Einweisung durch die Herrin

Autoren: Lisa Tyroller und Oliver H. Herde

Immer noch mit offenem Mund schaut Kahid zwischen der Herrin und dem Mädchen hin und her. Der Gefiederte hat indes begonnen, seine Flügel zu putzen.
Mesherels Gesicht wird währenddessen von einem ebenso verwunderten wie warmen Lächeln erhellt, sodass ihre ganze Schönheit zur Geltung kommt. "Keine Sorge, Kind, er tut nichts." Ihr Blick bekommt etwas untypisch Verträumtes. "Er mag dich."
"Ah, ähm..." Was sonst sollte sie auch darauf sagen! Höchstens vielleicht: "Eiein schöner Vogel, lieb bist du..." Dabei schaut sie dem frechen Piepmatz scheu ins Gesicht. Fast möchte man meinen, sie habe sich auch ihm untergeordnet. Immerhin ist es wohl ein geliebtes Tier der Herrin!
Ratlos steht sie da und wartet auf irgendeine Anweisung von ihr oder dem Vogel selbst. Weswegen sie hier ist, hat sie ganz vergessen, aber wirklich geändert hat sich dadurch für sie eigentlich gar nichts: Noch immer weiß sie nicht recht, was man von ihr erwartet.
"Ja, er ist wirklich schön, nicht wahr?" antwortet die Herrin an Stelle des Tieres, noch immer mit diesem verträumten Ausdruck auf dem Gesicht.
Bis ihr plötzlich die Umständen recht klar werden. Als hätte sie Zulhaminas Gedanken gelesen, fragt sie: "Aber was macht ihr zwei denn eigentlich hier im Garten?" Dabei klingt sie nicht wütend oder anklagend, lediglich interessiert - denn irgendeinen Grund werden die beiden schon haben. Zudem ist die hochgewachsene Frau in viel zu sanftmütiger Stimmung, um sich schon aufzuregen, wenn noch gar kein Anlass dafür gegeben ist.
"Die Frau Usha meinte, ich soll... dass du..." Eilig versucht Zulhamina, sich recht zu erinnern, wie die Worte der Köchin gewesen sind. Bei einer falschen Formulierung könnte die Herrin ja vielleicht beleidigt sein. Aber was ihr noch einfällt, erscheint der Sklavin gar nicht unbedingt passender als der ungelenke Anfang.
"Also, ähm... Du... Ich soll meine Aufgaben erfragen, Herrin." Dabei nickt sie ein paarmal wie zu einer angedeuteten Verbeugung.
Die schöne Dunkelhaarige hebt eine Augenbraue auf diese kunstvolle Weise, wie sie immer wieder in Geschichten zitiert wird, welche aber in Wirklichkeit kaum ein Mensch beherrscht. "Oh?"
Mesherel hebt eine schlanke Hand und streichelt den Vogel mit einer anmutigen Geste, die einen Teil von Zulhaminas Schulter einschließt.
"Tretet ihr in der Küche einander auf die Füße?" fragt sie ohne sonderliche Überraschung. "Ja, ich habe wieder einmal..." Rasch bricht sie ab. Sie hat hier keine Zugeständnisse zu machen. Aber sie ahnt sehr wohl, worum es Usha ging, als sie das Mädchen herausschickte.
"Mhm. Dann lass uns ein wenig reden, Kind; ich nehme an, dass auch das in den Anweisungen meiner werten Köchin enthalten war?" Sie schmunzelt amüsiert. "Also komm mit. Und du, Kahid, zurück an die Arbeit."
Der Junge verneigt sich hastig und eilt davon, die Frauen allein zurücklassend. Nun, nicht ganz allein. Da ist ja noch der Geflügelte.
Den Vogel nimmt Zulhamina allerdings nur am Rande war. Säße er nicht auf ihrer Schulter und böte somit noch immer Anlass für eine gewisse Beunruhigung, würde sie ihn wohl rasch zugunsten der Herrin vergessen. So nah beim Gesicht könnte sie ihn ohnehin schlecht beobachten.
Um so mehr überrascht sie die streichende Berührung der Herrin. Mag es auch sicherlich nur ein Zufall, vielleicht eher gar ein unbemerktes Versehen sein, so sonderbar rührt es Zulhamina doch auch im Herzen an. Welch eine sanfte Ausstrahlung die Herrin doch hat!
"Was?" platzt sie mit einem Mal hervor, als ihr bewusst wird, dass sie geträumt hat. Aufgeregt und dann verschämt blinzelt sie einige Male, bevor sie ins Blaue hinein mit einem halblauten "Ja" antwortet.
"Ist schon gut, Zulhamina", sagt Mesherel, denn sie hat das Gefühl, dass das Mädchen bereits wieder drauf und dran ist, sich zu verkriechen. Das möchte die ältere Frau aber nicht, sie ist im Gegenteil sehr dankbar dafür, dass Usha ihr und der Kleinen diese Möglichkeit zu reden verschafft hat - auch wenn sie das nie zugeben würde und es auch jetzt nur ein vager Emotionsschimmer in ihrem Hinterkopf ist.
"Und, eh ich es vergesse" - sie beginnt, zwischen ihren Tüchern zu wühlen und bringt schließlich einen kleinen Schlüssel zum Vorschein - "die brauchst du hier im Haus nicht, oder?" Sie hebt lächelnd mit dem Zeigefinger der freien Hand eine der Ketten hoch, die das Mädchen in seiner Bewegungsfreiheit einschränken. "Nicht wahr?"
Ihr freundlicher Blick wird ein wenig eindringlicher, denn hinter dieser Frage steckt ein bisschen mehr als die Vergewisserung, dass das Mädchen nicht sogleich davon rennen wird, wenn sie sich von den Fesseln befreit sieht. Es ist eine Bitte um Vertrauen.
Es ist gut? Die Herrin ist wahrhaft nachsichtig! Und welch eine friedvolle Ausstrahlung von ihr ausgeht!
Zulhamina ist ganz fasziniert, dass sie fast ins Träumen gerät, bis ihre Fesseln berührt werden. Fast scheint sie den Finger auf ihrer Haut zu spüren, zu der er doch gar keinen Kontakt hat.
Brauchen? Dies erscheint Zulhamina als das falsche Wort. Doch die versteckte Mahnung entgeht ihr keineswegs - im Gegensatz zu der Bitte, welche sie von einer Herrin niemals erwarten würde. Eilig deutet sie mehrmalige Verbeugungen an. "Ja, Herrin, äh, ich meine: Nein! Ihr seid sehr großzügig, Herrin."
"Großzügig?" Mesherel weicht ein wenig zurück. Wären ihre Augen nicht ohnehin schwarz wie Kohle, sie würden noch ein wenig düsterer werden. In ihrem Blick liegt eine tiefe Traurigkeit.
Einen Herzschlag lang sieht sie das Mädchen an, dann schließt sie mit fliegenden Fingern die kleinen Schlösser auf und löst die Ketten so hastig, dass sie klirrend zu Boden fallen.
Geradezu erleichtert atmet sie auf. "Nicht großzügig, nein, Zulhamina, nicht einmal gütig - nur von Erinnerungen geplagt."
Fragend schaut Zulhamina ihre Herrin an. Was mögen das für schreckliche Erlebnisse gewesen sein, die sie so traurig erscheinen lassen? Aber die Sklavin würde nicht wagen, danach zu fragen! Im Gegenteil: Als sie ihren eigenen Blick bemerkt, schaut sie schnell zu Boden, um nicht aufdringlich oder gar aufmüpfig zu wirken.
Irgendwie kommt sie sich auch ein klein wenig nackter vor, wie sie so auf ihre Fesseln hinabsieht. Dabei musste sie die doch bei Mufat auch nicht dauernd tragen! Schon eigenartig!
"Also, lass uns ein Stückchen gehen", fordert Mesherel das Mädchen auf.
Der Vogel scheint das Interesse an seinem Sitzplatz verloren zu haben und erhebt sich flügelschlagend in die Lüfte, nicht ohne der Sklavin zuvor noch einmal seine Krallen ein klein wenig stärker als nötig in die Schulter gedrückt zu haben.
Andere Gefiederte zwitschern. Die Sonne scheint warm, aber noch nicht brennend heiß herab. Die Ketten bleiben unbeachtet auf dem Rasen liegen. Es ist eigentlich ein schöner Tag.
Zulhamina unterdrückt ihren kleinen Aufschrei zu einem leisen Fiepsen und reibt sich dann die Schulter, während sie dem Tier ein wenig missmutig nachschaut.
