nach auf einem öffentlichen Platz von selbst. Wohin könnten die beiden schon entkommen? Im Übrigen wird es der Kleinen bei ihr sicher besser gehen als bei einem dieser lüsternen dicken Männer, deren gierige Blicke das Geschehen verfolgten. Dumm wäre sie, wäre sie nicht froh darüber, von einer Frau erstanden worden zu sein.
Erst jetzt dreht sich Mesherel um. Der Diener folgt ein wenig unbeholfen hinterher, die Leine der Sklavin haltend, welche mit ihren Fesseln ja auch nicht eben die größte Bewegungsfreiheit besitzt.
Das Mädchen macht auf die Dame einen etwas verwirrten Eindruck, aber darum wird man sich später kümmern müssen. Geduldig und neugierige Blicke der Umstehenden ignorierend wartet sie, bis die beiden bei ihr angelangt sind.
Die kleine Sklavin behält auf dem kurzen Wegstück den Blick demütig gesenkt, schaut nur ab und zu vorsichtig, wohin man sie führt. Erst nahe der Sänfte schielt sie etwas länger empor, und zwar auf ihre neue Herrin, die einzuschätzen sie sich noch nicht zutraut.

Weiter...


Zulhamina / Kurzgeschichten

Redaktion und Lektorat: OHHerde