Da gewahrt sie, wie die Herrin schon einige Schritt getan hat. Nach einem kurzen Blick auf das Kettengeschirr schließt sie eilig auf, wenn auch nicht ganz. Sie will der Herrin ja nicht zu dicht auf den Leib rücken.
Für den schönen Garten hat Zulhamina gerade nicht so sehr viel Aufmerksamkeit übrig.
Scheinbar mit den Gedanken weit, weit fort schlendert die hochgewachsene Frau dahin, mit schlanken Fingern ihr langes Kleid ordnend. Endlich wendet sie ihr Antlitz wieder der kleinen Sklavin zu und legt den Kopf schief. Ihr Gesichtsausdruck ist nicht der einer gestrengen Herrin, nein, er gleicht eher dem einer älteren Verwandten, die sich nach dem Befinden der Schwestertochter erkundigen will.
"Zulhamina... du denkst oft ein kleines Weilchen nach, bevor du auf Fragen antwortest, ist es nicht so? Warum?"
Auch diese Erkundigung ist der Gefragten bereits wieder hinreichend Anlass, aufgeregt zu blinzeln - und kurz nachzudenken. Dann streckt sich der zierliche Körper ein wenig und sie plappert eilig drauflos, als könne sie die verlorene Zeit wieder einholen: "Ich will doch gewissenhaft sein, Herrin! Und nichts Falsches sagen! Und nichts Böses! Und..."
Mehr fällt ihr so schnell dann doch nicht ein. Unruhig knabbert sie auf der Unterlippe, doch die Glieder entspannen sich wieder etwas.
"Ja", antwortet Mesherel mit warmer Stimme, "das verstehe ich." Sie streicht das dunkle, weiche Haar aus der Stirn. "Doch warum hast du Angst, wenn du ohne nachzudenken redest, es könnte ohne dein Wollen eine Lüge oder etwas Böses herauskommen? Ich begreife, dass du bisweilen nachdenken musst, um dich an etwas zu erinnern oder dir den genauen Wortlaut von etwas Gesagtem ins Gedächtnis zu rufen. Aber wenn es um andere Dinge geht, warum könnte eine rasche Antwort falsch sein, eine überlegte jedoch richtig?"
Die Hausherrin kann sich selbst nicht erklären, warum sie nun auf dieses Thema verfallen ist. Im Grunde interessieren sie gänzlich andere Dinge. Sie möchte mit dem Mädchen darüber reden, wie sehr sie sich wünscht, das Mädchen möge keine Angst in ihrem Hause oder gar vor ihr haben. Sie will ihr erklären, dass sie der kleinen Sklavin bei aller Distanz zwischen Herrschaft und Dienerschaft voller Wohlwollen gegenübersteht. Aber wie könnte sie das so direkt in Worte fassen? Es steht sicherlich allem entgegen, was Zulhamina kennt und würde sie vielleicht erschrecken. Außerdem weiß Mesherel ash-Yahun nicht, wie man über Gefühle in angemessener Form spricht. Und so wählt sie diesen umständlichen Umweg, in der Hoffnung, etwas damit ausdrücken zu können.
Für den Moment sieht es ihr allerdings nicht aus, als wäre ihr Erfolg beschieden. Denn wahrhaftig, Zulhamina muss schon wieder oder weiterhin aufgeregt nachgrübeln. Der vorige Herr war immer gar nicht recht erbaut, wenn ihr allzu ehrliche Dinge herausplatzten. Immer wieder schnappt sie nach Luft, um etwas zu sagen, hält sich dann aber jeweils noch im letzten Moment zurück.
"Ich weiß nicht genau, Herrin", erklärt sie schließlich kleinlaut und etwas verzweifelt. Allerdings liegt ihr das doch so auf dem Herzen, und zudem ist sie im Grunde ein wenig geschwätzig, was man ihr nur aberzogen hat, dass es doch aus ihr hervorsprudelt: "Mufat, der Herr, sagt, ich bin vorlaut. Und dann wird er immer sehr böse."
Etwas erschrocken über sich selbst, verzieht sie den Mund. Das wollte sie der Herrin eigentlich nicht auf die Nase binden!
Aber Zulhamina kann ja nicht ahnen, dass Mesherel sich längst ein Bild von ihrem früheren Herrn gemacht hat und dass sie nicht geneigt ist, diesem Kerl in irgendeiner Hinsicht Recht zu geben. So steht für sie fest, dass ein böser Mufat keineswegs eine unfolgsame Sklavin zur Ursache haben muss und dunkle Wolken des Grolls über diesen Mann, den sie in der kurzen Zeit auf dem Markt verabscheuen gelernt hat, ziehen über ihr Gesicht.
"Vorlaut? Ist das ein neues Wort für ehrlich?" Sie spricht mehr zu sich selbst als zu dem Mädchen, kennt sie diese Situation doch selbst von früher. Wer die Wahrheit spricht, dem verbietet man den Mund. "Sei nur so vorlaut, wie es dir passt, meine Kleine, solange du die Wahrheit sprichst und folgsam bist. Hier soll dich keiner dafür bestrafen."
Sie schreitet weichen Schrittes an einer Blumenrabatte vorbei und streift beiläufig über die Blütenblätter.
Wieder einmal ist Zulhamina sehr erstaunt darüber, wie glücklich sie es anscheinend mit ihrer neuen Herrschaft getroffen hat. Kaum kann sie glauben, dass es so etwas gibt! Und doch rast ihr Herz vor freudiger Aufregung. Die ständige unterschwellige Furcht scheint beim Anblick der feinsinnigen Herrin in die Flucht geschlagen, und alles vorsichtige Misstrauen liegt unter einem Berg von Hoffnungen und Träumen begraben.
Eifrig tappelt sie Mesherel nach, die Hände wieder etwas erhoben - beinahe, als steckten sie noch in dem Kettengeschirr.
"Zulhamina", setzt Mesherel wieder an, und ihr wird bewusst, wie selten sie diesen Namen bislang ausgesprochen hat, "beherrschst du die elementaren Regeln der Etikette?" Aufmerksam beobachtet sie das Gesicht des Mädchens und ist fast ein wenig erstaunt über die Aufregung, die sie darin liest.
Zunächst muss die Sklavin kurz überlegen, was sie unter diesem Wort eigentlich zu verstehen hat. Ihr gegenüber wurde es schließlich noch nicht allzu häufig fallengelassen. Dann aber platzt sie hervor: "Ja, Herrin! Dem Herrn war das sehr wichtig!" Ernst nickt sie zur Bekräftigung.
Erst dann bekommt Zulhamina etwas Gelegenheit zum Nachgrübeln, was die Herrin wohl mit ihr vor haben mag. Ob die Herrin oft Gäste hat? Aber in einem edlen Haushalt braucht man ja auch gutes Benehmen.
"Das ist schön." Mesherel lächelt in die gleißende Sonne. Wie kommt es, dass in ihr solche Ruhe und Wärme ist, solche Friedfertigkeit und Verträumtheit? Dass sie hier im Garten spazieren kann, ohne beständig an all die Verpflichtungen denken zu müssen, die über sie herfallen werden, sobald sie ihr Arbeitszimmer betritt? Fast scheint es, als läge es an der Gegenwart der kleinen Sklavin, die im Herzen der Hausherrin etwas zum Klingen gebracht hat.
Ein Gedanke keimt in Mesherel. "Wie würde es dir gefallen, noch etwas mehr Übung darin zu bekommen?"
Im ersten Moment wirkt Zulhamina fast ein wenig erschrocken. Mufats Erziehungsmethoden waren meist nicht besonders angenehm, obgleich die Sklavin sie als effektiv bezeichnen würde. Sie mochte ihn nie gern, aber Respekt hat er sie gelehrt.
Auf die Frage hin würde sie sich nie einen Widerspruch erlauben, da sie nicht glaubt, sie wäre ernsthaft gestellt worden. Möglicherweise ist das ja schon eine erste Prüfung ihres Benehmens. Immerhin strahlt die Herrin so viel mehr Wärme als Mufat aus, dass es Zulhamina nicht gar zu schwer fällt, zu antworten: "Gut, Herrin." Ehrlich eifrig bemüht klingt sie dabei.
Die Hausherrin nickt, wenngleich sie sich sicher ist, dass das Mädchen aus reinem Gehorsam ebenso geantwortet hätte, wäre sie gefragt worden, ob sie den Rest ihres Lebens in der Wüste Khom verbringen wolle. Der Eifer in Zulhaminas Stimme überzeugt Mesherel immerhin davon, dass die Kleine sich ernsthaft bemühen wird, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. "Nun, das ist doch wunderbar. Dann wird es dich freuen zu hören, dass du von nun an öfter Gelegenheit dazu haben wirst."
Sie schweigt sich über ihren Entschluss noch einige Herzschläge lang aus, hat er doch noch nicht ganz und gar Form in ihrem Kopf angenommen. Aber je mehr sie darüber nachdenkt, desto besser gefällt er ihr.
Zulhamina dagegen lächelt nur etwas unsicher und senkt ein wenig den Blick. Es fällt schwer, sich über etwas noch Ungewisses zu freuen, aber sie spürt doch zunehmend, dass diese neue Herrin wirklich ganz anders sein muss als Mufat. Etwas verwirrend, da es gegen alle Gewohnheit ist, aber es weckt auch die Neugier des Mädchens.
Mit zaghaftem Augenaufschlag schaut sie wieder zu Mesherel auf, ohne den Kopf zu heben. Inzwischen hat sie auch wieder ihre abwartende Bereitschaftshaltung mit den Händen vor dem Schoße angenommen.
Die Hausherrin wendet den Kopf, scheint etwas am Himmel zu suchen, dann blickt sie wieder das Mädchen an. Schließlich hält sie im Gehen inne. Die beiden haben einen guten Teil des Gartens durchquert und sind dabei ein Stück vom Haus fortgeraten, stehen jetzt bereits unter einigen Bäumen, welche die Wiese auch auf dieser Seite begrenzen.
Sie lächelt nicht, nicht wirklich, aber Milde durchstrahlt ihr Antlitz. "Weißt du, welche Aufgaben eine Leibdienerin zu verrichten hat, Zulhamina?"
Bei diesem Wort bekommt die kleine Sklavin große Augen. So eine vertrauensvolle Aufgabe soll sie bekommen!? Allerdings sind ihre Vorstellungen nur recht vage, da es bei Mufat eine solche Stellung gar nicht gab. Daher überlegt sie, was sie denn weiß. "Ich glaube, sehr viel, Herrin. Bedienen und beim Anziehen helfen und so?" Fragend legt sich der Kopf ein wenig zur Seite.
Mesherel nickt. "Richtig, solche Dinge und noch einiges mehr. Du wirst bei Reisen mit mir kommen und bisweilen auch, wenn ich in geschäftlichen Dingen unterwegs bin. Aber diese Aufgabe verlangt größte Diskretion, verstehst du?" Dies ist etwas, wobei die Hausherrin nur ungern anderen Leuten vertraut, auch nicht, wenn sie Zuneigung zu ihnen hegt. Man weiß nie, welches Wissen nach außen dringt.
Natürlich vermag Zulhamina kaum eine etwas konkretere Ahnung darüber zu bilden, was die Herrin denn damit meint. Nicht nur, weil sie die Tätigkeiten und Geheimnisse Mesherels noch nicht kennt. Dennoch nickt sie wieder einmal eifrig, denn sie will sich ehrlich nach Kräften bemühen, die Herrin zufriedenzustellen.
"Ja, Herrin", erklärt sie daher und traut sich nach kurzem Päuschen doch einmal zu einer vorsichtigen Gegenfrage: "Was, bitte, ist Disrezion?"
Ein bezaubertes Lächeln hellt Mesherels Gesicht auf, und ihre Augen leuchten in aufwallender Zuneigung. Beinahe ist sie versucht, das Kind ob dieser wunderbaren naiven Frage stürmisch an sich zu reißen und zu umarmen.
Selbstverständlich hält sie sich zurück und hebt das Antlitz wieder der Sonne entgegen, die nun ein wenig matter durch die Bäume scheint. "Das ist, wenn man Geheimnisse und auch andere Dinge für sich behält, auch wenn man nicht weiß, was daran so interessant sein soll. Es bleibt dann unter den Leuten, die darüber gesprochen haben und niemand sonst erfährt davon."
Sie lacht auf. "Glaube nur nicht, dass meine Geschäfte etwas sonderlich Aufregendes oder Spannendes sind. Dennoch ist es von Vorteil, wenn nicht alle Welt über die Einzelheiten Bescheid weiß, da dies meinen Absichten schaden könnte."
So recht versteht Zulhamina nicht, warum überhaupt jemand etwas Uniteressantes weitererzählen sollte. Und wen hätte gerade sie dafür! Doch um so einfacher erscheint die Aufgabe. Bestimmt soll sie nur die alltäglichen Sorgen der Herrin anhören. Aber nein! Das wäre ja nicht unwichtig!
Nun doch neugierig geworden, lächelt sie die Herrin erwartungsvoll an und nickt für alle Fälle mal verständig.
Zulhaminas Kopfbewegung deutet Mesherel als Zustimmung, was ihr ein weiteres Lächeln enlockt. "Möchtest du das alles also? Du musst nicht, ich lasse dir die freie Wahl, denn es wäre für mich kaum von Vorteil, jemanden so nah bei mir zu haben, dem das nicht genehm ist." 'Schließlich fühlt man das auch...'
Selbstverständlich geht die Hausherrin nicht davon aus, dass die kleine Sklavin sich anders entscheiden wird, aber eine winzige, bange Furcht besteht da doch - und sie spürt, wie gern sie das Kind um sich haben möchte. Wäre es nicht schön, durch sie stets ein Lächeln tragen zu können?
Dass diese Entscheidungsüberlassung aus Eigennutz heraus entsteht, leuchtet Zulhamina als Argument ein - und nur so vermag sie diese überhaupt als ernsthaft gestellt annehmen.
In der Tat erfüllen sie die Aussichten mit einer ähnlich hochgesteckten Hoffnung wie bei der Herrin. Wohl hat sie zu gehorchen gelernt und wie man sich damit viel Ärger ersparen kann. Aber dies hier verspricht etwas ganz Neues zu werden. Sie hat sich insgeheim immer eine Herrin gewünscht, die ihre kleine Sklavin auch ein wenig mag.
Daher nickt sie eifrig und erwartungsvoll lächelnd, zu aufgeregt, um ihr übliches 'Ja, Herrin' herausbringen zu können.
Ungehemmte Freude bricht sich in dem reifen Antlitz Bahn, findet ihren weiteren Ausdruck aber nur in einer sanften Handbewegung, mit der Mesherel über Zulhaminas dunkles Haar streichelt. "Sehr gut. Dann werden wir dich aber neu einkleiden müssen. Folg mir, Kind.
" Die Hausherrin setzt sich in Bewegung, kehrt zum Haus zurück und umrundet es, bis sie vor der Treppe an der Vorderseite steht. Raschen Fußes eilt sie hinauf, die Sklavin immer hinter sich, und lässt sich die schwere Türe öffnen.
Im angenehm kühlen Flur wendet sie sich nach links und betritt durch eine Tür einen weiteren Gang. Hier lässt sie eine kleinere Holztür links liegen, öffnet aber die zweite, hinter welcher sich ihr Zimmer befindet. Groß ist es und prunkvoll ausgestattet, auf für die Dame untypisch verschwenderische Weise und damit von ihrem Arbeitszimmer völlig verschieden.
"Komm herein, Kind."
Brav tappelt Zulhamina die ganze Zeit hinterher. Nur kurz fragt sie sich, was eigentlich mit den Ketten passieren soll, die im Garten zurückbleiben. Aber die Herrin wird das schon wissen, und außerdem ist sie viel zu neugierig, was sie für neue Sachen bekommen soll.
Beeindruckt schaut sie sich im Gemach der Herrin um, wobei sie aber manierlich mitten im Raume stehen bleibt, statt herumzurennen.
"Dann wollen wir mal sehen", murmelt Mesherel und durchschreitet einen Vorhang zu ihrer Linken, der in das wesentlich kleinere Zimmer führt, welches für eine Zofe, eine Gesellschafterin oder eine andere Vertraute gedacht und eingerichtet, derzeit jedoch unbewohnt ist. Nur durch ein sehr kleines Fenster, das auf den Treppenabsatz hinausweist, fällt Licht hinein, also entzündet Mesherel mit raschen Handgriffen eine schmucklose Öllampe auf einem Nachttischchen neben dem schmalen Bett. In diesem diffusen Licht beginnt sie, sich in eine Kleidertruhe zu vertiefen.
Es ist lange her, dass sie eine Leibsklavin hatte, und sie ist sich nicht recht darüber im Klaren, was sich hier überhaupt noch an Tragbarem finden wird. So ist bald nur noch ihr gebeugter Rücken zu sehen, der sich immer tiefer in die Abgründe des zum Bersten gefüllten Möbels zu neigen scheint. Mit einer wiederum gänzlich untypischen Ordnungslosigkeit wirft sie ein Kleidungsstück nach dem anderen auf das Bett und ist sich gar nicht der Tatsache bewusst, dass es eigentlich nicht Aufgabe der Hausherrin, sondern eher die einer Dienerin wäre, sich hierum zu kümmern.
Verschiedenstes häuft sich nun auf der Liegestatt: diverse Tücher, Röcke in verschiedenen Längen, bunte Schleier, Westen, weiche Schuhe und vielerlei mehr - alles zwar nicht mehr neu, doch sauber und in gutem Zustand.
Zulhamina findet im Grunde nichts Ungewöhnliches dabei, dass die Herrin selbst aussuchen möchte, was ihre Sklavin zu tragen hat. Andererseits kann sie kaum mit ansehen, wie diese sich so mühevoll verbiegt, statt sich alles bequem sitzend vorführen zu lassen. Mit halb erhobenen Händen steht sie hinter ihr und zuckt immer wieder leicht, als wolle sie hilfreich eingreifen. Natürlich traut sie sich nicht.
Um so beeindruckter blickt sie zu den vielen schönen Kleidungsstücken. Bestimmt stammen sie von einer Vielzahl von Sklavinnen, außer die Herrin mag so sehr die Abwechslung. Sogleich wird deren Gewandung daraufhin gemustert, ob sie von der gestrigen wesentlich abweicht.
Endlich richtet die Hausherrin sich wieder auf und wendet sich um. "Nun weiß ich natürlich nicht so recht, was dir passt", sinniert sie und mustert das Mädchen von oben bis unten. "Am besten probierst du einige Dinge durch... Soll ich jemanden holen, der dir beim Ankleiden behilflich ist, oder möchtest du das lieber alleine tun?" Ihr dunklen Augen ruhen ernst auf dem jungen Antlitz Zulhaminas.
Jene aber ist nun wieder ganz verdattert. Dass es der Herrin wohl doch nicht so wichtig ist, was sie trägt, kann sie ja noch verstehen. Bestimmt ist die Stellung, die Zulhamina bekommen soll, gar nicht so bedeutend, wie sie es zunächst verstanden zu haben geglaubt hat.
Dass sie aber eine eigene Zofe bekommen soll - und sei es nur für diese eine Anprobe - geht über Zulhaminas Fassungsvermögen, stand sie doch bei Mufat niedriger als der Hofhund und empfand dies als ganz natürlich.
"Ich... Sind denn... ganz komplizierte Gewänder dabei...?" fragt sie verunsichert.
Die Frage entlockt Mesherel ein Lächeln. "Das nun nicht gerade. Aber es geht rascher, wenn jemand einem die Kleider anreicht, die man probieren möchte, und zudem mag man es mit Haken und Ösen leichter haben, die außerhalb der Reichweite der eigenen Hände liegen. Aber ich sehe, du scheinst dabei lieber allein zu sein.
Schau, probier mal das an" - sie hebt eine weiche zartrote Bluse mit langen ausgestellten Ärmeln und eine schwarze, bestickte Weste hoch und fügt eine weiße Pluderhose hinzu; kritisch mustert sie die Farben - "und dann sehen wir, ob es dir passt. Wie etwas aussieht, weiß man schließlich erst, wenn die Person es trägt, für die es bestimmt ist. Wenn es gar nicht geht, dann versuchen wir es mit etwas anderem.
Dann noch Schuhe..." Sie deutet auf ein paar anschmiegsame rote, wiederum mit Stickereien verzierte Schühchen auf dem Boden, die für sehr zierliche Füße geschnitten sein müssen.
"Also, ich lasse dich für den Augenblick allein." Sie kehrt dem Mädchen den Rücken, nachdem sie ihr die Stücke in die Hände gedrückt hat, und streicht den Vorhang zu ihrem eigenen Zimmer beiseite. Da sie selbst großen Wert auf Privatsphäre legt, ist es für sie fast selbstverständlich, das Kind beim Auskleiden allein zu lassen, wenngleich sie weiß, dass es die Frauen im Gemeinschaftsschlafraum zwangsläufig anders halten und daher kaum Scham voreinander haben.
Für die Hausherrin selbst bedeutet dieses Auswählen und Kleiden ein fast kindliches Spiel. Wie lange ist es her, dass sie selbst sich auf dem Basar ein schönes Gewand erstanden hat?
Die Herrin mag wohl nicht so lange warten, vermutet Zulhamina. Um so mehr will sie sich beeilen!
Prüfend hebt sie die einzelnen Teile höher. Auch sie hat ihre Bedenken, ob die Farben zusammenpassen, aber sie soll ja erstmal nur anprobieren. Und das geht sie ja auch nichts an, findet sie. Auf jeden Fall sind es schöne Sachen.
Kurz sucht sie noch nach den Haken und Ösen. Im ersten Moment musste sie dabei eben an ganz andere Utensilien denken wie zum Beispiel den kleinen Ring vorn an ihrem Halsband. Nun aber schmunzelt sie über sich selbst und schlüpft eilig in die Kleidung, die gut über ihre leichten Sachen drüberpasst.
Währenddessen streicht die Hausherrin gedankenverloren durch ihr Gemach, rückt hier eine Vase zurecht und arrangiert da ein paar Blumen neu, glättet ihre Bettdecke und wirft einen Blick in einen Wandspiegel.
Sie ist richtig gespannt, wie Zulhamina aussehen wird, als sei diese dabei, ein kostbares Prunkgewand zu probieren anstatt dieser doch recht einfachen Sachen, und wiederum belächelt sie sich selbst.
Die Bluse ist vielleicht etwas reichlich, wobei sie durch die dagegen eher knappe Weste recht gut zusammengerafft wird. In Zulhaminas Augen ist das jedenfalls absolut zumutbar. So sehr verbiegen wird sie sich schon nicht, und wer gelernt hat, sich in Fesseln zu bewegen, der wird ja wohl mit einer strammen Weste auskommen! Die langen Ärmel krempelt sie einfach um, derweil sie Mesherel schon durch den Vorhang folgt.
"Ich bin fertig, Herrin", kündigt sie sich halblaut an, da sie feststellt, dass jene gerade nicht mit anderem allzu beschäftigt wirkt. Unwillkürlich streckt sie die Arme ein wenig von sich, falls die Herin sie begutachten möchte.
Mesherel wendet sich dem Mädchen zu und mustert es von oben bis unten. Schließlich spricht sie aus, was Zulhamina schon gedacht hat: "Ein wenig weit, die Bluse, nicht?"
Sie schweigt einen Moment. "Sonst aber sehr hübsch, die Farben harmonieren besser als ich dachte, und es steht dir auch sehr gut. Fühlst du dich denn auch wohl darin? Oder hast du etwas anderes gesehen, was dir besser gefallen würde?"
Tatsache ist, dass die kleine Sklavin nicht eben übermäßig elegant wirkt, aber durchaus einen hübschen, wenn nicht gar salonfähigen Anblick bietet.
Verlegen legt Zulhamina einen Zeigefinger auf die Lippen - etwas, das sie wohl auch geübt ist, da sie nicht in Konflikt mit dem Schleierchen darüber kommt.
"Die anderen Sachen hab ich gar nicht so genau angeschaut", muss sie gestehen. "Aber es geht schon", schiebt sie eilig nach, wobei sie sich jedoch nicht verkneifen kann, die Schultern ein wenig unbehaglich zu recken, weil die Weste leicht kneift. Ob da noch eine größere in Schwarz war, die der Herrin auch gefallen würde?
"Na?" zweifelt die Hausherrin, da ihr Zulhaminas ein bisschen mühsames Schulterspiel nicht entgeht. "Es muss ja nicht, wenn es auch bequemer geht, nicht wahr? Lass uns doch nach etwas weniger Einengendem sehen, du wirst ja auch noch wachsen." Sie legt eine Hand auf die Schulter des Mädchens und geleitet sie energisch wieder in das kleine Zimmer zurück.
"Ja?" Hups, das ist Zulhamina herausgerutscht. Auch wenn sie nicht ausgewachsen sein sollte, würde sie ja nicht innerhalb der nächsten Stunden wachsen. Aber Widerworte will sie ja nun auch nicht geben!
Aufgeregt blinzelnd, kehrt sie also mit der Herrin in die Kammer zurück und schaut überfordert auf die verstreuten Kleidungsstücke. Erst nach ein paar Momenten wird ihr klar, dass sie ja nach einer größeren schwarzen Weste suchen könnte.
Ganz im Rausch der herrlichen Unordnung von hübschen Kleidern wühlt sich Mesherel erneut durch den ganzen Berg und ist ein ums andere Mal entzückt von den Dingen, die sie entdeckt, als hätte sie sie nicht schon zuvor an anderen jungen Frauen gesehen. Allein, eine größere schwarze Weste kann sie auf den ersten Blick nicht ausmachen und so sucht sie weiter, als gälte es das Mädchen vor dem Erfrieren zu retten.
Die kleine Sklavin indes steht ziemlich hilflos dabei. Aufgeregt schaut sie zu und müht sich zu merken, wo die dunkelsten Westen gerade herumliegen und vielleicht halb begraben sind. Etwas anzurühren getraut sie sich aber nicht, und sich melden würde sie auch erst bei einer wirklich schwarzen Weste. Dass ihrer Herrin das möglicherweise gar nicht so wichtig ist, kommt ihr nicht einmal in den Sinn. Wenn die Herrin etwas tut, denkt sie sich ganz bestimmt auch etwas dabei!
"Oder das vielleicht?" Was Mesherel hoch hält, ist keineswegs eine schwarze Weste. Es handelt sich um ein rotes Kleidungsstück, eine Art Tuch, das den Rücken bedeckt und kreuzweise - zwei schmale Streifen Stoff führen vom Rücken aus über die Schultern sowie zwei breitere über den Brustkorb - mit einer vierstrahligen Spange vor der Brust geschlossen wird. Es lässt mehr Lücken offen als die Weste, ist aber dehnbarer und passt sich dem Körper geschmeidig an.
"Möchtest du es probieren?"
Einen Zeigefinger an den Lippen, begutachtet Zulhamina das seltsame Stück und versucht sich vorzustellen, wie das anzuziehen ist und angezogen aussieht. "Über die Bluse oder ohne sie?" fragt sie unsicher. Dabei hat sie keine eigenen Vorlieben, sondern möchte es nur wissen und der Herrin rechtmachen.
Da muss die Hausherrin selbst kurz grübeln. Sie versucht, es sich vor ihrem geistigen Auge vorzustellen. "Nun, drüber, denke ich, aber nur, wenn es nicht zu warm ist. Die Bluse ist leicht, aber der Stoff hiervon liegt eng an. Nun, zieh einmal die Weste aus, dann helfe ich dir beim Anziehen, das ist wohl alleine nicht so einfach, wenn ich es mir so betrachte."
Sie dreht das Kleidungsstück abwartend in den Händen und untersucht es auf Löcher.
"Ja, Herrin." Zulhamina schlüpft aus der Weste, wobei sie Beweglichkeit beweist. Sorgsam zusammengefaltet plaziert sie das gute Stück auf der Liege. Ob die Herrin es 'zu warm' findet, dass Zulhamina auch die Bluse ausziehen soll? Scheu hätte die Sklavin wohl keine, sich vor ihrer Herrin barbrüstig zu zeigen. Aber davon hat jene nichts gesagt, und das seltsame kleine Tuch ist ja nicht wärmer als die Weste.
So wendet sich Zulhamina der Herrin zu und breitet bereitwillig die Arme aus, in der Annahme, so hilfreich zu sein.
Nicht wirklich geübt in dieser Tätigkeit, streift Mesherel dem Mädchen das Kleidungsstück über. Zwei Streifen Stoff über die Schultern... und jetzt die anderen zwei vorne zusammenführen - nicht ganz einfach. Schließlich jedoch gelingt es, die Schließe über der Brust zuschnappen zu lassen, und es scheint alles richtig zu sein.
"Lass dich anschauen... was meinst du? Magst du dich in einem Spiegel anschauen?"
So sehr geradezu umsorgt und gefragt zu werden, ist für die kleine Sklavin wirklich etwas ganz Neues! Oh, es fühlt sich wundervoll an! Vielleicht möchte die Herrin ja ein klein wenig mit ihrer Neuerwerbung angeben - falls man das mit ihr denn kann. Bestimmt gibt es noch eine andere Erklärung.
Scheu nickt Zulhamina. Im Spiegel hat sie sich überhaupt noch selten angesehen. Eher schon mal im Wasser eines Eimers oder dergleichen.
"Dann komm mit in mein Zimmer." Sanft, aber bestimmt legt sich die Rechte der Hausherrin auf der kleinen Leibdienerin Schulter und dirigiert sie hinüber zum Vorhang und hindurch. In ihrem Gemach findet sich ein mannshoher Spiegel aus silberhinterlegtem Glas, in dem Zulhamina Gelegenheit findet, sich zu betrachten.
Scheu lächelnd den Kopf gesenkt, lässt sich Zulhamina führen. Dann macht sie sich langsam mit ihrem Abbild vertraut. In Selbstbetrachtungen ungeübt, dreht sie sich zögerlich ein wenig hin und her und kommt sich bereits dabei schon ungeheuer eingebildet vor. Steht ihr das zu? Kurz versichert sie sich mit einem ziemlich versteckten Seitenblick, dass die Herrin sich daran nicht stört, dann blickt sie wieder in den Spiegel und lächelt sehr geistesabwesend.
Mesherels Blick ruht ebenfalls auf dem Spiegel, wenngleich sie genauso gut das Mädchen an sich betrachten könnte, aber es scheint dem Menschen angeboren zu sein, dass ein Spiegel, auch wenn man gar nicht sich selbst begutachten will, zum Hineinschauen verlockt.
Ihr gefällt gut, was sie da sieht - welch Wunder, hat sie es doch schon zuvor gesehen und für überaus ansehnlich befunden - und sie dreht und wendet den Kopf wie die Verkäufer im Basar, wenn sie einem ein Kleidungsstück aufschwatzen wollen und dabei besonders sachkundig tun. "Du siehst sehr hübsch aus, Zulhamina", verkündet sie. Damit wäre die Kleiderwahl wohl besiegelt.
Geschmeichelt lächelt Zulhamina, wobei sie den Kopf verschämt geneigt hält. Sie kann sich nicht entsinnen, schon einmal so ein Kompliment bekommen zu haben. "Bestimmt liegt es an der Kleidung, Herrin", murmelt sie verlegen. Die Hände halten wieder einander vor dem Schoße umklammert.
"Ach, nicht so bescheiden, meine Kleine. Hat dir noch nie jemand gesagt, was für ein hübsches Geschöpf du bist? Also, hebe den Kopf hoch und hab Selbstvertrauen."
So jung fühlt sich die Hausherrin, dass sie wirklich nur noch staunen kann. Die Anwesenheit des Mädchens ist wie ein Jungbrunnen, so kommt es ihr vor.
Erst schüttelt Zulhamina den Kopf, doch dann gehorcht sie und hebt ihn ein wenig an, was ihr nicht besonders leicht zu fallen scheint. Doch plötzlich kommt ihr noch etwas in den Sinn: "Bei der Versteigerung hat der Herr Mufat doch sowas gesagt!" sprudelt sie hervor. "Aber bestimmt, weil ich dann teurer bin."
Nachdenklich runzelt sie die Stirn. Die Herrin wird sie doch nicht gleich weiterverkaufen wollen?
"Das mag sein", antwortet die Hausherrin sanft. "Aber nur weil er es gesagt hat, damit du dich besser verkaufst, heißt das nicht, dass es nicht wirklich stimmt, verstehst du?"
Sie steht sinnierend da. "Du bist also auch zufrieden mit dieser Wahl?"
Noch überlegt Zulhamina die Erläuterung und ob sie darauf bejahend antworten kann, da wird eine Frage gestellt, bei der sie sich auch bei Nichtgefallen zu einer Bestätigung verpflichtet sähe. "Ohja, Herrin!" Tatsächlich klingt die Antwort zu fröhlich, als dass sie allein auf das Pflichtbewusstsein einer extrem gut erzogenen Sklavin zurückzuführen wäre.
Ein strahlendes Lächeln überzieht Mesherels Gesicht und für einen allzu flüchtigen Moment drückt sie das Mädchen an sich, legt ihre Wange an die der Jüngeren. Nur sehr kurz.
Sie richtet sich wieder zur vollen Größe auf und glättet das Gewand, in das sie gehüllt ist, und das von den weiblichen Formen ihres Körpers nur wenig erahnen lässt, ganz anders als Zulhaminas neue Kleidung.
"Natürlich wird das nicht das einzige sein, was du tragen kannst. Schließlich musst du nicht jeden Tag in den gleichen Kleidern umherlaufen. Aber es ist ein guter Anfang und es steht dir frei, jederzeit etwas anderes aus der Truhe auszuwählen und die anderen Sachen in der Waschküche reinigen zu lassen.
Und wo wir dabei sind..." Sie dreht sich um. "Wir sollten wohl die Truhe aufräumen."
Ein Augenblickchen steht Zulhamina ganz verdattert herum. So lieb hat sie noch niemand behandelt - zumindest erinnert sie sich nicht daran. Die Herrin scheint sie ja richtig zu mögen! Selig lächelnd verlieren sich ihre Gedanken im Glücksgefühl.
Doch Mesherels Bewegung reißt sie aus den unkonkreten Träumereien heraus. "Oh!" Schon meint sie, vorauseilen zu müssen, da das Aufräumen doch zweifellos ihre, nicht der Herrin Aufgabe ist. Aber möglicherweise will jene ihr ja erst einmal zeigen, was wo hingehört. Daher tappst sie etwas unsicher neben ihr einher.
"Also, dann wollen wir doch mal sehen..." Ein bisschen ratlos hebt die Hausherrin ein paar Kleidungsstücke hoch und lässt die Arme wieder sinken. "Nun weiß ich nicht genau, wie du all das haben möchtest... schließlich wirst du von nun an hier wohnen und sollst es so ordnen, wie es dir am liebsten ist." Fragend blickt Mesherel das Mädchen an.
Die kleine Sklavin beobachtet jede Bewegung aufmerksam. Die Worte versteht sie so, dass sie sich hier zurechtfinden soll und deswegen eine eigene Ordnung haben darf. Erst jetzt wird ihr recht bewusst, dass dieses Zimmer wohlmöglich ihres werden soll. Ungläubig schaut sie sich um. Zweifellos würde es Mesherel sehr verwundern, was in dem runden Köpfchen gerade alles vorgeht.
Doch nachdem Zulhamina Blicke auf das Bett und an einige Stellen der Wände geworfen hat, beginnt sie eilig, Kleidungsstücke aufzuheben und sorgsam zusammenzulegen. "Ich verstehe, Herrin", erklärt sie, obwohl sie sich dabei durchaus ein wenig irrt.
Mesherel lächelt schweigend und beginnt ihrerseits, Kleider zu falten. Das hat sie lange nicht getan, und es verwundert sie ein bisschen, wie selbstverständlich sich diese Tätigkeit anfühlt.
"Du musst es dir nicht sofort überlegen, natürlich", hebt sie dann wieder zu sprechen an. "Denn du wirst ja viel Zeit haben, dir alles so einzurichten, wie es dir angenehm erscheint. Es besteht auch die Möglichkeit, die Einrichtung zu ändern, wenn du es möchtest. Du kannst eine Kommode haben anstatt der Truhe, das wäre übersichtlicher. Scheu dich nicht, Wünsche auszusprechen. Ich möchte, dass du dich wohl fühlst." Ihre letzten Worte sind sehr ernst ausgesprochen, aber sie sieht das Mädchen dabei nicht an.
Ziemlich verwirrt hält Zulhamina inne und schielt zu der Herrin hinüber, die ihre Arbeit offenbar zu teilen beabsichtigt. Und dann diese unglaublichen Angebote, diese Freigiebigkeit! Dass hier so manches anders ist als bei Mufat, hat die Sklavin ja schon lange begriffen, aber die Herrin muss unendlich viel reicher sein, als sie es sich vorstellen kann. Und es muss eine wirklich sehr besondere Stellung sein, die sie Zulhamina zukommen lassen will. Was soll sie nur dazu sagen?
Langsam und schwer atmend, versucht Zulhamina, ihre Aufgabe fortzusetzen. Ihr Herz pocht so aufgeregt, dass man sie in diesem Rhytmus erzittern sehen kann. "Ich... dadanke, Herrin..."
Die Hausherrin hält inne. Sie sieht das Mädchen an und erschauert ob der so offensichtlichen großen Unsicherheit. Es scheint ihr keineswegs reine Freude zu sein, welche das Kind bewegt.
Sie beugt sich herab, so dass die beiden Frauen auf Augenhöhe sind. "Zulhamina... ist denn... Das ist alles ein bisschen viel für dich, nicht wahr? Fürchtest du dich vor dem, was du hier nicht kennst?"
Schüchtern, fast fahrig nickt die kleine Sklavin, dann aber schaut sie der Herrin beinahe direkt in die Augen, was schon ein gewisses Maß an Zutrauen erweist. "Ja, Herrin... Waswas muss ich denn dafür alles machen?" Zwischendurch schlägt sie doch immer kurz die Augen nieder, weil sie sich sonst so aufmüpfig vorkommt.
Innerlich noch immer ein wenig aufgewühlt, versucht Mesherel, ihre Gedanken zu ordnen. "Nun... du wirst mir beim Ankleiden behilflich sein, wenn es sich um komplizierte Kleidung handelt, die bei festlichen Anlässen zu tragen ist... und mich begleiten, wenn ich den Basar besuche, mir Gesellschaft leisten und wohlmöglich so manche Nachricht überbringen... Aber das hat noch Zeit", fügt sie schnell hinzu, denn gar zu bald möchte sie das Mädchen nicht in die Stadt schicken. Sicher wäre das eine gar zu große Herausforderung - und vielleicht auch eine Versuchung - für die scheue Kleine.
"Außerdem wird es Zeiten geben, in denen ich möchte, dass du meinem Bruder zu Diensten stehst, wenn ich alleine außer Hauses bin. Er wird dich freundlich behandeln, sei darüber unbesorgt", erklärt sie, sich an die Unsicherheit Zulhaminas im Gemach des Hausherrn erinnernd.
Jene lauscht mit immer größer werdenden Augen, derweil ihre Hände einander vor dem Schoße halten. So viele Dinge! Das spricht nicht nur für ein hohes Vertrauen in die neue Sklavin. Es macht diese auch etwas unsicher, ob sie alles bewältigen kann. Allein aus dem Haus? Wo sie sich doch immer so leicht verläuft! Bestimmt sollte sie das ehrlich einwenden, aber andererseits möchte sie die Herrin ja nicht enttäuschen. Zumal es sicher sehr interessant sein kann, allein durch die Straßen zu gehen. Und der Herrin beim Ankleiden zu helfen, stellt sich Zulhamina wunderschön vor.
So wechselt ihr Ausdruck schnell zwischen augenglänzernder Vorfreude, Ergriffenheit und leichter Sorge. Die Beunruhigung über den brummeligen alten Hausherrn wird ja glücklicherweise schnell eingeschläfert - einstweilen.
"Ja, Herrin", erwidert Zulhamina brav und knickst ein wenig dazu. "Danke."
Sanft lächelt die hochgewachsene Frau auf das Mädchen herab. Ja, sie ist sicher, dass ihre Entscheidung, das Mädchen zu erwerben, keine falsche war.
"Dann lass uns gleich mit der ersten Aufgabe beginnen. Es sind heute Abend Gäste im Haus, und ich möchte gerne ein Kleid anziehen, das ich erst vor wenigen Tagen erstanden habe. Es ist nicht ganz einfach anzuziehen und du wirst mir sicher eine große Hilfe sein."
Sie geht zu ihrem Schrank und holt ein auf den ersten Blick recht kompliziertes Kleid heraus. Als sie es auf ihrer Schlafstatt ausbreitet, wird jedoch offenbar, dass es nicht in einem Stück genäht ist, sondern sich aus mehreren Teilen zusammensetzt: Zum ersten ist da eine raffinierte Bluse aus blau glänzendem Stoff mit langen Ärmeln, die sich vom Ellbogen aus in dreifach übereinander liegenden Rüschen fortsetzen und deren hoher steifer Kragen den Halsansatz hinter einem schwarzen Spitzenband verbirgt.
Als Zweites ist ein enger Rock anzulegen, der selbst der Hausherrin bis über die Knöchel reichen wird. Auch dieses Stück ist blau, doch nicht glänzend, sondern matt schimmernd, da aus feiner Seide, und außerdem mit unzähligen zartweißen Blüten bestickt, die sich gleich Ranken über das Gewebe ziehen. Der Saum ist gefältelt und bildet eine passende Ergänzung zu den Rüschen des Oberteils.
Zum Dritten folgt ein schwarzes Tuch, wiederum glänzend und mit silbernen Borten versehen, welches offenbar dazu gedacht ist, in mehreren Schritten um den Körper geschlungen zu werden, ohne dabei die Bewegungsfreiheit zu mindern.
Zuletzt legt Mesherel einen Gürtel aus filigran geschmiedeten Blüten und Blättern aus Silber dazu. "Ich habe es erst einmal getragen, eben als ich es kaufte. Wir wollen sehen, ob es noch passt."
Wieder umspielt ein Lächeln ihre Lippen und sie entledigt sich ihres schlichteren Gewandes ohne Scheu vor dem Mädchen. Auch ihre Schuhe streift sie ab. Im weißen, schmucklosen Unterkleid steht sie da und öffnet die Arme.
"Zunächst die Bluse. Lass sehen, ob deine Hände so geschickt wie hübsch sind!"
Man kann es der kleinen Sklavin deutlich ansehen, als wie ehrenvoll sie diese Aufgabe empfindet. Ja, sie freut sich richtig darauf, der lieben Herrin so nah und so dienlich sein zu dürfen!
Beim Anblick der Gewandungsteile staunt das Mädchen nicht wenig. So edlen Stoff hat Mufat wohl hin und wieder verkauft, aber nie selbst getragen! Ganz verliebt ist sie in den seidigen Glanz! Verzückt lächelnd hält sie die Hände vor dem Halse zusammen.
Doch auch, die Herrin im Hemde sehen zu dürfen, kommt ihr wie eine Auszeichnung vor. Verschämt senkt sie den Blick, wie es sich gehört.
Dann beeilt sie sich, jener das Oberteil hinzuhalten, wobei sie sich ein wenig streckt, um den Größenunterschied zu überspielen.
Das süße Lächeln der Kleinen empfindet die Hausherrin als Liebkosung der Sinne, wendet ihre Gedanken aber rasch wieder dem Kleid zu, das ihr entgegengehalten wird.
Um es dem Mädchen ein bisschen leichter zu machen, beugt Mesherel sich ein wenig vor, streckt die schlanken Arme durch die weichen Ärmel und schlüpft dann mit dem ganzen Oberkörper hinein. Dann richtet sie sich auf, zupft den Stoff an Schultern und Brust zurecht - schön kühl und glatt fühlt er sich auf der Haut an - und kehrt Zulhamina den Rücken zu, damit diese die Haken und Ösen am Rücken schließen kann.
Weiterhin kann jene ihr Staunen nicht verbergen. Am liebsten würde sie jetzt den Stoff streicheln, aber da wäre die Herrin bestimmt böse! Eifrig will sie um diese herumtappeln, doch die kommt ihr ja schon entgegen.
Schnell beginnt sie, die Bluse zu schließen, doch schon nach einigen Augenblicken fällt ihr auf, dass sie eines der kleinen Häkchen übersehen hat. "Oh!" entfährt es ihr, und hastig öffnet sie alles wieder, um dann noch einmal von vorne anzufangen.
Da Mesherel nicht sieht, was da an ihrem Rücken vor sich geht, und nur das stete Krabbeln der Finger am Stoff spürt, wendet sie den Kopf ein wenig, kann aber weiterhin nichts erkennen. "Geht es denn?"
Um ihre Haare außer Reichweite der Haken zu bringen, greift sie mit der Linken nach den schwarzen Strähnen und zieht sie über die Schulter nach vorne.
"Ja, Herrin!" erwidert Zulhamina eilig. Und tatsächlich hat sie nun, da sie beim Anfang besser aufgepasst hat, keine nennenswerten Probleme mehr. Nur an einer Stelle muss sie ein klein wenig ziehen, um Haken und Öse zusammenzubringen - im Grunde ganz harmlos, aber ihr kommt es schon vor, als erlaube sie sich zuviel der Gewalt gegenüber ihrer Eigentümerin.
Dann ist sie schließlich fertig und betrachtet ihr Werk versonnen lächelnd, die Hände schon wieder untätig vor dem Schoße haltend.
"Gut," antwortet die Hausherrin und rückt das schöne Kleidungsstück zurecht. "Nun der Rock." Sie macht keine Anstalten, nach dem Seidenstoff zu greifen und steht nur wartend da.
Der Rock wird anders als die Bluse seitlich geöffnet und geschlossen, und zwar mittels dünner Bänder, die an einem der Ränder befestigt sind und durch Löcher am anderen gezogen und verknotet oder zu Schleifen gebunden werden können. Momentan sind sie zugeknüpft und es ist deutlich, dass auch noch so schmale Hüften nicht hineinschlüpfen können, ohne dass die Bänder zunächst geöffnet werden.
Nickend beeilt sich Zulhamina, den Schritt zurückzulegen und den rock aufzunehmen. Schon will sie niederhocken, um die Herrin hineinsteigen zu lassen, als sie bemerkt, dass das gar nicht gehen wird.
Äußerst geschickt löst sie auch die festesten Knötchen; damit hat sie Erfahrung und Übung!
Nun wäre es sicher ungeschickt, alle Bänder hinauszuziehen. Zwar könnte sie den rock der Herrin einfach um die Hüften legen, dass diese ihre Beine nicht heben müsste, aber dafür würde das einfädeln lange dauern und bestimmt ihre Geduld strapazieren. So weitet die kleine Sklavin den Rock nur deutlich, dann rafft sie ihn zu einem Ring zusammen, mit dem sie in die Hocke geht. Eifrig hält sie ihn in Knöchelhöhe, dass die Herrin sich beim Hineinsteigen nicht anstrengen muss. Fröhlich, wenn auch noch ein klein wenig schüchtern, lächelt sie zu Mesherel hinauf.
Mit weichem Blick erwidert Mesherel das Lächeln der kleinen Leibdienerin und hebt zierlich den rechten Fuß. Einen Herzschlag lang schwebt dieser in der Luft, dann kommt er wieder zu stehen und sein Bruder folgt ihm ebenso graziös nach.
Es ist lange her, dass die Hausherrin sich einfach so in die Hände eines anderen Menschen, noch dazu eines so reizenden, geben konnte, und sie genießt es sehr. So steht sie mit sanft glühenden Wangen da und wartet darauf, dass die Kleine mit ihrem Werk fortfährt. Beinahe entschlüpft ihr ein kleines Lachen, als sie gewahr wird, dass in diesem Moment sie umsorgt wird wie ein Mädchen, obgleich sie mehr als doppelt so alt wie Zulhamina ist.
Sich so bestätigt fühlend, zieht Zulhamina den Rock respektvoll vorsichtig hinauf zur Hüfte, wobei sie ihn langsam entrollt. Dabei wird offenkundig, dass sie wohl annimmt, die Bänder gehörten auf die Rückseite des Trägers.
Als sie den Stoff einmal kurz schüttelt, damit er sich besser auseinanderfaltet, stößt sie ganz leicht gegen Mesherels nur so dünn verhüllten Oberschenkel. Sie hält inne und eilt sich mit gesenktem Blick zu sagen: "Bitte verzeih, Herrin."
"Oh?" Verblüfft dreht Mesherel sich ein wenig um die eigene Achse und schaut auf die Kleine hinab. Dann glaubt sie den Grund für die Entschuldigung zu begreifen und schmunzelt.
Für einen Moment legt sie Zulhamina die Hand auf den Kopf. "Es ist nicht schlimm. Schau, die Bänder, die gehören nicht nach hinten, sondern hier an meine linke Seite. Das kannst du nicht wissen, aber es bedeutet mehr Eleganz für die Trägerin und zudem ist der Stoff so geschnitten, dass er unschöne Falten wirft, trägt man ihn verdreht."
Sie weist mit der Hand auf ihren linken Oberschenkel, wo die Seide sich gerafft hat und eine eigenartige Hügellandschaft bildet.
Von unten heraufblickend, nimmt Zulhamina das Tätscheln ebenso aufmerksam wie dankbar entgegen. Nach der Erklärung lockert sie die noch kaum festgezogenen Bänder in gewohnter Eifrigkeit und dreht den Rock zurecht. Dabei getraut sie sich auch schon, ungezwungener zu verfahren, da leichte Berührungen offenbar erlaubt sind.
Vorsichtshalber vergewissert sie sich immer wieder bei Mesherel, wie eng die Bänder gezogen werden sollen. Als sie dann das erste fixieren muss, überlegt sie, ob Knoten oder Schleife wohl angebrachter sind. Knoten gehören mehr an Sklaven oder Gepäckstücke, während Schleifchen eher niedlich aussehen. Ob das der Herrin recht ist? Zulhamina versucht es einfach mit einer Schleife und schaut dann fragend hinauf. "So, Herrin?"
Aufmerksam beobachtet Mesherel Zulhaminas Handgriffe, bereit, sie erneut zu korrigieren, falls nötig. Aber das Mädchen macht seine Sache gut und es bedarf keiner weiteren Anweisung. Zumindest nicht bis zu der vorsichtigen Frage der Kleinen.
Kritisch mustert die Hausherrin die Schleife, sich selbstvergessen mit dem Zeigefinger auf die Lippen tippend. Dann nickt sie zufrieden. "Ja, das gefällt mir sehr gut. Es wird hübsch aussehen, wenn erst die ganze Reihe so gebunden ist, nicht wahr?"
"Ja, Herrin!" Fröhlich nickt Zulhamina und fährt voller Eifer fort, den Rock zu schließen. So dauert es nicht lang, bis sie sich hinknien und schließlich gar auf den Boden setzen und tief hinunterbeugen muss. So weit unter Mesherel zu stehen, stört sie dabei gar nicht, da sie ihr doch zugleich so nahe und so nützlich sein kann.
Dann ist sie fertig, springt aber nicht gleich auf, sondern schaut heischend hinauf zu dem Antlitz der Herrin.
Als Zulhamina ihre Tätigkeit ausgeführt hat, macht die Hausherrin einen kleinen Schritt zurück und dreht sich probehalber einmal im Kreis, um zu sehen, wie der Rock sich in Bewegung macht - viel ist da freilich nicht, liegt er doch ein wenig eng an. "Hübsch sieht das aus!"
Sie hält Zulhamina ihre Hand hin, um ihr beim Aufstehen eine Hilfe zu sein.
Jene hat ihre Herrin verträumt lächelnd beobachtet, wenngleich sie überlegt, warum diese sich selbst so in der Bewegung einschränkt. Allerdings hatte Zulhamina noch nicht viel mit wohlhabenden Damen zu tun und kennt nicht die Methoden, mit denen sich diese in der Männerwelt interessant machen.
Die Geste zuletzt versteht Zulhamina überhaupt nicht. Mit leicht zusammengekniffenen Augen mustert sie die Hand und rätselt, warum sie ihr gezeigt wird. Soll sie diese küssen, sie bewundern? Kurz schaut sie suchend im Aufstehen begriffen umher. Gibt es irgendwo Schmuck, den sie der Hand anlegen soll?
Dann steht sie, beugt sich aber noch über die Hand, um schließlich Mesherel fragend anzuschauen. "Eine schöne Hand, Herrin..."
Überaus verblüfft sieht Mesherel das Kind an. Dann lässt sie die nun ohnehin nicht mehr benötigte Hand - die Kleine steht ja bereits - sinken. Und allmählich überzieht ein Schmunzeln ihr Gesicht.
"Es ist lieb von dir, das zu sagen, Zulhamina. Aber warum hast du sie denn dann nicht genommen? Das Aufstehen wäre dadurch leichter gewesen." Ihr fällt ein, dass es für die kleine Dienerin gewiss ungewöhnlich sein muss, Hilfe durch die Herrin zu erfahren. Und sie ärgert sich darüber, dass so viele hohe Herrschaften es für unter ihrer Würde halten, einem Untergebenen auch nur die Hand als Unterstützung zu reichen. Als ob das der Würde Abbruch tun würde!
"Nun, lassen wir das. Das Tuch fehlt nun noch. Weißt du, wie man so eines anlegt? Es ist nicht ganz einfach, es um den Körper zu wickeln. Kennst du die Handgriffe?"
In der Tat droht die Herrin ihre Sklavin mit ihrer ersten Frage wieder einmal arg zu verwirren. Seit wann erleichtert ein Herr dem Sklaven etwas und nicht umgekehrt!? Was soll sie darauf nur antworten!
Doch zum Glück muss sie überhaupt nichts erwidern, sondern wird sogleich zu ihrer eigentlichen Aufgabe zurückgelenkt. Und diese scheint wahrlich nicht ganz einfach! Höchst respektvoll nimmt Zulhamina das Tuch an zwei Stellen auf und breitet es auseinander, so weit dies ihre Armspanne zulässt. Es fühlt sich sehr angenehm an, doch stellt Zulhamina fest: "Oh, es ist so groß...!" Entschuldigend blickt sie Mesherel an. "Ich weiß nicht, wie das geht, Herrin. Der Herr hat so etwas nie getragen."
"Oh, das hatte ich auch nicht angenommen", lächelt Mesherel. "Es ist ein wenig umständlich, aber wir bekommen das schon hin. Alleine ist das sehr schwierig, darum bin ich froh, dass du mir hilfst. Zunächst nimmt man das Tuch im Ganzen, hält es hinter den Rücken, schlägt es dann hier herum, auf der anderen Seite um die Hüfte, dann über die rechte Schulter..."
Ihre Worte begleitet die Hausherrin mit den entsprechenden Gesten, aber bald schon stellt sie fest, dass eine solche Einweisung kaum verständlich und nur schwer nachvollziehbar sein kann. Also lässt sie die Hände sinken und ein nachdenklicher Ausdruck huscht über ihr Gesicht.
Dann hellt sich ihre Miene wieder auf und sie eilt zu einer Kommode, deren oberstes Schubfach sie nach einem Stück Pergament durchsucht, welches sie nach wenigen Augenblicken triumphierend in die Höhe hält. Rasch kehrt sie zu Zulhamina zurück und zeigt ihr die feinen Zeichnungen einer Frauengestalt, die exakte Auskunft darüber geben, wie das Tuch anzulegen ist.
"Unverzichtbar für eine Dame. Siehst du, hier ist alles genau zu sehen."
Staunend betrachtet Zulhamina das Blatt. Sie nimmt an, dass die Herrin selbst nicht mehr so genau weiß, wie das mit dem Tuch geht, sonst hätte diese es ja während des Wickelns Schritt für Schritt erklären können. Doch das ist ja auch ganz gleich.
Konzentriert schaut sie auf die erste Zeichnung und versucht, das Tuch entsprechend zu halten. Nicht ganz leicht, weil es so groß ist, aber es geht. Mit ihrem nachdenklichen Ausdruck verfährt sie gemäß der Bilder weiter. Hin und wieder muss sie lächeln, weil ihr die Angelegenheit Spaß macht.
Aufmerksam folgt Mesherel den Handgriffen des Mädchens, aber die Kleine beweist Geschick und rasche Auffassungsgabe und die Hausherrin kann keine Fehler oder Schlampigkeiten erkennen. Wenn es dem Mädchen entgegen kommt, dreht sie sich ein wenig, macht winzige Schritte, beugt sich vor oder zur Seite.
Einmal trifft ihr Blick den Zulhaminas und sie erwidert ihr Lächeln.
Kurz hält Zulhamina inne, dann senkt sie verschämt lächelnd den Blick. Welch eine liebe Herrin! Andächtig ihr Glück bestaunend, hat die kleine Sklavin ihre Aufgabe vergessen, obgleich doch beide Hände am Tuche festhalten.
Verblüfft stellt die Herrin fest, dass es nicht mehr weiter geht mit der Einkleidung. Sie wirft der Sklavin einen fragenden Blick zu. "Nun, meine Liebe?"
Zulhamina zuckt zusammen. So aus ihrer Traumwelt gerissen ist sie, dass sie sich nicht einmal über die Anrede Gedanken macht. "Oh, oh! Verzeih bitte, Herrin!" schnattert sie aufgeregt und setzt nach kurzer Rückbesinnung die letzte Wickelbewegung fort.
Schweigend wartet Mesherel ab, bis das Tuch ganz um ihren Körper gewickelt ist, dann greift sie zum metallenen Gürtel und legt ihn sich um. Zum Schluss steigt sie wieder in ihre Schuhe. Fertig.
Sie stellt sich vor dem Spiegel auf und begutachtet sich zufrieden. "Nun, das gefällt mir. So kann man einen Empfang geben."
Sie blickt das Mädchen auffordernd an und verkündet: "Sodann lass uns alles vorbereiten."
Natürlich hat die kleine Sklavin nichts einzuwenden, wie sie beinahe verliebt die Herrin beobachtet. Und so beginnt sie voll Eifer unter der Anleitung und mit gelegentlicher Hilfe der Herrin, die Räumlichkeiten für die Gäste herzurichten.
Ja, Zulhamina hat es endlich glücklich getroffen und wird sich gewiss bald richtig eingelebt haben.


Zulhamina / Kurzgeschichten

Redaktion und Lektorat: OHH